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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Man muß in der Welt gar Vieles glauben lernen, und so gelangte denn auch endlich der alte Jacob zu der glückseligen Ueberzeugung, daß Herr Werner sein liebes Lenchen wirklich zur Frau Werner machen wollte. Als auch bei der Seejungfer der noch viel länger anhaltende Unglaube, den sie durch Kopfschütteln und ein beständiges Abwehren mit den Händen an den Tag legte, besiegt war, da gab es eine Scene der freudigen Rührung und Ueberraschung in Jacob’s Stübchen, wie sie wohl die alten Mauern in ihrem Leben noch nicht gesehen hatten.

Wie Werner’s Tante und Antonie über diese wie aus heiterem Himmel hereinbrechende Verlobung dachten, wird sich der Leser wohl vorstellen können, da er selbst die Bekanntschaft dieser Persönlichkeiten gemacht hat. Ich meinerseits glaube nicht, daß die Frau Räthin sehr bereitwillig war, zur Vermählungsfeier des unbegreiflichen Neffen Capaune zu braten, die unglücklichen Teppiche ausklopfen zu lassen und das Haus vom Dachboden bis zum Keller herab spiegelblank zu machen, wie sie bei ihren großen Gesellschaften zu thun pflegte, und denke mir, Antonie wird schleunigst eine Besuchsreise zu einer fernen Freundin angetreten haben.

Die Räthin Bauer bezog später eine andere Wohnung, die der Neffe für sie bezahlte. Dafür schlug die Seejungfer ihren Wohnsitz in Werner’s Hause auf und behütete es im Verein mit Jacob treulich, bis das junge Paar, das gleich nach der Trauung eine Reise nach Italien angetreten hatte, zurückkehrte.

Den unterirdischen Gang, der nach seinem Garten führte, hat Werner zumauern lassen. Er meinte scherzend, auf diesem Wege sei das Glück zu ihm gekommen, er müsse ihm für alle Zeiten den Rückzug abschneiden. Er war überhaupt so berauscht von diesem Glück, daß er nicht daran dachte, dem geheimnißvollen Gang irgend welche Aufmerksamkeit zu schenken. Anderweitige Nachforschungen durften sich hinsichtlich des Erfolges nicht mit Magdalenens Entdeckungsreise messen; denn sie fanden Nichts da, wo das junge Mädchen seiner Aussage nach Silber gesucht und Gold gefunden hatte.

Frau Sage kauert nun auf’s Neue in den Klosterecken und deckt ihren grauen Mantel über die geheimnißvollen zwölf Apostel.




Die Tigernoth in Singapore.
Mit Abbildung.

Ein Jaguar, der aus einer Menagerie entkommen sein mochte, hatte sich unlängst in ein an der pommerisch-mecklenburgischen Grenze gelegenes Gehölz geflüchtet, dies sich zur Residenz erkoren und, wie uns die Zeitungen berichteten, die ganze Gegend unsicher gemacht und in die höchste Aufregung versetzt, so daß kein Mensch mehr den Wald zu passiren wagte, ja landrathamtlich vor dem Betreten desselben gewarnt wurde. Ein einziger Jaguar, eine Katze, die nur im äußersten Nothfall den Menschen angreift, und meilenweit Furcht und Aufregung! Als wir diese Geschichte lasen, mußten wir daran denken, was unsere geängsteten Pommern erst für Gesichter machen würden, wenn sie mit einem Male sich nach Hinterindien, etwa auf die Halbinsel Malacca versetzt sähen, dort, wo an manchen Orten die Tiger fast so häufig umher spazieren, wie bei uns die Hasen, notabene – wenn diese nicht erfroren sind.

An dem äußersten Ende dieser Halbinsel Malacca liegt eine Hafenstadt, deren rascher Aufschwung eines der glänzendsten Beispiele von den segensreichen Wirkungen des Freihandels ist. Ihr Gründer, Sir Stamford Raffles, hatte als englischer Statthalter von Java die Bedeutung des Verkehrs mit dem östlichsten Asien kennen gelernt. Um diesen Verkehr nach der Zurückgabe der Sunda-Inseln an Holland für sein Vaterland zu gewinnen, kaufte er von einem Radscha der Malaien eine kleine, fast öde Insel, auf der blos wenige arme Fischer lebten, und baute an einer geräumigen Bucht eine Stadt. Die ungemeinen Vortheile der Lage dieser neuen Stadt Singapore, die für alle von Ostasien kommenden oder dorthin gehenden Schiffe der bequemste Hafenplatz ist, verstärkte Sir Stamford Raffles durch vielerlei Handelserleichterungen.

