Seite:Die Gartenlaube (1865) 472.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

der unmittelbaren Nachbarschaft des Stromes uns diese Vorsicht etwas übertrieben und „staatsanwaltlich“ erscheinen will.

Lasse sich indessen darum Niemand abhalten gen Dresden zum großen Bundesfeste zu pilgern. Er braucht wahrhaftig nicht zu fürchten, daß er nach den Strapazen des Hörens und des Singens mit leerem Magen sein Lager aufsuchen müsse, denn rings um den weiten Festplatz reiht sich Erfrischungszelt an Erfrischungszelt, Restaurationsbude an Restaurationsbude, und in nächster Nähe grüßt von seiner Terrasse herab anheimelnd der stattliche Häusercomplex des „Waldschlößchens“, jene große Labsalsquelle, die Jahr aus Jahr ein Tausende von Eimern goldenen Gerstensaftes spendet und weit hinaus in’s Land schickt. Sicher eine hochwillkommene Nachbarschaft für die, nach dem alten küchen- oder mönchslateinischen Dictum, ewig durstigen Sängerkehlen und eine unvergleichliche Zuflucht für active und passive Festgenossen, falls – was Schutzpatron Apollo gnädig abwenden möge! – der Himmel sich nicht ebenfalls festlicher Stimmung erfreuen sollte, denn die Räume des wohlthätigen Etablissements, Keller und Böden dazu gerechnet, können im Nothfall etwa zwölftausend geduldigen Personen Obdach gewähren. Im Uebrigen bietet die Elbe mit ihren Kähnen, Gondeln, Dampfbooten und Dampffähren stündlich und viertelstündlich vollauf Gelegenheit zur Verbindung mit der kaum eine Viertelmeile weiter thalwärts an beiden Flußufern sich hinstreckenden Stadt, so daß man von der Ausführung des ursprünglich in’s Auge gefaßten Planes, eine Schiffbrücke lediglich zum Behufe des Festes und unmittelbar vom Festplatze auf die andere Stromseite hinüber zu schlagen, füglich absehen konnte.

Ein unvergleichliches Bild wird es geben, wenn sich, umflossen vom erhofften blauen Julihimmel, am Morgen des 24. der gewaltige Festzug entrollt, wenn vielleicht zwanzigtausend Sänger aus allen deutschen Gauen und aus der fernsten Fremde – leider ist es nur den österreichischen Ländern nicht verstattet, sich in Vereinen officiell am Feste zu betheiligen – unter den Klängen von zwanzig starken Musikbanden und umflattert von den zahllosen Fahnen und Standarten ihrer Vereine hinauswallen auf die Feststätte am rechten Elbufer, Allen vorauf das neue große Bundesbanner, auf das sich mit Bewunderung die Augen heften überall, wo sich die Procession vorüberwälzt. Auch wir wollen uns dies kostbare Banner etwas näher beschauen, es hat vollgültigen Auspruch auf unsere Aufmerksamkeit, denn es ist ein Kunstwerk im vollen Sinne des Wortes.

Bereits im Februar des letzten Jahres hatte der Gesammtausschuß des deutschen Sängerbundes eine Concurrenz ausgeschrieben für den Entwurf einer Bundesfahne und fünfzehnhundert Gulden für die beste und in jeder Beziehung annehmbarste Zeichnung bewilligt. Der Maler Adalbert Müller in Berlin war es, der, infolge einer im September des vorigen Jahres zu Dresden abgehaltenen Sitzung dieses Ausschusses, mit dem Preise gekrönt wurde; sein Entwurf ist zur Ausführung gekommen, genau so, wie es unsere Illustration darstellt, welche wir dem Künstler selbst verdanken. Wie man sieht, ist das Banner, das eine Breite von vier Fuß und eine Länge von sechs Fuß besitzt, in altdeutschem, sogenanntem gothischen Style gehalten. Das Bannerblatt selbst besteht aus weißer Moirée antique; in seiner Mitte, umrahmt von einer in Gold auf rothen Sammet gestickten altdeutschen Einfassung, prangt ein von Müller in Oel gemaltes Bild. Wir erblicken darauf einen alten Barden mit lang herabfallendem weißen Barte. Die Linke des greisen Sängers stützt sich auf die goldene Harfe, während seine Rechte in Begeisterung erhoben ist und hindeutet auf das in ein himmelblaues Band gestickte Motto: „Das ganze Deutschland soll es sein!“ Hinter ihm am Meeresstrande wölbt sich der Hügel eines Hünengrabes. Ueber den obern Theil der Fahne hängt ein mit Goldstickerei geschmückter rothsammetner Ueberfall herab, darüber thront auf gothischem Ornament die von Eichenzweigen umlaubte Leier.

Die Rückseite des Banners, wenn auch einfacher, entspricht der vordern; inmitten eines goldenen Feldes wacht hehr und stolz der einköpfige deutsche Adler. Sämmtliche Stickereien machen dem Atelier von Albert Sander in Berlin, aus dem sie hervorgegangen sind, nur Ehre, wie auch die von dem Berliner Bildhauer Schiele ausgeführten Holzschnitzereien unser uneingeschränktes Lob verdienen.

