Seite:Die Gartenlaube (1865) 455.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

die Fahne des Aufstands in Lörrach, an der Grenze des badischen Landes. Es kann durchaus nicht Sache der Gartenlaube sein, die schon so vielfach geschilderte badische Erhebung, welche nach und nach eine vollständige Literatur von mehr oder minder umfänglichen Werken hervorgerufen hat, noch einmal des Breiteren zu erzählen, Jedermann kennt ja den Ausgang, welchen die Bewegung nahm, wie ihm die Ziele bekannt sind, welche dieselbe anstrebte. Hier genüge die Bemerkung, daß schon sechsunddreißig Stunden, nachdem Struve aus der Schweiz das badische Gebiet betreten hatte, die Streitmacht der Aufständischen bereits über 10,000 wohlbewaffnete Männer betrug. Von allen Seiten strömten bewaffnete Zuzüge herbei, die ganze umwohnende Bevölkerung erhob sich in Masse. Aber der erste Erfolg ist bei einer Volkserhebung immer von enormer Bedeutung. Dieser erste Erfolg scheiterte. Das Gefecht bei Stauffen war von entscheidender Wirkung für die ganze Erhebung. Zwei Stunden lang dauerte der Kampf in den verbarrikadirten Straßen der Stadt.

Der Rathhausplatz bildete den eigentlichen Stützpunkt der Stellung der Aufständischen. Hier befanden sich Struve, Amalie Struve, Blind, Pedro Düsar und Müller aus Pforzheim. Das Rathhaus wurde der Zielpunkt der feindlichen Geschütze, die Mauern wurden von Kugeln durchlöchert, die Fenster zertrümmert, die Stadt brannte an mehreren Stellen. Endlich drangen die fürstlichen Truppen in die Stadt. Jeder Widerstand war vergeblich. Unstreitig hat Oberst Löwenfels, der in Stauffen commandirte, den Verlust des Gefechts zu verantworten, da er sich mit frisch zusammengezogenen Wehrmännern mit Linientruppen in ein Gefecht eingelassen und die beiden besten Bataillone vor dem Gefecht in der Richtung nach Freiburg geschickt hatte. Wenige Tage nach dem unglücklichen Gefecht wurde Struve mit seiner Frau und Blind bei Schopfheim gefangen genommen. Von dem Tode durch Pulver und Blei vor dem Standgerichte rettete ihn nur ein zufälliger Umstand. Das Geschwornengericht verurtheilte ihn nach langer und qualvoller Haft zu achtjähriger Zuchthausstrafe. Der Sturm des neuen badischen Aufstandes im Frühling befreite ihn in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai aus dem Zuchthause von Bruchsal. Struve trat nun in den Landesausschuß ein und leitete meistentheils dessen Verhandlungen. Da indeß der Landesausschuß keine Executivgewalt hatte, so bestand dessen Macht nur darin, gewisse Anregungen zu geben, welche die Maßnahmen Brentano’s und seiner Regierung, deren Absicht es war, die Bewegung so zu leiten, daß die Rückkehr des Großherzogs vermittelt würde, theils nicht beachteten, theils abschwächten.

Auch diese Erhebung nahm, wie man weiß, einen traurigen Ausgang und Struve mußte von Neuem flüchten. Zunächst wandte er sich mit seiner Frau nach der Schweiz, dann nach Frankreich und England. „Aus Baden mußte ich fliehen,“ sagt er, „denn der Tod war mir gewiß, falls ich geblieben wäre. Aus der Schweiz verwiesen, in Frankreich polizeilich bewacht, in England ohne sichere Erwerbsquellen, mußte ich mich zur Auswanderung nach Amerika entschließen. Ich that es mit äußerstem Widerstreben, ich fügte mich der unerbittlichen Nothwendigkeit.“ Am 11. April 1851 schiffte er sich mit seiner Frau in Liverpool ein und am 11. Mai langte er im Hafen von New-York an. „Als wir an dem reizenden Staten Island vorbeifuhren,“ heißt es weiter in den mir vorliegenden Schriftstücken, „regte sich gleichzeitig in mir und meiner Gattin der Wunsch, es möchte uns vergönnt sein, dort unsern Wohnsitz aufzuschlagen. Hätte ich damals gewußt, daß die liebliche Insel das Grab meines Schwiegervaters, meines ältesten Töchterchens und meines Weibes werden sollte, so wäre sie mir, wie jetzt, düster und traurig erschienen. Glücklicherweise sah ich nicht in die Zukunft. An der Seite meiner Amalie fühlte ich mich stark genug, den Kampf des Lebens auch in Amerika zu bestehen.“

