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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zu glauben, daß er ein religiöser Schwindler sei, der durch den Zauber seines Wortes die Seckel seiner Gläubigen zu öffnen verstehe, wie Petrus den Himmel. In der That hat Niemand den Reiz des Geheimnißvollen und den Glauben an das Miraculöse seiner Erscheinung, seiner Lehren und Gebräuche besser zu unterhalten und zu fördern gewußt, als Frank.

So viel man von ihm erfuhr, ging seine Tendenz dahin, das Judenthum mit dem Christenthum zu einer neuen Religionsform zusammenzuschmelzen, welche Frank die edomitische nannte. Daher wollen wir die Secte von nun an Edomiter nennen. Auch enthielten alle Ausschreiben Frank’s den Satz, daß Alle, die von Abraham, Isaak und Jakob abstammen, verpflichtet seien, durch die Taufe zur heiligen Religion Edom’s überzugehen, weil sie nur auf diesem Wege den Segen erben könnten, den der Prophet Jesaias verheißen habe. Wie aber die inneren Lehren und Gebräuche dieser edomitischen Secte beschaffen waren, das hat Niemand im Publicum erfahren können.

Fortwährend hatte Frank seine Agenten in Polen und den angrenzenden Ländern, wo die Juden sehr zahlreich sind, um seine Anhänger zu vermehren und Gottesopfer als freiwillige Gaben an den heiligen Edomiterhof einzuliefern. So wurden Fässer voll Geld unter der Escorte von Frank’s eigenen Leibgardisten, deren er eine beträchtliche Zahl unterhielt, an seinen Hof gebracht und zwar so reichlich, daß er eine ungemessene Wohlthätigkeit ausüben konnte. Allein da die katholische Kirche bei ihrem abgeschlossenen Glaubenssystem Secten nicht wohl aufkommen läßt, so konnten die Edomiter sich nicht länger halten, und Frank war daher genöthigt, sich nach einem anderen Wohnsitz umzusehen. Er entschied sich für Brünn, weil er sich dort mehr im Mittelpunkte der weitverbreiteten Secte befand und von hier aus alle Sectenmitglieder in den umliegenden Ländern leiten konnte.

Als er nach Brünn übergesiedelt war, strömten ihm die Gelder nicht blos in höherem Maße zu, sondern es fanden sich auch schöne junge Juden beiderlei Geschlechts bei ihm ein, deren Zahl sich oft auf mehrere Hunderte belief. Das waren förmliche Wallfahrten zur Quelle des Heils, und diese Alle zehrten von den ungeheuren Gottesopfern, die dem heiligen Herrn zur Verfügung gestellt wurden. Nirgends war seine Hofhaltung so prächtig, wie in Brünn. Er hatte eine Anzahl von berittenen Leibgardisten, aus getauften Juden bestehend und meist über siebenzig Mann stark. Das übrige Personal dieses hohepriesterlichen Hofes vom ersten Secretair an bis zu den Stallknechten war nicht minder beträchtlich. Es war der orientalische Hof des verkörperten Gottes Israel. Ebenso prachtvoll war die Carosse, in der er ausfuhr, bespannt mit vier stolzen Rossen, die von einem reichgalonnirten Leibkutscher in russischgrüner Uniform gelenkt wurden. Immer umgaben den Wagen zwölf seiner Leibhusaren mit langen Piken, deren Spitzen mit vergoldeten Adlern, Hirschen, Sonne und Mond verziert waren, die symbolische Zeichen für die Edomiter zu sein schienen.

In dieser Carosse, die mit einem Glasverdeck sorgfältig geschlossen war, weil der Herr von der profanen Welt nicht gesehen sein wollte, fuhr er jeden Nachmittag in das freie Feld an einen bestimmten Platz, um zu beten. Vor der Carosse erschienen zwei Leibhusaren, die übrigen Leibgardisten ritten zur rechten und linken Seite des Wagens, und hinter der Carosse folgte ein Reiter auf stolzem, mit vielen Schellen behangenem Rosse, der einen mit Wasser gefüllten und am Ende mit einer Art von Gießkanne versehenen Schlauch mit sich führte. Am bestimmten Orte wurde ein prächtiger Teppich auf die Erde gebreitet, worauf der heilige Herr nicht stehend oder knieend betete, sondern sich nach orientalischer Weise der Länge nach, das Angesicht der Erde zugekehrt, niederstreckte. Im tiefsten Schweigen standen die Leibgardisten in einiger Entfernung. Wenn Frank sich erhob und der Teppich weggenommen wurde, kam der Reiter mit dem Wasserschlauch und begoß die Stelle. Was aber diese Begießung, welche einige Aehnlichkeit mit dem Gesetz der jüdischen Abwaschungen hat, im Sinne der Edomiter bedeuten sollte, hat Niemand ermitteln können.

