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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

daß mich der Stegwirth betrunken gemacht hat, um handelseinig zu werden. Ich war auch ganz berauscht, als ich Ja gesagt habe.“

„Aber,“ versetzte das Mädchen schlagend, „am andern Morgen warst Du auf dem Amte vor dem Herrn Hofrath ganz nüchtern! Plappre nicht so! Du hast mir gekündigt und ich Dir. Jetzt kriegst Du mich nicht!“

„Das wäre der Teufel!“ brüllte Leonhard, wie besinnungslos um sich schlagend.

„Nein,“ versetzte Brigitta. „So lasse ich mich nicht aus einer Hand in die andere schieben. Thue jetzt, was Du willst, komm aber nicht wieder. Hier ist es für Dich vorbei.“

Sie entfloh mit eiligen Sprüngen in’s Haus.

Wie im Taumel trat der Verzweifelte seinen Rückweg an.

Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er am Stegwirthshaus vorübergegangen war, ohne dort einzukehren.




3.

Der Stegwirth, seiner Braut sicher, hatte bereits alle Anstalten zur Feier seiner bevorstehenden Vermählung mit Brigitta zu treffen begonnen, und er war insoweit so glücklich, wie es ein Mensch bei einem Naturell wie das seinige sein kann.

Er war ein kleines, dürres, doch sehr flinkes Männchen von dreißig Jahren, sehr fleißig und industriös, aber auch sparsam und genau bis zum Geiz. Seine flachen Gesichtszüge erinnerten an einen Knaben, welcher nun ein alter Sauertopf geworden war; in seinen Augen und Mienen lag ein beständiger Kummer, welcher die unbefriedigte Gier ausdrückte, alle Tage noch mehr Geld zu verdienen, als thatsächlich einlief. Nur, wenn das Wirthshaus so vollgepfropft war, daß er durch das unaufhörliche Einschenken und Auftragen von Athem kam und von Schweiß triefte, konnte er Späße, sogar gute, machen, aber wenn er nur eine Stunde dastand, ohne daß ein Glas Bier verlangt oder eine Zeche gezahlt wurde, versank er in die tiefste Melancholie.

Sein verschossener und abgewetzter Anzug, aus einer Jacke, farblosen Hosen und groben Schuhen bestehend, war nicht im Stande, seine armselige Erscheinung aufzuputzen, sondern erinnerte immerfort an den blutarmen Bierzapfer, der er noch vor zwei Jahren in der fürstlichen Brauerei gewesen, ehe er das Wirthshaus übernommen hatte.

Mit der Uebernahme des Stegwirthshauses hatte es folgende Bewandtniß.

Der frühere Besitzer starb, als er kaum die Frau verloren hatte, im besten Alter und hinterließ ein zweijähriges Kind als natürlichen Erben. Dieses Umstandes halber hatte er die testamentarische Verordnung gemacht, daß der gegenwärtige Stegwirth, der ein entfernter Anverwandter war, das Wirthshaus und die nicht unbedeutende Oekonomie mit allen Rechten des Eigenthümers zu übernehmen, aber nach Eintritt der Großjährigkeit des leiblichen Erben dem letzteren im Statu quo ante wieder zu übergeben habe.

So weit war der ehemalige arme Bierzapfer mit dem Testamente höchst zufrieden, denn es sicherte ihm für zweiundzwanzig Jahre, also ein halbes Menschenalter lang, den einträglichsten Besitzstand in der Burgsau, aus dessen jährlichen Einkünften sich im Laufe einer so langen Zeit ein selbständiges Vermögen leicht erwirthschaften ließ. Weniger war der im Testament vorhergesehene Fall, wenn das Kind vor zurückgelegter Großjährigkeit sterben sollte, nach seinem Geschmacke, ja geradezu ein Gegenstand ärgster Unruhe, denn an demselben Tage, wo diese Katastrophe eintrat, hatte er alle Besitzrechte verloren, und diese gingen an eine Muhme des Verstorbenen, als Universal-Erbin, über.

Der Erblasser hatte absichtlich oder zufällig ein weises Testament zu Wege gebracht, denn die angeführten Bestimmungen sicherten dem allein stehenden, hülflosen Kinde eine gute, schonende Behandlung. War es wirklich Absicht gewesen, so wurde sie über alle Erwartung erreicht. Der Stegwirth liebte das Kind. dessen Vormund und Pflegevater er zugleich war, über die Maßen. Sonst nicht zärtlicher Natur, war er hier der trefflichste Vater, ja beinahe schon die sorgsamste und ängstlichste Mutter. Bei Tag und Nacht sah er nach dem Kinde, obgleich er ihm sogar eine eigene Wärterin hielt, ohne es einmal im größten Tumult des Geschäftes zu vergessen, und scheute keine Plage und kein Opfer, damit es wohlgedeihe und die Großjährigkeit erreiche.

Diese maßlose Liebe hatte aber gräßliche Prüfungen zu erdulden, da das Kind ein sehr schwächliches und gebrechliches Wesen war, dessen Zustand beständig Besorgnisse einflößte und das Herz des Pflegevaters mit grausamen Aengsten erfüllte.

