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weißem Atlas überzogen, sowie mit goldenen Fransen, Quasten und anderem Schmuck versehen. Nicht mit Seilen, sondern mit weißen Tüchern wurde er in die Gruft hinabgelassen, und dann die Tücher darübergebreitet. Keinen Geistlichen hat man im Zuge gesehen, ein neuer Beweis, daß die Secte ihren eigenen Cultus hatte.

Kaum war die Ceremonie durch Bekleidung des Sarges mit den weißen Tüchern geschehen, als auf einmal wie auf ein gegebenes Zeichen die ganze Trauerversammlung von achthundert Personen in ein herzzerreißendes Jammergeschrei ausbrach, daß die Luft erbebte und den Augen Aller unzählige Thränen entströmten. Man schien den Verlust des gemeinschaftlichen Versorgers und die verlassene Lage der Sectenglieder auf das Tiefste zu empfinden. Während die ganze Begleitung anfing, zum Beschluß eine Hand voll Erde in das Grab zu werfen, ließ sich auch ein seit mehreren Wochen des Augenlichtes beraubter Leibgardist von seinen Cameraden an das Grab seines Wohlthäters führen, stammelte unter heißen Thränen seinen letzten Dank und warf, wie die Andern, eine Hand voll Erde in das Grab. Bei der großen Zahl der Anwesenden währte die Ceremonie des Begräbnisses auf dem Friedhofe über eine Stunde und war äußerst feierlich und rührend. Sämmtliche Bekenner des Hauses Edom in Offenbach haben ein Jahr lang Trauer getragen und zwar mit dem Zeichen eines weißen Bandes in den Haaren und eines weißen Flores um den Arm.

So war der Vorhang gefallen und der Mann von der Schaubühne abgetreten, der Hunderttausende seiner Glaubensgenossen mittels einer neuen Religionsform auf Grund kabbalistischer Geheimlehren mit zauberhafter Gewalt an seine Person gefesselt hatte. Wohl darf man fragen, wie das möglich sei und ob Frank ein Betrüger oder ein Betrogener, also ein Schwärmer gewesen ist. Diese Frage ist schwer zu beantworten, da man den Inhalt seiner Lehren und Gebräuche nicht kennt und von dem dermalen noch bestehenden, jedoch vereinzelten und sehr dünn gewordenen Anhang niemals erfahren wird. Wenn man bedenkt, daß er keine Gaukelspiele, wie sein Zeitgenosse Cagliostro, der Magier, getrieben, keine sympathetischen Wundercuren vollbracht hat, obgleich sich Recepte dazu in der Kabbala finden sollen, so wird er von der Anklage freigesprochen werden müssen, daß er ein religiöser Taschenspieler gewesen sei. Weit eher könnte man ihn zu den Schwärmern für eine festgewurzelte Idee rechnen, für die Idee einer göttlichen Mission zur Vereinigung des Judenthums mit dem Christenthum. Durch das Hinbrüten über der Geheimlehre der Kabbala, durch den Glauben an eine Wechselwirkung zwischen Gott und den auserwählten Menschen, konnte die Einbildung in ihm entstehen, daß Gott in ihm und er in Gott sei und Beide nicht blos ideal, sondern real Eins seien. Ohne Glauben an eine göttliche Mission würde er die harten Kerkerstrafen nicht so willig und ungebrochenen Muthes ertragen, er würde in Verfolgung seiner Idee keine so beharrliche Consequenz bewiesen haben.

Sein Hingang hatte für die in Offenbach seßhaften Edomiter die empfindlichsten Folgen. Die erste war, daß, seit Frank’s Tod den Gottesschleier zerrissen hatte, die Geldzuflüsse aufhörten und die Secte auf ihre Selbsternährung angewiesen war. Da mußten viele Mitglieder derselben sich entschließen, in Fabriken zu arbeiten, woran sie nicht gewöhnt waren und was ihnen sehr sauer ankam. Andere verließen Offenbach und kehrten in ihre Heimath Polen zurück, wo sie in Verbindung mit Andern ihrer Secte noch immer fortbestanden und den Namen Frankisten führten, bis sie durch einen kaiserlichen Ukas vom 15. März 1817 als „christliche Israeliten“ bezeichnet wurden. Dieser Name kennzeichnet ihre Tendenz am richtigsten und der Erlaß des Ukases selbst sagt uns, daß die Secte von der kaiserlichen Regierung als fortbestehend angesehen worden ist. Sie soll auch noch in der späteren Periode die von ihrem heiligen Herrn überlieferten Lehren und Gebräuche mit Sorgfalt beobachtet, aber auch geheim gehalten haben. Ebenso soll es Grundsatz in dieser Secte sein, sich nur untereinander zu verheirathen und keine fremden Elemente in sich aufzunehmen. Wäre Frank und seine Secte in einem andern Zeitalter aufgetreten, als in der Aufklärungsperiode des großen Friedrich, also einige Jahrhunderte früher, wo der Glaube noch einen größeren Spielraum hatte, wer weiß, wie weit die Secte sich ausgebreitet haben würde. So aber scheint sie im Abnehmen begriffen zu sein, seitdem das regierende, göttlich verehrte Haupt fehlt.