Ein Kampf ist für Gustav Struve das Leben überall gewesen, und wahrlich auch in Amerika. Ein Kampf für die materiellen Bedürfnisse desselben, ein Kampf mit der Feder, mit der Rede, mit dem Schwert für die großen Grundsätze der Freiheit, der Civilisation und der Menschenrechte, für welche er mit Aufwand aller seiner geistigen und physischen Kräfte immer, in der neuen wie in der allen Welt, gestritten hat. Er begann seinen „Deutschen Zuschauer“ in New York von Neuem und vollendete seine „Weltgeschichte“, welche er in den Casematten von Rastadt begonnen hatte, die erste und einzige Geschichte der Entwicklung der Menschheit, die auf demokratisch republikanischer Anschauung ruht, das Resultat des Studiums seines Lebens. Bei der Präsidentenwahl im Jahre 1856 wirkte Struve durch Schrift und Wort eifrig für Fremont, den Candidaten der Republikaner, gegen Buchanan, den Freund und Gönner der Sclavenhalter des Südens. Lebhaft ergriff er Partei für Gottfried Kinkel und die von demselben betriebene deutsche Nationalanleihe.

Im Jahre 1859 gründete er mit seiner Frau und Füster aus Wien die erste freie deutsche Schule in New-York. Als im April 1861 der Kampf zwischen den südlichen Sclavenhaltern und der Union begann, wollte Struve in diesem nicht allein für die Entwicklungsgeschichte Amerikas, sondern auch für die Grundsätze der Freiheit in Europa so wichtigen Kampfe nicht zurückbleiben. Trotz seiner vorgerückten Jahre verließ er seine geliebte Frau und seine Kinder und trat als Gemeiner in ein Freiwilligenregiment ein, dessen Bildung der ihm schon aus Deutschland befreundete Oberst Louis Blenker unternommen hatte. Als Gemeiner, dann als Unterlieutenant, Oberlieutenant, Hauptmann machte er den Feldzug mit. Er war mit dabei, als die deutsche Brigade am Tage der Schlacht bei Bull Run wie eine undurchdringliche Mauer stehen blieb bis am Morgen des folgenden Tages, während um sie her alle Regimenter in wilder Flucht von dannen eilten. Er nahm an allen Strapazen und Gefahren Theil, welche das Regiment in den Jahren 1861 und 1862 bestand; Ende November nahm er seinen Abschied. Für Baden war eine allgemeine Amnestie erlassen. Jetzt konnte er seinen langgehegten Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren, erfüllen. Als er nach New-York kam, starb seine schöne und geistreiche Frau, seine treue Gefährtin in allen Gefahren und Mühen der letzten fünfzehn Jahre; es war ihm nur vergönnt, ihr die Augen zu schließen und sie zu bestatten. Allein, den Schmerz in der Brust, kehrte er über das Weltmeer nach Deutschland zurück.

Damals war es, wo ich Struve in Coburg kennen lernte. Anderthalb Jahre sind seitdem verflossen. Von Neuem hat Struve den Kampf aufgenommen, den er mit solcher Energie während der letzten zwanzig Jahre seines Lebens diesseits und jenseits des Oceans geführt hat. Eine neue, die siebente, Ausgabe seiner Weltgeschichte ist in diesen anderthalb Jahren vollendet worden und bereits im Druck begonnen.[AU 1] Die Schilderungen in seinem oben schon erwähnten „Diesseits und Jenseits des Oceans“ bilden in ihrer Vereinigung ein interessantes Werk, welches die gegenwärtige politische und sociale Lage der Vereinigten Staaten Nordamerikas und Deutschlands und deren gegenseitige Beziehungen darstellt. Aber auch die Verfolgungen haben von Neuem begonnen. Das Cabinet zu Washington ernannte ihn zum Consul der Vereinigten Staaten für die wichtigen Handelsbeziehungen des Thüringerwaldes zu Nordamerika. Der Herzog von Sachsen-Meiningen verweigerte ihm das Exequatur, nachdem die Regierung sich des gleichen Verfahrens der anderen Thüringischen Regierungen versichert hatte. Die Regierung des Herzogs Ernst von Coburg-Gotha verfolgt ihn und Feodor Streit wegen ihrer Artikel in der Arbeiterzeitung und in der Wehrzeitung für das Recht des „verlassenen Bruderstammes“ in Schleswig-Holstein mit Preßprocessen über Preßprocessen, und vor einiger Zeit sind wiederum drei Monate Gefängniß gegen beide Streiter für deutsches Recht erkannt.[AU 2] Aber mit heiterem Blick und mit der Gewißheit des Sieges schaut Gustav Struve in seinem sechszigsten Jahre in die Zukunft, unerschüttert und ungebeugt, weder durch die Jahre, noch durch das Mißgeschick, noch durch die Niederlagen. G. R. 




  1. Die Weltgeschichte von Gustav Struve in Coburg. 1864/65
  2. S. Sachsen und Coburg gegen Streit und Struve. V. Auflage. Coburg 1864.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_455.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2020)