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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Hypochonder nichts Erquickenderes, als – einen nüchternen Hypochonder, der die Welt und die Menschen nicht durch ein vom Rebensaft goldgefärbtes Glas beschauen darf, obwohl er sich nach diesem Glase wie der Hirsch nach Wasser sehnt. Zwei prächtige Hypochonder erster Classe saßen mir am Mittagstisch gegenüber. Sie waren langjährige Freunde und Nachbarn, dann lange Jahre hindurch durch weite Ferne getrennt und dann wieder mehrere Jahre vereint gewesen; sie waren Freunde wie die Brüder, aber nicht auf Du, wohnten in Kissingen zusammen, hießen die Unzertrennlichen, waren in allen und jeden Fragen und Beziehungen entgegengesetzter Ansicht, zankten sich täglich und geriethen stets am Mittagstisch so heftig aneinander, daß der Eine roth und blau wie ein Truthahn und der Andere blaß wie der steinerne Gast wurde, wechselten bedenkliche Anzüglichkeiten und gingen dann stumm, aber selbander nach Hause, weil es Beiden unmöglich war, ohne den Andern wegzugehen. Dieselbe Scene spielte den folgenden und alle folgenden Tage ohne erhebliche Abwechselung. Jahre lang hatten sie zwischen Amerika und Australien die gröbsten Briefe gewechselt und hatten sich in Kissingen am liebsten täglich geprügelt, aber der Eine konnte nicht ohne den Andern wohnen, essen, spazieren gehen, – leben! „Ja,“ sagte mir ein alter Rakoczykenner, „Se kenne den Raloczy noch net aus; wann Se ane Kratzberst sein, da sein’s hier ane doppelte!“

Ich kann dem Leser hierüber nichts Positives berichten, ich weiß nur, daß ein Freund und Hypochonder sich täglich über mein Wohlbefinden schwer ärgerte und beim Anblick meiner „klaren“ Gesichtsfarbe den edeln Rakoczy zu neunundneunzig Teufeln wünschte, daß er ein anderes Mal mich früh am Brunnen anschrie: „Sie befinden sich doch nicht etwa schon wieder wohl?“ worauf sofort wieder neunundneunzig Teufel den Rakoczy verschmeißen sollten, und daß ferner eine Entsetzen erregende Kugelgestalt mit einer bereits berlinerblauen Nase wie ein verwundeter Eber auffuhr und einem Lehrjungen, der, auf den Curgarten zeigend, einem andern die Worte zugerufen hatte: „Ei du lieber Gott, was die Menschen um ihre Gesundheit besorgt sind!“ in grimmiger Wuth zuschrie: „Krieg’ Du die Kränk’, Du Lausbub, da machst Du’s halt a so!“ Und wenn Einer mit sichtlichem Entsetzen in dem Blicke aus dem Gedränge einer gewissen grünen Pforte zustrebt, weil ihn ein mehr und mehr unheimlich werdendes Gefühl zum äußersten Fortschritt zwingt, und ihn plötzlich auf Pferdelänge von jener grünen Pforte ein Anderer an den Rockknöpfen festhält und gemüthlich lächelnd eine Erzählung mit den Worten beginnt: „Als ich eines Tages im Hochsommer vorigen Jahres ...“ da kann allerdings ein Rakoczytrinker, wenn der Andere nickt losläßt, „ane doppelte Kratzberst“ sein. – Und nun Ade! und noch ein Holdrio–i!




Blätter und Blüthen.

Das heiße Klima in den Tropenländern. Daß es in jenen Ländern, welche innerhalb der heißen Zone liegen und die wir kurzweg „die Tropen“ nennen, auch sehr heiß sein muß, gilt als eine völlig feststehende Thatsache, und man hört gar nicht etwa so selten, daß Leute an einem recht warmen Sommertag bei uns die armen Menschen bemitleiden, die „bei der Hitze“ auch noch unter dem Aequator sitzen müssen. Zehn gegen eins läßt sich aber wetten, daß in sehr vielen heißen Ländern jene armen bemitleideten Menschen in der nämlichen Zeit sich viel kühler und behaglicher befinden, als wir selber.

