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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

werden, und zwar an den Todestagen des Testators, seiner Eltern, seiner Gattin und seiner Brüder. Seit dem 1855 erfolgten Tode des Testators wird das Rothschild’sche Stammhaus zu den angegebenen Zwecken verwendet.

Um nun wieder auf Maier Amschel zurückzukommen, so trieb dieser seine Handelsgeschäfte mit dem größten Geschicke und mit ungewöhnlichem Erfolge. Er hatte daher nicht nur schon 1798 die nöthigen Mittel, um neben seinem Frankfurter Handlungshause ein zweites in London gründen zu können, sondern er war auch im Stande, in der Zeit von 1804 bis 1812 mit dem Staate Dänemark Anleihegeschäfte im Gesammtbetrage von zehn Millionen zu machen, ja sogar 1808 die Jahre lang dauernde Besorgung der Geldlieferungen an das englische Heer zu übernehmen, welches in Spanien mit den Franzosen kämpfte. Diese bedeutenden Geldlieferungen, welche kein anderes englisches Haus zu übernehmen gewagt hatte, wurden von Maier Amschel und seinem das Londoner Haus leitenden Sohne Nathan mit solcher Geschicklichkeit besorgt, daß sie insgesammt glücklich von Statten gingen und ihren Besorgern einen Gewinn von vielen Millionen abwarfen. Die Uebernahme dieses Geschäftes war, wegen der dabei zu leistenden bedeutenden Caution. aber nur in Folge eines Umstandes möglich gewesen, welcher mehr als alles Andere das Glück des Hauses Rothschild gegründet hat.

Dieser Umstand ist das Verhältniß, in welchem Maier Amschel seit 1801 zu dem sehr reichen Landgrafen Wilhelm dem Neunten von Hessen-Kassel stand. Er ward in jenem Jahre (vielleicht auch schon früher) hessen-kasselischer Hofagent und erwarb sich als solcher das unbegrenzte Vertrauen des von 1785 bis 1821 regierenden Landgrafen und nachherigen Kurfürsten Wilhelm des Neunten. Als dieser 1806, beim Ausbruch des Krieges der Franzosen mit Preußen und Rußland, vom Hasse Napoleon’s verfolgt, sein Land verlassen mußte, vertraute er den größten Theil seines Vermögens seinem Hofagenten in Frankfurt zur geheimen Aufbewahrung an. Die anvertrauten Millionen bewahrte und verwaltete Maier Amschel mit Sorgfalt und Treue. Als der Kurfürst bald nach seiner Flucht durch Napoleon für abgesetzt erklärt wurde, war zu befürchten, daß die Franzosen seine Millionen in Frankfurt aufspüren und wegnehmen würden. Dies geschah jedoch nicht, weil die wenigen Leute, welche um die Sache wußten, nichts verriethen und Rothschild die kurfürstlichen Gelder in Weinfässer seines Kellers versteckt hatte.

Maier Amschel war nebst seinem Sohne Nathan durch den Kurfürsten auch noch bevollmächtigt worden, für diesen die Zinsen seiner in der englischen Bank angelegten Gelder zu erheben, um sie an den Kurfürsten zu übermachen. Er that dies in der gewohnten, das Vertrauen des Kurfürsten rechtfertigenden Weise. Als nun das Haus Rothschild die oben erwähnten Lieferungen an die englische Armee übernehmen wollte, gestattete ihm der Kurfürst, von jenen Geldern einen bedeutenden Theil zu erheben, um die geforderte große Cautionssumme zahlen zu können. Nur dadurch ward es dem Hause Rothschild möglich, ein Geschäft zu übernehmen, dessen großer Gewinn die Hauptquelle seines nachherigen Reichthums bildete.

Einer, wie es scheint, begründeten Sage nach verdankte Maier Amschel die Bekanntschaft mit dem Kurfürsten und somit die Grundlage des kolossalen Reichthums seiner Familie einem Umstande, welcher auf’s Glänzendste zeigt, daß die Art, wie der Mensch schon in seiner Jugend sich in Geschäften benimmt, oft ungeahnte glückliche Folgen für seine ganze Zukunft hat. Der hannöverische General von Estorff, ein vertrauter Freund jenes Fürsten, schlug, als derselbe ihn wegen der Anstellung eines neuen Hof-Agenten zu Rathe zog, Maier Amschel Rothschild vor, den er im Bankierhause Oppenheim zu Hannover kennen gelernt, mit welchem er als großer Gutsbesitzer mancherlei Geldgeschäfte zu machen hatte. Man erzählt übrigens von dem ersten Erscheinen Maier Amschel’s vor dem Landgrafen Folgendes. Er ward dem Letzteren gerade zu einer Stunde angemeldet, in welcher dieser eine Partie Schach mit Estorff spielte. Der Landgraf ließ ihn eintreten, nahm aber, in das Spiel vertieft, eine Zeitlang keine Notiz von dem hinter ihm stehenden Juden. Endlich blickte er im Unmuth über das für ihn sehr schlecht stehende Spiel um sich und sah seinen neuen Hof-Agenten. „Versteht Er auch das Schachspiel?“ redete er ihn an. Rothschild antwortete mit Ja, bat um Erlaubniß, seinen Rath zur Rettung der Partie ertheilen zu dürfen, und gab dann mehrere Züge an, durch welche das Spiel zum Vortheil des Fürsten entschieden wurde. Dies und die darauf folgende Unterhaltung des Landgrafen mit Maier Amschel machte einen so günstigen Eindruck auf Ersteren, daß er zu Estorff sagte: „Herr General, Sie haben mir keinen dummen Mann empfohlen!“