Dank diesen weisen Maßregeln, in denen keine Aenderung eingetreten ist, hat sich Singapore zu einem Welthafen und zu einem Stapelplatz erhoben, in welchem die Erzeugnisse aller Welttheile gegen einander ausgetauscht werden. Aus dem armen kleinen Fischerdorfe ist eine Stadt mit 100,000 Einwohnern geworden; in der Bucht, die früher blos Kähne und hin und wieder ein paar schwerfällige Küstenfahrer sah, herrscht ein lebhafterer Verkehr als in irgend einem andern Hafen Ostasiens; in den Straßen drängen sich Angehörige der kaukasischen, indischen, malaischen und mongolischen Völkerstämme. Auch über die Insel, auf der Singapore wie zu Gast ist, hat sich die Cultur verbreitet. Rings um die Stadt ziehen sich die Landhäuser reicher Kaufleute, weiterhin auch Pflanzungen, in denen Chinesen Pfeffer, Zucker, Reis und Perlsago gewinnen. Nur in einer Beziehung hat die Wildniß sich nicht besiegen lassen: die Insel wird von jenen Bestien geplagt, deren wir oben gedachten, von Tigern, denen jedes Jahr einige hundert Menschen zum Opfer fallen.

Zur Zeit der Besitznahme der Insel durch die Engländer scheint sie von Tigern frei gewesen zu sein. Die Eingeborenen behaupten das einstimmig, und in der That würde das kleine Eiland, dessen vier Geviertmeilen damals fast ganz mit Walddickichten bedeckt waren, den großen Bestien keine genügende Nahrung geboten haben. Elf Jahre nach der Gründung Singapore’s (1835) wurde der erste Tiger bemerkt. Eines Tages ging ein Herr Doleman mit Instrumenten und Arbeitern aus, um eine Straße anzulegen. Eine deutsche Meile von der Stadt entfernt, stellte er seinen Theodoliten auf und wollte eben seine Beobachtungen beginnen, als es im Gebüsch krachte und im nächsten Augenblicke ein ungeheurer Tiger mitten in den Menschenhaufen hineinsprang. Zum Glück traf seine Tatze keinen Menschen, sondern den Theodoliten, wie dies unsere Abbildung darstellt, und er eilte nach seinem Fehlsprunge davon, wie man es bei Tigern häufig beobachtet haben will. Woher der Tiger gekommen war, entdeckte man bald darauf. Malaische Fischer, die in dem Canal zwischen der Insel und dem Festlande Netze aufgestellt hatten, fanden in einem derselben einen ausgewachsenen weiblichen Tiger. Von der Insel konnte er nicht gekommen sein, weil er sonst näher an derselben sich in den dort aufgestellten Netzreihen verfangen haben würde. Es ist mit Gewißheit anzunehmen, daß alle Tiger Singapores von dem Festlande herüberschwimmen. Der Canal ist schmal, vielleicht nicht viel breiter als der Rhein bei Köln.

Die Zunahme des Anbaues lockt immer mehr Tiger vom Festlande herüber. Die Walddickichte bieten ihnen Schlupfwinkel, aus denen sie in die Pflanzungen hervorbrechen. Auf Landstraßen und in belebtere Gegenden wagen sie sich blos Nachts, an der Grenze der Culturen zeigen sie sich auch am Tage. Die furchtsamen und sorglosen Chinesen sind eine leichte Beute für sie. Jeden Tag findet mindestens einer seinen Tod durch einen Tiger und trotzdem werden sie nicht vorsichtig, arbeiten einzeln in der Nähe des Waldes, oder ruhen wohl gar am Boden sitzend aus, den Rücken der Gegend zukehrend, von welcher die Gefahr droht. Unhörbar schleicht der Tiger heran, macht seinen Sprung und zerschmettert dem Chinesen mit einem einzigen Schlage der Tatze die Halswirbel. Alle von Tigern Getödteten, die man gefunden hat, trugen diese Verletzung, auf welche wahrscheinlich ein augenblicklicher Tod gefolgt war. In der Nähe der Stadt kann man bei Tage unbewaffnet umhergehen und hat nichts zu besorgen. Die Europäer glauben, daß der Tiger sie verschone und blos unter Chinesen, Malaien und Hindus seine Beute suche. Gewiß ist, daß man seit Menschengedenken von keinem Angriff eines Tigers auf einen Weißen gehört hat, obgleich diese Raubthiere zuweilen nahe an die Stadt herankommen. Als Gustav Spieß in Singapore war, hatte ein Tiger dicht vor Singapore, kaum einen Büchsenschuß von dem Hause einer europäischen Familie entfernt, einen Hindu von einem offenen Wagen heruntergerissen.

Für jeden erlegten Tiger wird, zur Hälfte von der Regierung und zur Hälfte von einer Gesellschaft von Kaufleuten, eine Prämie von zehn Pfund Sterling bezahlt. Die Jagd mit der Büchse ist nicht so gebräuchlich, wie der Fang in Gruben. Hat

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_614.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2022)