Es giebt allerdings Landstriche, wo die Hitze außerordentlich drückend sein und durch verschiedene Umstände noch vermehrt werden kann. So z. B. in den afrikanischen, asiatischen und auch australischen Wüsten, wo der trockene Sand den ganzen Tag über von der Sonne gebrannt wird und noch lange nach Sonnenuntergang die eingesogene Brutwärme wieder aushaucht. Weit anders dagegen ist es in allen übrigen Tropenländern der Erde. Vor allen Dingen dürfen wir annehmen, daß es dort – so sonderbar das auch klingen mag – doch in der That nie heißer wird, als es bei uns an recht heißen Sommertagen ebenfalls werden kann, jedenfalls nicht heißer, als es augenblicklich bei uns ist. Ich weiß mich nicht zu erinnern, daß ich in irgend einem Lande der Welt – und selbst das nur an einzelnen sehr heißen Tagen – mehr als neunundzwanzig und einen halben oder dreißig Grad Réaumur im Schatten gehabt habe, und das blos in Afrika; in Indien dagegen, in Australien, in der Südsee und in allen Tropenländern Amerikas habe ich nie mehr als achtundzwanzig und einen halben bis neunundzwanzig Grad im Schatten erlebt und glaube auch nicht, daß es je dort heißer wird.

Was diesen Ländern den Namen der heißen giebt, ist also nicht die größere Hitze, sondern die das ganze Jahr ununterbrochen währende, aber dafür hat man dort wieder andere Vortheile, welche die Hitze lange nicht so empfinden lassen, wie sie bei uns empfunden wird. Wir in Europa sind nämlich nur auf ein kaltes Klima eingerichtet, und erwischt uns einmal hier eine so heiße Zeit, wie im gegenwärtigen Augenblick, so haben wir keinen Schlupfwinkel, wohin wir flüchten können, und meinen gleich, daß wir schmelzen müßten. In den heißen Ländern dagegen ist man vollständig darauf vorbereitet. Die Häuser sind danach gebaut mit hohen, luftigen Zimmern, durch welche die Luft überall frei aus und ein kann, ohne durch enge Fensterhöhlen einen schädlichen Zug zu erregen; Badehäuser stehen überall, die Kleidung ist ebenfalls dem Klima angemessen und alle Beschäftigungen und Arbeiten sind so eingetheilt, daß sich besonders die Europäer den Sonnenstrahlen nie in den heißesten Tagesstunden aussetzen.

Ein anderer Vortheil, den man dort hat, liegt in den kurzen Tagen. In den Tropen geht die Sonne, mit geringem Unterschied, durch das ganze Jahr jeden Tag um sechs Uhr auf und um sechs Uhr unter. Bei uns, wo sie sich in den längsten Tagen schon gleich nach drei Uhr Morgens zeigt, erhitzt sie um sieben Uhr schon den Boden mehr, als dort um neun Uhr; auch hat sie dort um vier Uhr Abends schon wieder ihre Kraft verloren. Noch angenehmer aber ist das Klima, ,z. B. in Indien, in der.Regenzeit, wo fast jeden Nachmittag um drei Uhr ein kleiner Wolkenbruch, den die Leute dort scherzhaft Regen nennen, vom Himmel herunterfällt und die Erde kühlt und erfrischt. Die Abende in dieser Jahreszeit sind dann wahrhaft wundervoll und von drückender Hitze von der Zeit an keine Rede mehr. Aber trotzdem, daß die Hitze dort eigentlich nie lästig wird, erschlafft sie doch mit den Jahren den Körper, denn nicht allein die kalten Nächte fehlen, sondern überhaupt der Winter, in dem sich Menschen wie Pflanzen wieder ausruhen und frische Kräfte sammeln können. Es ist mit einem Wort nicht heißer dort, als bei uns im Sommer, ja die Hitze wird dort in einzelnen Fällen vielleicht nicht einmal als so drückend verspürt, aber es ist ewig Sommer und das reibt zuletzt die stärkste und kräftigste Constitution auf.

