Seite:Die Gartenlaube (1865) 454.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Hand“. Als der Sohn des russischen wirklichen Staatsraths Johann Gustav von Struve, der 1817 zum Geschäftsträger seiner Regierung in Karlsruhe ernannt worden war, den 11. October 1805 in München geboren, trat der begabte junge Mann nach juristischen Studien in Göttingen und Heidelberg in den oldenburgischen Staatsdienst, da die Eltern einsahen, daß die freie geistige Richtung des Sohnes für eine Beamtenstellung in Rußland nicht paßte. Der alte Großherzog Peter einpfing ihn sehr gütig, und der würdige Minister von Brandenstein widmete ihm die freundlichste Aufmerksamkeit. Er wurde als Attaché der Gesandtschaft am Bundestage zugetheilt. Der junge Attaché hatte dort alle Gelegenheit die Zustände Deutschlands und der einzelnen Regierungen sowie die obersten Beamten derselben kennen zu lernen und seinen politischen Gesichtskreis zu erweitern, aber seine Stellung wurde keine behagliche. Seine freien politischen Ansichten, die er überall frei aussprach und verfocht, brachten ihn mit seinem Gesandten und den übrigen Vertretern der Diplomatie in Frankfurt in unangenehme Conflicte, und er konnte es nur als Erfüllung eines langersehnten Wunsches betrachten, als er nach dem im März 1828 erfolgten Tode seines Vaters nach Oldenburg zurückberufen wurde, um, nach einem glänzenden Examen, als Assessor in Jever angestellt zu werden. Für die Fortsetzung der diplomatischen Carrière war Struve selbstverständlich nicht geeignet. Er hatte, wie er selbst sprach, „vor der diplomatischen Laufbahn einen vollständigen Ekel bekommen.“ „Aber,“ sagt er weiter, „es ging mir in meiner richterlichen Carrière nicht viel besser. Nur zu bald sah ich ein, daß derselbe Geist, nur unter andern Formen, den Stand des Richters, wie den des Diplomaten beherrschte. Ich erkannte, daß der Fehler weit tiefer liege, als ich bisher geglaubt hatte, daß er nämlich in der Spitze der Regierung wurzle und von dort bis zum Gerichtsdiener hinabreiche. Ich sollte Urtheile unterzeichnen, gegen welche ich mich mit der ganzen mir innewohnenden Kraft gesetzt und von denen ich die Ueberzeugung hatte, daß sie nicht das Ergebniß der gewissenhaften Prüfung der Richter, sondern fremder Einwirkung seien. Ich wurde dadurch auf's Tiefste verletzt und ergriff eine verhältnißmäßig unbedeutende Veranlassung, meine Entlassung aus dem Staatsdienste zu nehmen.“ Diese Entlassung erfolgte denn auch in ehrenvollster Weise und nach längerem Widerstreben des Großherzogs.

Er versuchte es nun mit der akademischen Thätigkeit und hielt sich deshalb ein Jahr in Göttingen auf, allein es wollte auch mit diesem neuen Lebenswege nicht recht vorwärts, und bald, im Jahr 1832, finden wir ihn als Obergerichtsadvocaten in Mannheim wieder.[WS 1] „Ich konnte,“ äußerte sich Struve in den mir vorliegenden handschriftlichen Notizen, „den Processen, namentlich den Civilprocessen, keinen Geschmack abgewinnen, meine Neigung blieb der Poesie und dem Makrokosmos des Lebens zugewandt; allein ich erkannte, daß die Advocatur eine höchst wichtige Vorschule des politischen Lebens sei, und widmete derselben deshalb schon aus diesem Grunde alle meine Kraft und Zeit. Unter rechtsanwaltlicher Thätigkeit und phrenologischen Studien, denen er inzwischen mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit sich zuzuwenden begonnen hatte, verstrich eine Reihe von Jahren. Da sollte in Struve’s vielbewegtem Leben der Moment eintreten, der ihn auf die politische Schaubühne rief. Er selbst äußert sich über diesen Beginn seiner politischen Thätigkeit mit folgenden Worten: „Die Versuche, welche ich in den Jahren 1831, 1832 und 1833 gemacht hatte, an den politischen Bewegungen der Zeit Theil zu nehmen, haben für mich so große Unannehmlichkeiten zur Folge gehabt und waren so fruchtlos geblieben, daß meine Neigungen mehr und mehr von dem praktischen Leben in das Reich der Poesie und der Wissenschaft gedrängt wurden. Hierzu kam, daß die Zeiten, welche auf die Jahre 1830 bis 1833 folgten, so schlaff und matt waren, daß sie mich durchaus nicht zu einer praktisch politischen Thätigkeit aufforderten. Seitdem aber der Freiherr von Blittersdorf[WS 2] an die Spitze der badischen Verwaltung getreten war, regte sich der Geist der Opposition wieder mit einigem Nachdruck. Ich nahm mit Eifer an den Wahlbewegungen Theil, natürlich auf Seiten der freien Richtung und gegen die Regierung.“ [AU 1]