Es war ein Knäblein, Toni mit Namen, gegenwärtig vier Jahre alt, von einem angenehmen, doch blassen und schmalen Gesichte, welches, mit den spindeldürren Gliedern der Gestalt zusammengehalten, die äußerste Nervenschwäche bekundete. Für diesen feinen Körper war die größte Ruhe die erste Nothwendigkeit, wenn sich die Kräfte entwickeln und sammeln sollten, allein diese Vorschrift war bei Toni’s krankhafter Lebhaftigkeit und Aufgeregtheit gar nicht zu erfüllen. Da ihm das Weinen und alle Aufregungen sehr schadeten, blieb der Umgebung Nichts übrig, als alle seine Launen auf das Rascheste zu befolgen, und da diese Methode bei der Liebe des Stegwirths keine Grenzen kannte, wurde Toni das verzogenste und eigensinnigste Kind, das in seinem gegenwärtigen Alter sich schon klar bewußt war, daß es mit Lärm und Thränen Alles ausrichte. Das gewöhnliche Mittel, sein Toben zu beschwichtigen, waren Näschereien, namentlich Zucker, den es leidenschaftlich liebte, weshalb es auch allgemein im ganzen Orte mit einer auf den Stegwirth gemünzten Ironie nur Zucker-Toni genannt wurde.

Es war ein sehr heißer Nachmittag. Unter den Anstalten, die der Stegwirth bereits zu seiner Hochzeit traf, befand sich auch die frische Uebertünchung des Wirthshauses. Diese Arbeit war schon vollbracht und es blieb noch die Ausführung der Frescogemälde übrig, womit man hier zu Lande die Außenseite der Häuser schmückt. Auch dieser künstlerische Theil der Aufgabe ging seiner Lösung entgegen, denn der Dorfmaler, dem das Werk übertragen war, malte mit derselben raschen Virtuosität, mit welcher er kurz zuvor getüncht hatte.

Es war Peter Auringer, ein alter, aber lustiger Kauz, der Schöpfer einer Unzahl von gräßlichen Madonnen und der verschiedensten Heiligen, welche alle durch ihr bengelhaftes Aussehen die Individualität des Künstlers unverkennbar kennzeichneten. Vom Landvolke, das die Schlagwörter liebt, wurde er nie anders als Schmier-Peter genannt, eine Bezeichnung, welche er durch seine Leistungen vollständig rechtfertigte und hier und da sogar auf sich selbst anwandte, nicht aus Mangel an Künstlerbewußtsein, sondern aus Pfiffigkeit, um die Wohlfeilheit anzudeuten, wenn er die Leute plagte, sich noch mehr Gemälde hinschmieren zu lassen, als sie ursprünglich im Sinne gehabt hatten.

Schmier-Peter saß auf einem Gerüste über dem Hausthor und malte an einem von vier schweren Pferden bespannten Fuhrmannswagen. Seinem Gesellen, der seitwärts hoch auf der Leiter arbeitete, hatte er die Ausführung der schablonenmäßigen Arabesken und Borduren vertrauensvoll überlassen.

Da kam der Stegwirth zum Vorschein. Sein erster Blick fiel auf die vielen Tische und Bänke, die von alten Ahornbäumen beschattet und sämmtlich unbesetzt waren.

„Gar keine Seele da!“ seufzte er zum Gerüst hinauf. „Kein Mensch, als Ihr Beide, und Euch halt’ ich noch dazu frei! Aber es sei Euch vergönnt – da trinkt!“

Er reichte dem Maler einen Labetrunk empor, der in einem Glase zusammengegossenen Bieres bestand.

Schon wollle er sich wieder in das Haus begeben, als er bemerkte, daß eben zwei Gäste in der nächsten Nähe an einem Tische Platz genommen hatten. Hurtig rannte er auf sie zu, um sie zu bedienen.

Einer der Gäste war der Gerichtsdiener Grüneisen, der andere der Chirurg des Bezirks, Namens Weißbart, welcher mehr auf Grund seiner angekauften Gerechtsame, als seiner medicinischen Kenntnisse Menschen und Thiere curirte.

„Wo steckst Du denn?“ rief der Stegwirch dem Gerichtsdiener auf das Freundschaftlichste zu. „Wenn ein so alter Stammgast ausbleibt, das thut weh!“

„Ich war Dir recht bös!“ gab Grüneisen zur Antwort. „Du weißt auch, warum! Ich hätte Dir es nicht zugetraut! Der Hofrath hat ganz Recht gehabt, und wie er denkt, denke ich auch. Das verdaue ich schwer und es wird mir noch lang im Magen stecken,“ schloß er, sich in die Entrüstung über die Kreuzheirath hineinredend.

„Geh.“ erwiderte der Stegwirth oberflächlich, „Du mußt immer Etwas haben, worüber Du brummst! Deshalb wird Dir mein delicater Kaiserkümmel doch bei mir schmecken!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_435.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)