Aber nicht alle Tropenländer sind etwa so heiß; an der Westküste von Amerika z. B. kennt man, selbst unter den niedrigsten Breiten, eine andauernde Hitze nur an wenigen Stellen. Die Ursache davon erklärt ein Blick auf die Karte – das niedere Land ist dort zu schmal und im Osten von den schneebedeckten Cordilleren begrenzt, im Westen vom Meer bespühlt und den Seewinden offen, darum kann es da nie sehr heiß werden, wenigstens hat man immer kühle Nächte.

Es ist eine sonderbare Thatsache, daß ein ganz bedeutender Handel, gerade von Deutschland aus, nach Peru mit den allerschwersten und dicksten Tuchen getrieben wird, und nicht etwa für das innere, hochgelegene Land werden diese allein verwandt, sondern selbst in dem an der Küste und im flachen Lande liegenden Lima (12 Grad südl. Breite) getragen. Sowie aber die Sonne im Meere versinkt und die Luft von den Schneeriesen der Cordilleren herüberweht, wird es auch ordentlich frisch an der Küste, und man kann einen warmen Rock recht gut vertragen. Selbst unter dem Aequator sind die Nächte frisch und angenehm, und da über den ungeheueren Waldungen von Ecuador und Neu-Granada der Himmel fast stets bedeckt ist, die Sonne also auch nie ordentliche Kraft gewinnt, so steigt die Hitze dort über Tag selten höher als 26° – nie aber über 28 – und selbst das nur auf wenige Stunden.

Die Linie des ewigen Schnees wird in den Tropen auf 16,000 Fuß gerechnet und fällt, jemehr sie sich der kalten Zone nähert, bis sie etwa unter 80° nördlicher wie südlicher Breite die Meeresfläche erreicht. Ganz genau trifft das aber auf die Grade nicht zu. Besonders in den Cordilleren Südamerikas liegt die Schneelinie unter 15–17° südl. Breite fast höher oder wenigstens eben so hoch, wie unter der Linie selber. Die Ursache davon sind eine Masse kalter Hochebenen in der Nachbarschaft und eine große Menge schneebedeckter Berge, welche näher zum Aequator liegen und dadurch die Luft unnatürlich kälter machen, als es unter gewöhnlichen Umständen der Fall sein dürfte.

Als ein Beispiel, in wie großer Höhe unter den Tropen noch Menschen wohnen können, während in Europa, z. B. in der Schweiz, die Gletscher an manchen Stellen bis zu 5000 Fuß und tiefer herabreichen, mag die Stadt Cerro de Pasco in Peru dienen. Cerro de Pasco, eine Stadt, die in den Cordilleren unmittelbar an den reichen Silberminen jener Berge entstand, liegt etwa unter 11° südl. Breite, aber 14,500 Fuß hoch über der Meeresfläche – also noch etwas unter der Linie des ewigen Schnees – aber es fällt dort schon ewiger Schnee, wenn er auch nicht immer liegen bleibt, denn fast kein Tag vergeht im ganzen Jahr, an dem es nicht ein wenig schneit. Nur ein dürftiges Gras wächst dort an den Bergen, das immer gelb aussieht, weil die Spitzen stets erfroren sind. Das Futter für die Lastthiere müssen diese selber aus den tiefer gelegenen Thälern heraufholen – Bohnen und Hülsenfrüchte sind dort tropische Gewächse und werden eingeführt, mit ihnen aber auch Ananas und Bananen, denn die Thiere brauchen nur ein Paar Meilen weiter hinabgeschickt zu werden, um die Region des Zuckerrohrs zu erreichen.

Der Aufenthalt in solcher Höhe ist aber trotzdem nicht unerträglich, wenn auch der Neuankömmling im Anfang viel an Kopfschmerzen zu leiden hat und besonders lange einen leisen Druck auf den Schläfen fühlt. Man gewöhnt sich zuletzt daran, und der Beweis liegt schon darin, daß die Stadt Cerro de Pasco nahe an 14,000 Einwohner zählt. Nur sehr viel kleine Kinder sollen dort sterben, und wie ich hörte, vergeht kein Tag, an dem nicht wenigstens eine Kinderleiche beerdigt wird. Cerro de Pasco ist, soviel ich weiß, die höchstgelegene Stadt der ganzen Erde.

Fr. Gerstäcker.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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