Der Zug ist angekommen auf dem Platze, mit ihm, neben, vor, hinter der Procession eine unabsehbare Menschenmenge, und allstündlich gießen die verschiedenen Eisenbahnen neue Fluthen von Hör- und Schaulustigen über Dresden aus. Die Standarten sind aufgepflanzt und aufgehangen, als der herrlichste Schmuck der mit Fenstermalereien von Sachse und Ritscher kunstvoll decorirten Halle, gewaltig erbrausen die Klänge des großen Concerts, des zweiten, denn schon Tags vorher hatte die Halle erbebt unter mächtigen Männerchören, zweihundert Sänger tragen die Soli vor und zweihundertundneun Militärmusiker der Dresdener Garnison, Infanterie und Artillerie, mit zusammen einundfünfzig Klappenhörnern, fünfunddreißig Waldhörnern, vierzig Trompeten, sechsunddreißig Tenorhörnern, achtzehn Posaunen, zwanzig Tuben und vier Paar Pauken bilden das Orchester.

Inzwischen ist es Abend geworden auf dem Festplatze, ein lauer wonnevoller Sommerabend, darum aber noch nicht still und einsam. Rundum noch Sang und Klang, noch Lust und Jubel, überall noch Drängen und Treiben fröhlicher Menschenschaaren. Von Neuem entzückt schweift unser Auge über das reiche Gemälde, noch einmal suchen wir jeden seiner Züge, jede seiner Tinten uns recht fest in’s Gedächtniß zu prägen, ehe wir scheiden. Links der blauduftige, schon halb im Dämmer liegende Saum eines ausgedehnten Nadelwaldes, darüber hinaus die Höhen des Elbthals mit ihren Weinbergen, Villen, Landsitzen, Schlössern, Dörfern, am linken Ufer Dresdens Altstadt mit der Kuppel des Frauendomes und den Thürmen des Schlosses, der katholischen und der Kreuzkirche – unsern Lesern aus mancher Abbildung längst vertraute Gestalten und Contouren – und näher noch auf hoher Bastei der Rundbau der weltberühmten Brühl’schen Terrasse; dazwischen der Strom mit den vielen buntbeflaggten Schiffen und Fahrzeugen und den beiden Brücken, zu alledem endlich die unzähligen Lichter auf dem Festplatz selbst, in und vor den umher verstreuten Zelten und Buden – ist’s nicht genug, übergenug uns zu dem Rufe zu begeistern: „Auf nach Dresden!“?

Auf nach Dresden also, Ihr Sänger, die Ihr’s vermögt, und wer sonst sich ein paar Tage oder ein paar Stunden, je nach Nähe oder Ferne seiner Heimath, losmachen kann aus dem Tretrad des Werkeltagslebens – Ihr Alle werdet willkommen sein den gastlichen, freundlichen, höflichen Dresdenern, und was Ihr etwa von Massenquartieren und kaiserlich österreichischen Militärdecken gehört und gelesen habt, – fürchtet es nicht. Rastlos ist der Wohnungsausschuß bemüht gewesen, den Gästen es nach Möglichkeit behaglich und heimisch zu machen am schönen Festorte, und Bau-, Empfangs-, Ordnungs-, Wirthschafts- und Preßausschuß – sammt und sonders haben sie unablässig geschafft und gesorgt, alle sind sie noch jetzt gewissermaßen in Permanenz, ein Fest herzustellen, das sich würdig anreihe an ähnliche Vorgänger, zur Ehre Dresdens, vor Allem aber zum Preise deutschen Liedes, Landes und Volkes!




Minder bunt, minder reizend, minder heiter stellt sich die Scenerie dar um das andere große deutsche Nationalfest, von dem wir, zumeist für die Menge unserer Leser jenseit des Oceans, noch einige Worte sagen wollen, wie das Fest selbst und seine Bedeutung gewissermaßen ernsteren Charakters sind. Wenn diese Blätter aus der Presse hinausflattern in alle Welt, ist schon der Jubel verklungen, mit welchem die Feier des zweiten deutschen Bundesschießens die alte Hansestadt an der Weser erfüllte, knattern nicht mehr die Büchsen und Stutzen nach den Feld- und Standscheiben, sind die Preise gewonnen, ziehen Sieger und Nichtsieger mit vollen und mit leeren Händen wieder ab in ihre Heimath, in die Berge von Steiermark und Tirol, nach Sachsen und nach Schwaben, nach Pommern und nach Oesterreich, nach Brandenburg und nach Thüringen, ja über die See hinüber nach England und nach Amerika, erfrischt, erhoben, gefestigt von dem Stück deutschen Volkslebens, das sie soeben mit gelebt; haben die Zeitungen und Zeitschriften, voran das Festblatt des zweiten deutschen Bundesschießens selbst, schon ausführlich berichtet über Gang und Verlauf, Einzelheiten und Zwischenfälle des Festes. Wir können daher den deutschen Schützen kein „Auf nach Bremen!“ zurufen, wie wir den deutschen Sängern unser „Auf nach Dresden!“ zuriefen, wir können uns auch kurz fassen und wollen blos die Ansicht, die wir von Festplatz und Festhalle bringen, mit wenigen Zeilen der Erläuterung begleiten.

Wie Bremen selbst nicht das Centrum zahlreicher Bahnen und Verkehrswege bildet, wie es nur durch einen einzigen Schienenweg

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_472.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)