Seine eigene Kleidung ähnelte der polnischen Nationaltracht der Juden. Er trug eine runde Mütze von hochrother Seide ohne Schild, die er nie, auch im Gebete nicht, abnahm. Vermuthlich folgte er der Sitte seines Volkes, sich das Haar auf dem Scheitel abscheeren und es auf den Seiten in Büscheln herabhängen zu lassen. Diese Locken an den Schläfen des Gottes Edom waren später weiß geworden, ebenso auch sein langgewachsener Bart, der vom Kinn bis auf die Brust herabfiel. Der Rock, welchen er gewöhnlich trug, war ebenfalls von rother Seide, reichte bis auf die Knöchel herunter, war hinten am Schooße nicht aufgeschlitzt und vorn vom Gürtel bis zum Halse nicht mit Knöpfen versehen, sondern zugeheftet. Dieser rothe Seidenrock war auch oft mit Pelz verbrämt und gefüttert. Was seine Persönlichkeit betrifft, so war die Form seines Gesichtes länglich-oval, seine Farbe fahl, aber seine Blicke hatten fast einen drohenden und gebietenden Ausdruck, wie die des Donnergottes Zeus. In seiner Haltung hatte er etwas, das Ehrfurcht einflößte. Dazu mochte auch viel beitragen, daß er in olympischer Abgeschiedenheit lebte und der profanen Welt ganz unzugänglich blieb, sich niemals auf offener Straße oder auf Promenaden sehen ließ und im Inneren seiner Gemächer sich mit der Leitung der gläubigen Edomiterheerde in den verschiedenen Ländern beschäftigte.

(Schluß folgt.)




Die Heimath der feinen Handstickerei.

Vor hundert Jahren noch kreiste der Lämmergeier über den Kämmen des Säntisstockes[1] und pfiffen die Murmelthiere zahlreich in den steilen Halden, welche die Meglisalp umsäumen; sie sind den Verfolgungen erlegen und mehr nach dem Innern der Centralalpen zurückgedrängt. Dafür hausen häufige Gemsenrudel in allen Theilen des Gebirgsstockes. Vor wenigen Jahren noch zählten wir am Hühnerberg einundzwanzig Stück in einem Weidgang, und dieser Tage jagte man selbst in den Vorbergen der Solalp einen Prachtbock auf. Die flüchtigen Thiere werden nicht häufig und nicht mit besonderem Geschick und Glück verfolgt.

  1. Als vorgeschobener nordöstlicher Eckpfeiler des schweizerischen Alpensystems gewinnt der Säntisstock vermöge seiner Lage, seines Ausbaues und seiner Gestaltung ein ganz besonderes Interesse. Mag man vom Allgäu her oder aus dem schwäbischen Oberland oder aus dem untern Hügellande der Thur in den von ihm beherrschten Gesichtskreis treten, überall imponirt er durch seine breiten, gegliederten Massen und die schönen, bald sanften, bald kühnen Linien, in denen er sich von den Quellen der Thur bis gegen die Rheinmündung am Bodenseeufer hinlagert. Durch das Hochthal der Thur von den steilgegiebelten Churfirsten und dem übrigen schweizerischen Alpennetze getrennt, erscheint er als selbstständiges Hochgebirgsmassiv und überragt in stolzer Majestät sowohl den gewaltigen Seespiegel, als das nordöstliche Ende der großen schweizerischen Hochebene, die sich in breitem Wurf vom Leman zum Bodan hinzieht.
    Und wirklich ist der Säntisstock eine Gebirgswelt für sich. In stolzer Isolirtheit tritt er als selbstständiges Ganzes auf. Dabei ist er aber ein vollendetes Modell der schweizerischen Hochgebirgsnatur und birgt in verkleinertem Maßstabe fast alle hochalpinen Naturformen und Naturerscheinungen in überraschender Mannigfaltigkeit. Sein Gerippe besteht aus einer Anzahl parallel von Südwest nach Nordost streichender Arme, von denen der östlichste und der westlichste, sowohl in Bezug auf absolute Höhe, als auch in Bezug auf Länge die bedeutendsten sind. Der westlichste bcginnt im Thurthal am Schindelnberg, culminirt im „hohen Säntis“ und bricht im Ebenalpstock jäh gegen das Sitterthal ab; der östlichste streicht vom Schafberg und Altmann in steilem Abfall gegen das Rheinthal über den „hohen Kasten“ und Fähnernberg und verliert sich in einer langen, sanftgebogenen Hügelkette gegen den Bodensee hin. Zwischen diesen beiden Hauptketten zieht sich ein hoher Querkamm von der Säntiskuppe bis zum Altmann, von dem wiederum mehrere Binnenketten parallel mit den Hauptzügen auslaufen.
    Diese Configuration des ganzen Kalkgebirgsstockes bedingt eine merkwürdig große Mannigfaltigkeit der Naturbilder. Mit jeder Stunde findet sich der Wanderer in einer neuen Welt. Unter seinem Fuße verwandelt sich unvermerkt der Felsenpfad zum lachenden Alpthal, zur wilden Felsschlucht, während an seinen Seiten die Bergflanken in ewiger Veränderung ihn begleiten, bald in kahlen, gigantischen Felswänden herunterstarrend, bald in grünen Weiden oder dunkeln Fichtenwäldern zu milden Kämmen oder zu kühnen, nackten Kuppen aufstrebend. Nirgends Einförmigkeit und langgedehnte Bilder, überall kecke Ursprünglichkeit und Originalität; aber auch überall schöne Linien, malerische Formen, reizende Farben. Ein paar Vergleiche mögen uns diese Contraste bestätigen.
    Die Säntisspitze (7710 Pariser Fuß über dem Meere) steigt ziemlich sanft und allmählich aus ihrer Kette empor, an der Nord- und Ostseite von breiten Schneefeldern flankirt, deren eines im Uebergang zum Gletscher begriffen ist, denselben aber, weil von ausgiebigen Firnquartieren nicht genährt,
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_523.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)