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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

eine Seite des Rahmens ist von einer schweren Eisenklinge gebildet, die sich auf den Boden legt. Nun rudert oder segelt man mit günstigem Winde und kratzt so den Boden ab. Was die Klinge losscheuert, fällt in den Sack, der sich bald füllt. Jetzt wird er mit der Winde in die Höhe gehoben, geleert und auf’s Neue hinabgelassen. Es wimmelt darin von Meerthieren aller Art. Austern, Seesterne, Seeigel, Würmer, Schnecken und Muscheln, Korallen und Seescheiden, Schwämme und Tange füllen den Beutel, der sorgsam erlesen wird. Was die Fischer wegwerfen, ist gerade für den Naturforscher das Interessanteste, so daß man leicht mit den Leuten für Ueberlassung dieser Beute sich verständigen kann.

Aber das Geschäft hat seine Schwierigkeiten. Der Boden ist nicht gleich bevölkert; wo eine echte Austernbank ist, finden sich nur wenig anderweitige Thiere, und die Fischer haben natürlich keine große Lust, an austernleeren Orten zu fischen, selbst wenn man ihnen den Verlust reichlich ersetzt. Sie fürchten den Spott der Cameraden. Das Schleppnetz selbst aber verlangt eingeübte Arbeiter. Bald ist der Wind zu schwach, bald zu stark; der hohe Wellengang läßt eine geregelte Arbeit nicht zu; die Klinge hakt sich an einem Felsen fest und das Tau reißt, an welchem das Netz geschleppt wird, sobald man zu stark anzieht, während wieder bei größerer Lockerheit das Instrument über den Boden gleitet, ohne gehörig aufzukratzen. Der Patron der Arche hat deshalb beständig die Hand am Tau, und die Leute müssen höchst aufmerksam auf seine Befehle sein.

Will man aber in noch größere Tiefen dringen, so wird das Schleppnetz außerordentlich unsicher. Es gehören dann größere mechanische Vorrichtungen dazu, weil im Verhältniß zur Tiefe das Instrument schwerer werden muß. Die Strömungen, welche in verschiedenen Höhen übereinander das Meer durchziehen, wirbeln das Schleppnetz umher; die Fühlung geht verloren; man weiß nicht, ist man auf dem Grunde oder nicht – kurz, eine Schleppnetzfischerei in mehreren hundert Faden Tiefe ist eine außerordentlich schwierige, zeitraubende, ja fast unmögliche Operation. Als Maury sein berühmtes Werk über die physische Geographie des Meeres schrieb (jetzt vor etwa zehn Jahren), konnte er mit vollem Rechte sagen: „Es war Keinem gelungen, aus einer größeren Tiefe als dreihundert Faden (eintausend achthundert Fuß) irgend welche feste Stoffe für das Studium der Naturforscher emporzubringen, ja überhaupt nur wesentlich tiefer in die Wasserhülle unseres Planeten einzudringen!“

Die einzigen Untersuchungsmittel, welche wir jetzt noch für größere Tiefen besitzen, bestehen in dem Messungslothe und seiner Leine. Aber es ist keine Kleinigkeit, größere Tiefen, wie sie in dem Ocean vorkommen, zu lothen, und man muß, etwa in Maury oder in einem anderen technischen Werke, die betreffenden Capitel nachlesen, um sich zu überzeugen, daß man früher in der That kein sicheres Mittel hatte, das Loth bis auf den Grund großer Tiefen in senkrechter Linie zu bringen und andererseits sich zu vergewissern, ob es auch wirklich den Boden berührt habe. Endlich kam man darauf, besonderen Bindfaden machen zu lassen, der einem Gewichte von sechszig Pfunden widerstehen konnte, ohne zu reißen, und eine zweiunddreißigpfündige Kanonenkugel als Loth zu benutzen. Etwa sechshundert Fuß dieses Fadens wiegen ein Pfund, und da man Tiefen von dreißig- bis vierzigtausend Fuß zu messen und bei jeder Messung den größten Theil des Fadens, früher wenigstens, verloren geben mußte, so bedurfte es begreiflicher Weise bedeutender Quantitäten von Bindfaden. Bald stellten sich noch größere Schwierigkeiten heraus. Vom Schiffe aus war es unmöglich, solche Sondirungen vorzunehmen, man mußte ein Boot aussetzen und mit den Rudern dahin wirken, daß die Leine stets senkrecht ablief; man mußte endlich irgend eine Vorrichtung erfinden, um sich überzeugen zu können, daß das Loth wirklich den Boden berühre, denn man fand bald, daß die Leine beständig ablaufe, wenn auch der Grund längst erreicht war, weil die Strömungen den Faden links und rechts abtrieben.

Endlich erfand der Seecadett Brooke von der Vereinigten-Staaten-Flotte einen Apparat, der durch Aufbringung von Bodenproben die Sicherheit der Berührung gewährt. Die Kanonenkugel ist durchbohrt und durch dieses Loch geht ein Eisenstab, der innen hohl und am Ende mit Talg beklebt oder auch mit einer Klappenvorrichtung versehen ist, welche sich öffnet, sobald der Stab auf den Boden stößt, und sich wieder schließt, wenn er in die Höhe gezogen wird. Die Kanonenkugel selbst hängt in einem Ringe und mit Faden so an dem oberen Theile des Stabes, daß sie sich augenblicklich abhakt, sobald der Apparat den Grund berührt. Geschieht dies, so bleiben an dem Talg des Stabes Proben des Grundes hängen, etwas Schlamm wird bei der Oeffnung der inneren Klappenvorrichtung in die Röhre hineingeschlürft und darin bei dem Aufhaspeln festgehalten, und Letzteres geschieht um so leichter, als die schwere Kanonenkugel, die sich abgelöst hat, auf dem Grunde liegen bleibt.