Maier Amschel starb im Jahre 1812 mit der seinen Söhnen gegebenen und von ihnen auch befolgten Ermahnung, stets in brüderlicher Eintracht zu leben und zu handeln. Er war, ungeachtet seines erworbenen Reichthums, in Lebensweise und Kleidung stets seiner früheren Gewohnheit treu geblieben und hatte sich während seines Lebens nicht nur durch Rechtlichkeit und kaufmännische Tüchtigkeit, sondern auch durch Frömmigkeit und Menschenliebe ausgezeichnet. Stets hatte er gern Almosen ausgetheilt; er war deshalb beim Ausgehen gewöhnlich von Leuten umgeben, welche seine Mildthätigkeit in Anspruch nahmen. Nicht selten pflegte er auf eine ganz besondere Weise Almosen zu spenden. Da er nämlich wie mancher andere Jude den Glauben hatte, daß Gott diejenigen Wohlthaten am meisten belohne, für welche ihr Spender keinen Dank empfangen habe, so ging er mitunter im Abenddunkel durch die Judengasse, drückte jedem ärmlich Aussehenden, der ihm begegnete, einige Geldstücke in die Hand und lief dann schnell weiter. Auch noch in seinem Testament sorgte er auf freigebige Weise für die Armen: er legte jedem seiner fünf Söhne die Verpflichtung auf, bis zu seinem Lebensende an das Rothschild’sche Haus in Frankfurt jährlich fünftausend Gulden zu senden, welche von diesem an Arme ausgetheilt werden mußten.

Er hatte fünf Söhne und fünf Töchter. Seine Söhne waren: Amschel Maier, Chef des Frankfurter Hauses, welcher im December 1855 kinderlos starb; Salomon Maier, Chef des in Wien gegründeten Hauses Rothschild, gestorben 1854; Nathan Maier, Chef des Londoner Hauses, 1836 zu Frankfurt, wohin er bei Gelegenheit eines Familien-Congresses gekommen war, gestorben; Karl Maier, Chef des Hauses in Neapel und gestorben 1855; Jakob, genannt James, Chef des Pariser Hauses, welcher noch lebt.

Von diesen fünf Brüdern war Nathan der geistig am meisten begabte und in Bezug auf Gewandtheit und Tact in Geschäften dem Vater am meisten ähnlich. Für die Stadt Frankfurt hat er eine bleibende Bedeutung dadurch erhalten, daß er, wie man behauptet, der Schöpfer des dort so wichtigen Handels mit Werthpapieren gewesen ist. Er soll nämlich schon früh das Dahinschwinden des früher in Frankfurt blühenden Waarenhandels vorausgesehen und deshalb seinen Brüdern und Freunden den Rath ertheilt haben, ihre Capitalien auf Staats- und andere Werthpapiere zu verwenden und diese zum Hauptgegenstand des Frankfurter Handels zu machen.

Der Mutter glich am meisten Amschel Maier. Auch theilte er mehr als seine Brüder deren Anschauungsweise. Er hielt fest an den alten Sitten und Gebräuchen, legte keinen großen Werth auf den Freiherrn-Titel, den man der Familie Rothschild ertheilt hatte, und äußerte öfters die Befürchtung, daß die folgenden Generationen derselben durch Ueberhebung, Prachtliebe und Genußsucht dem Geiste und Glauben ihrer Väter entfremdet werden möchten. Als einst Karl Maier von Rothschild mit ihm von seinen Söhnen sprach und diese die jungen Barone nannte, fuhr Amschel ihn mit den Worten an: „Lasse mir diesen Ausdruck hinweg und sei darauf bedacht, daß Deine Buben tüchtige Kaufleute werden! denn mit dem Baronstitel können sie nichts verdienen.“ Ein christlicher Bankier erzählte dem Schreiber dieses einst Folgendes. Amschel unterhielt sich eines Abends mit ihm im Casino, wurde aber zu wiederholten Malen durch vornehme Herren, die ihn zum Kartenspielen aufforderten, gestört. Er gab endlich widerwillig ihrer Aufforderung nach und sagte dabei: „Wie übel bin ich doch daran! Von Arbeiten ermüdet, wollte ich hier durch mündliche Unterhaltung mich erholen, muß aber aus Rücksicht auf diese Leute, welche mir doch nur Geld abgewinnen wollen, mich an den mir unangenehmen Spieltisch setzen. Wie viel glücklicher war ich da in meiner Kindheit, als ich Abends in der Dachkammer meines väterlichen Hauses, die unser Schlafzimmer war, mit meinen Brüdern zusammensaß und wir unter heiteren Gesprächen unser aus Käse und Bier bestehendes Abendessen hielten!“

Gegen Leute, welche Amschel in früherer Zeit kennen und schätzen gelernt hatte, blieb der überreiche und durch sein Geld

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_585.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2022)