Am härtesten aber traf Frank’s Tod seine Kinder, die an fürstliche Pracht und Bequemlichkeit gewöhnt waren und jetzt durch Vertrocknung der Geldquellen in Noth und Dürftigkeit versetzt wurden. In dieser Lage wendeten sie sich an die Agenten und Vorsteher der Edomiter, besonders in Warschau, welche denn auch frühere Ausschreiben des heiligen Herrn erneuerten und umhersendeten. Allein die Säckel öffneten sich nicht mehr. So kam es zum Concursverfahren über Frank’s Nachlaß, welcher, nach Abzug der Zahlungen an die zahlreiche Dienerschaft, noch nicht so viel betrug, um die übrigen Creditforderungen vollständig zu bestreiten. Viele Lieferanten mußten an den glänzenden Hofhalt und andere Handwerker einen Theil ihrer Forderungen verlieren.

Für die Kinder war in Offenbach des längeren Bleibens nicht mehr. Sie verließen die Stadt (Fräulein Frank angeblich in männlicher Kleidung; sie soll im Jahre 1815 in Polen gestorben sein), ohne daß man weiß, wohin sie sich gewendet. Sie sind verschollen. Dagegen versichert Peter Beer, unser Gewährsmann, daß einer von Frank’s Söhnen als Officier in der russischen Armee gedient und im Jahre 1814, also dreiundzwanzig Jahre nach des Vaters Tode, einen Besuch in Prag bei den Anhängern seines Vaters gemacht habe, wo er mit großer Freude aufgenommen worden sei.




Auf dem Dampfschiff zwischen New-York und Bremen.[1]
Die Abfahrt von New-York – Die Dampffähre. – Wagenchaos. – Der Dock und sein Menschengewühl. – Abschiedsscenen zwischen Schiff und Deck. – Das Sternenbanner auf dem Verdeck. – Missionsstimmung. – Die Bai von New-York. – Die ersten Tage am Bord. – Wahlverwandtschaftsgruppen. – Versteigerung einer südstaatlichen Banknote. – Das Kindertreiben auf dem Deck. – Die Frau des deutschen Malers. – Dessen „genialer Anfall“. – Der letzte Sonntag auf See. – Comfort auf dem Schiff. – Das Schiffsorchester. – Speculation des Schiffspersonals. – Vor Anker in der Wesermündung. – Trennung der Schiffscameraden. – Gegensatz der Heimkehrenden und der Auswandernden.

Es war am 20. Mai 1865, Vormittags zehn Uhr; in dem Gewühle der amerikanischen Metropole, New-York, bemerkte man in der Gegend von Barclaystraße, nach der Hoboken-Dampffähre zu, eine sich selbstständig behauptende Strömung von Wagen und Menschen. Mit gewohnter Geschicklichkeit finden die Droschkenkutscher ihren Weg über jene Querstraßen, an denen die gleichsam flüssigen Lavamassen des ungeheueren Verkehrs in der Nähe des Hafens einander begegnend sich aufstauen. Der Eifer der Rosselenker wird durch das hohe Fahrgeld angespornt, das sie den Unglücklichen abnehmen, welche um zwölf Uhr mit dem Dampfschiff nach Europa wollen und daher zu Beschwerden bei der Polizei gegen die Erpressungen der „hack“-(Lohnwagen-)Treiber keine Zeit mehr haben.

Endlich sind Wagen und Menschen an Bord der breiten, gewaltigen Dampffähre, welche den Verkehr zwischen New-York und dem aus einigen Sommergärtenwirtschaften und Villen zu einer bedeutenden Stadt angewachsenen Hoboken auf der Ostseite des East River vermittelt. Mit Majestät, wenn auch angestrengt arbeitend, erreicht nach etwa fünfzehn Minuten das Dampfboot das andere Ufer, die Ketten rasseln nieder, welche die Breter halten, über welche der Ausgang aus dem Boot führt, und donnernd rollen die Wagen durch die gewölbten Thore, welche man an den New-Yorker Fähren als Wartestationen und Regenschutzplätze überall findet. In gerader Linie wälzt sich jetzt ein Gewirr von Droschken, Expreßwagen, Güterwagenleviathans und den feinsten Equipagen nach dem nicht fernen Dock zu, an dem die Dampfschiffe des norddeutschen Lloyd ihre periodische Heimath haben. Der Dock ist seiner ganzen Länge nach überdeckt, und obgleich die Abfahrt des Dampfschiffs

  1. An Schilderungen von Fahrten nach Amerika ist unsere Literatur überreich, während nur selten einmal eine Heimfahrt von Amerika und die von den Auswanderern so verschiedene Schiffsbevölkerung der Heimkehrenden dargestellt wird. Es wird darum die vorstehende lebensvolle Skizze eines „Heimgekehrten“ wohl allseitiges Interesse in Anspruch nehmen.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_536.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)