Mittelst dieses Apparates, der bis jetzt besonders zur Sondirung derjenigen Strecken benutzt wurde, auf welchen man unterseeische Telegraphentaue legen wollte, ist es gelungen, Proben des Meeresgrundes bis zu einer Tiefe von fünfundzwanzigtausend Fuß hervorzuholen, wo man zugleich über die wirkliche Tiefe durchaus sicher war; ja einigen Angaben zufolge soll man in dem stillen Meere bis auf achtundvierzigtausend Fuß Tiefe gelangt sein. Fast die doppelte Höhe der höchsten Berge der Erde! Und diese bilden nur einzelne, aufragende Spitzen, während diese Meerestiefen über weite Strecken mit geringen Veränderungen sich hinziehen!

Begreiflicher Weise kann eine solche Sondirung nur höchst dürftige Notizen über die Bewohner der blauen Tiefe bringen. Ein Pfund Talg mit einer Oberfläche von einigen Quadratzoll, eine enge Eisenröhre, in der kaum ein Glas Wasser Raum hat, sollen uns Auskunft geben über diese weiten, unterseeischen Tiefenstrecken, welche die halbe Oberfläche unseres Erdballs einnehmen, über die Organismen, sowohl thierischen wie pflanzlichen Charakters, welche sich dort finden! Man sieht, unsere Mittel der Untersuchung nehmen um so mehr an Umfang und Schärfe ab, je weiter wir vordringen. Trotz allen unzweifelhaften Erfindungstalentes des Urhebers ersetzt die Bauer’sche Taucherkammer nur höchst unvollkommen das unmittelbar wirkende Auge; das Schleppnetz liefert blos einen mageren Ersatz für den in geringeren Tiefen anwendbaren Tauchhelm, und die Sondirleine mit dem Brooke’schen Lothe ist nur ein unbeholfenes und höchst ungenügendes Werkzeug gegenüber dem Schleppnetze.

Was kann in der That ein solches Loth an das Tageslicht bringen? Einige auf dem Boden befindliche Pflänzchen oder Thierchen vielleicht, die es gerade trifft und die an dem Talge hängen bleiben oder beim Oeffnen der Klappenvorrichtung mit dem Wasser in den Hohlstab hineingerissen werden: einige kriechende Wesen, welche sich auf irgend eine Weise an die Leine klammern und mit in die Höhe gezogen werden. Wie gering ist diese Ausbeute, wenn es überhaupt auf dem Meeresboden in der blauen Tiefe organisches Leben giebt; wie unendlich klein die Aussicht, ein gewinnendes Loos zu treffen!

Für manche Schlüsse genügt es indessen schon, durch solche Untersuchungen constatirt zu haben, daß ein organisches Leben in der blauen Tiefe existirt – denn frühere, mit dem Schleppnetze im ägäischen Meere ausgeführte Forschungen wollten schon bei einigen hundert Faden Tiefe jegliches Leben aus dem Meere geschwunden finden, wozu man auch herrliche Gründe in dem großen Drucke der Wassersäule, in dem Mangel alles Lichtes und wer weiß in noch welchen physikalischen Verhältnissen finden wollte. Man vergaß, daß das Meerthier in der Tiefe ebenso wenig den Druck des Wassers fühlt, als der Mensch den Druck der Luft an dem Grunde des Luftmeers, in welchem er lebt, eben weil der Körper des Meerthieres in gleicher Weise und noch mehr durchdringlich für das Wasser ist, als der Körper des Luftthieres für die Luft; ja daß dieser Druck sich um deswillen noch weit weniger fühlbar macht, weil das Wasser nicht elastisch und nicht zusammendrückbar ist wie die Luft, seine Dichtigkeit also mit zunehmendem Drucke kaum zunimmt, während die Luft gerade die entgegengesetzte Eigenschaft besitzt. Man vergaß, daß Versuche über die Einschluckung des Lichts durch das Wasser, welche nur an kleinen Mengen gemacht waren und bei gleichmäßiger Abnahme bereits in wenigen hundert Faden Tiefe vollständige „purpurne Finsterniß“ berechnen ließen, schon in dem Umstande eine Widerlegung finden konnten, daß manche seltene, in großen Tiefen lebende Fische, wie der Teleskop-Fisch verhältnißmäßig ungeheure Augen besitzen, während die in wirklicher Finsterniß lebenden Höhlenthiere, wie der Olm aus den Höhlen Krains und die Fische aus den Höhlen Kentuckys, gar keine oder nur ganz rudimentäre Augen besitzen. Bald belehrte auch der Fund schön gefärbter Kammmuscheln in großen Tiefen, daß dort unten doch noch Licht hinkommen müsse – denn wie läßt sich Farbe ohne Licht denken?

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_616.jpg&oldid=- (Version vom 15.10.2022)