Alles, was Struve in seinem Leben erfaßt und ergriffen hat, hat er mit Energie ergriffen. Verfehlte Versuche, Mangel an Erfolg brachten seine Entschlüsse erst dann zum Wanken, wenn er sich vollständig überzeugt hatte, daß sein Streben ohne Erfolg bleiben müsse. So ist sein energisches Vorgehen auf dem Felde der Politik, sobald er dasselbe einmal wieder betreten hatte, vollkommen erklärlich. Sein Bekämpfungs- und sein Zerstörungstrieb, die er im hohen Grade besitzt, trieben ihn vorwärts; sein alter Groll gegen Despotismus, Aristokratie und Pfaffenthum, den er schon als Knabe eingesogen hatte, erhielt im wirklichen Leben neue Nahrung. Der erste Band seines diplomatischen Briefwechsels erschien und erregte enormes Aufsehen. Der damals noch allmächtige Minister Metternich[WS 3] wurde mit einem Nachdrucke angegriffen, wie noch nie. Zugleich unternahm Struve die Redaction des Mannheimer Journals unter der Bedingung, daß die Tendenz desselben eine entschieden freisinnige sein sollte. Man wird sich erinnern, von welcher Wichtigkeit das Mannheimer Journal damals für die politische Bewegung in Süddeutschlaud war. Der berüchtigte Regierungsrath von Urria-Sarachaga war zu jener Zeit Censor in Mannheim. Zwischen ihm und Struve entspann sich nun ein wüthender Kampf. Censurstriche über Censurstriche, unaufhörliche, nicht endende Preßprocesse, Ränke und Intriguen der nichtswürdigsten Art, Pfändungen und Verhaftungen sollten Struve von der Redaction des Journals verdrängen. Struve stellte sich in seinem Kampfe mit der badischen Regierung auf den Boden der badischen Verfassung und der deutschen Bundesacte und verlangte Preßfreiheit, persönliche Freiheit. Vereins- und Versammlungsrecht. Auf ihm ruhte damals eine Arbeitslast, welche nur er, der um fünf Uhr Morgens mit der Arbeit beginnt, überwältigen konnte. Er redigirte zu gleicher Zeit die Vierteljahresschrift für Phrenologie, die vierzehntägige Zeitschrift für deutsche Hochschulen und das täglich erscheinende Mannheimer Journal; er gab seinen diplomatischen Briefwechsel heraus, war Vorsitzender mehrerer gemeinnütziger Anstalten, betrieb die Advocatur und war der allgemeine Rathgeber der Bedrängten.

Endlich gelang es Struve’s Feinden aber doch, ihn von der Redaction des Mannheimer Journals zu verdrängen. Nun gründete er den „deutschen Zuschauer“, in dessen Spalten er der badischen Regierung mit noch weit größerer Entschiedenheit entgegentrat, als im Mannheimer Journal. Der „deutsche Zuschauer“ ist unbestreitbar einer der mächtigsten Hebel gewesen zum Sturz des vormärzlichen Systems in ganz Süddeutschland; indem Struve in demselben wie bei seiner sonstigen Agitation zugleich alle Halbheit, alles Phrasenthum, wie dies auch in der badischen Kammer von damals sich breit machte, unerbittlich bekämpfte, stellte er sich auf diese Weise mit Hecker, Kapp und Fickler an die Spitze der Männer des entschlossenen und ernsten Widerstandes.

Die große Offenburger Volksversammlung, welche er und seine Freunde am 12. September 1847 beriefen, bildete mit ihren wichtigen Beschlüssen gewissermaßen die letzte Action des von Struve mit solcher Energie und solcher Ausdauer Jahre lang geführten Kampfes mit den badischen Gerichten, mit badischer Censur und badischer Polizei. Die Pariser Februarrevolution erschütterte plötzlich alle alten europäischen Zustände.

Große Volksversammlungen zu Offenburg, Heidelberg und Freiburg bereiteten die erste badische Volkserhebung vor. Die Verhaftung Fickler’s und der Versuch, die Männer der That in Mannheim gleichfalls zu verhaften, drängte zur Entscheidung. In der ersten Hälfte des April proclamirten Struve und Hecker die Erhebung und erhoben die Fahne des Aufstandes, indem sie mit prophetischem Blick die ganze Misère voraussahen und sagten, die seitdem das deutsche Volk durchlebt hat und die jetzt ihren lehrreichen Gegensatz in dem wunderbaren Gang der Ereignisse in Amerika gefunden hat. Der Verlauf der ersten badischen Volkserhebung ist bekannt. Die Schaaren der Aufständischen erlagen bei Donaueschingen, auf der Scheideck, bei Schopfheim und in den Gefechten in und um Freiburg in den Ostertagen der militärischen Uebermacht der badischen, hessischen und würtembergischen Truppen, weil sie nicht Zeit gehabt hatten, sich militärisch eben so gut zu organisieren, wie sie politisch organisiert waren. Struve, Hecker, Weißhaar, Mögling und die anderen Führer der Erhebung retteten sich in die Schweiz.

Am 20. September 1848 nach dem vom Frankfurter Parlamente gutgeheißenen verhängnißvollen Waffenstillstand von Malmö und nach Niederwerfung des Aufstandes in den Straßen der alten freien Reichsstadt erhoben Struve und Blind zum zweiten Male


  1. S. Diesseits und Jenseits des Oceans. Von Gustav Struve. Coburg 1864, F. Streit’s Verlagsbuchhandlung.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. nach Moritz Wilhelm von Löwenfels: Gustav Struve’s Leben, nach authentischen Quellen und von ihm selbst mitgetheilten Notizen, Basel 1848, S. 12, ging Struve 1833 nach Mannheim und wurde dort erst 1836 Obergerichts-Advocat
  2. ADB:Blittersdorff, Friedrich Freiherr von
  3. ADB:Metternich, Clemens Fürst von
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_454.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2019)