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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

man in großer Menge Protestanten, A. B. und H. B., wie sie in Oesterreich genannt werden (d. h. augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses), ja sogar den jüdischen Rabbiner, der, selbst ein beliebter und vielbesuchter Kanzelredner, mit gespannter Aufmerksamkeit jedem Wort und jeder Bewegung seines Musters und Vorbildes folgte.

Offenbar war es nicht blos der Reiz der Neuheit und der Mode, der eine so zahlreiche und verschiedenartige Zuhörerschaft jahrelang um die Kanzel in der Franziscanerkirche versammelte. Es war, wenigstens bei der großen Mehrzahl, wirklich ein religiöses Interesse, ein religiöser Zug, allerdings im Sinn und Geiste der damaligen Zeit. Es war die Verehrung für die Person des Predigers, es war die geistige Macht seines Wortes weit mehr, als der besondern Kirche, in deren Dienst er stand, was diesen Zauber ausübte. Das sah man an dem Eindruck, den seine Rede auf die dichtgeschaarten Reihen der Zuhörer hervorbrachte; ein Eindruck, der weniger auf das Gefühl, als vielmehr auf den Geist und Willen wirkte, sich weniger in empfindsamen Thränen der Rührung, als in tiefernsten Mienen, in leuchtenden Blicken, in einer bis zum Schluß – und die Predigt dauerte gewöhnlich ihre volle Stunde und darüber – stets gespannten und gesteigerten Aufmerksamkeit, ja nicht selten bei besonders kraftvollen Stellen in einem leisen Gemurmel begeisterter Zustimmung und gegenseitigem Zunicken selbst unter sonst einander ganz Unbekannten äußerte. Ueberhaupt war es ein unsichtbares Geistesband, das die hier Versammelten mehr oder weniger unter einander verknüpfte. Man hatte seine Kirchenbekanntschaften, man grüßte sich beim Begegnen auf der Straße, ohne sich zu kennen, ohne eben mehr von einander zu wissen, als daß man sich sonntäglich in der Franziscanerkirche an derselben Stelle stehen oder sitzen sah.

Und er, der solche Manchem vielleicht ganz unbegreiflich dünkende Macht ausübte, er, den, wo er sich nur zeigte, Jedermann mit liebevoller Ehrerbietung grüßte, zu dessen Religions- und wissenschaftlichem Unterricht für ihre Zöglinge sich jede Erziehungsanstalt, in dessen Beichtstuhl sich die halbe Bevölkerung der ungarischen Hauptstadt drängte, er, dessen Name noch jetzt in ganz Ungarn voll Verehrung genannt wird und dessen zur Tradition gewordene Wirksamkeit einen fruchtbaren Samen gestreut hat für die Ernte kommender Geschlechter – wer war er?

Ein schlichter, aber geistig hochbegabter, in seinem Wandel sittlich strenger Priester aus dem Orden des heiligen Franz von Assisi, deutscher Sonntagsprediger an der Kirche des Ordens zu Pest; ein Franziscaner, wie es freilich nur wenige gegeben hat und geben wird, mit Namen Joseph Stanislaus Albach, vom Volke gewöhnlich nur Pater Stanislaus oder Pater Albach genannt.

Ueber die früheren Lebensumstände des berühmten Franziscaners herrscht ein eigenthümliches Dunkel. Er selbst war in seinen Mittheilungen darüber äußerst zurückhaltend, selbst gegen seine vertrautesten Freunde, wie er es überhaupt nie liebte, über sich selbst viel zu sprechen. Er war am 28. Januar 1795 in Preßburg geboren, wo sein Vater, wenn ich nicht irre, in fürstlich Esterházy’schen Diensten stand. Die Sage, die so geneigt ist, das Jugendleben ausgezeichneter Männer mit ihren Dichtungen auszuschmücken, macht ihn zu einem natürlichen Sohn des damals lebenden alten Fürsten, der in diesem Punkte arg berüchtigt war, und stützt sich dabei unter Anderem auf die allerdings auffallende Thatsache, daß Stanislaus ebenso, wie sein einziger Bruder, angeblich in Folge eines mütterlichen Gelübdes, schon in zarter Jugend, ehe Beide noch die volle Bedeutung des verhängnißvollen Schrittes zu beurtheilen vermochten, dem Kloster geweiht wurde, der Eine als Franziscaner, der Andere als Benedictiner. Beide an Herz und Geist sowie in der treuesten Liebe zu ihrer Mutter verwandte Brüder liebten sich innig und standen fortwährend mit einander in Briefwechsel.

Seine Bildung erhielt Albach am katholischen Gymnasium und der geistlichen Präparandenanstalt seiner Vaterstadt. Wie dürftig dieser Unterricht von Haus aus gewesen, darüber wußte derselbe später noch Manches zu erzählen. Das Beste schöpfte er jedenfalls aus sich selbst und einem eifrigen, unermüdlichen Privatstudium während seines wechselnden Aufenthaltes in den verschiedenen Ordensstationen. Mit besonderer Vorliebe trieb er naturwissenschaftliche Studien, namentlich Botanik, Mineralogie und Meteorologie. Erstere pflegte er besonders in den letztern Jahren, während seines Aufenthaltes in Eisenstadt, auf seinen täglichen, meist fünf- bis sechsstündigen Wanderungen über Berg und Thal, die letztere durch ein sorgfältig bis an sein Ende geführtes Tagebuch, das blos meteorologische Beobachtungen und Notizen enthielt. Anderweitige Aufzeichnungen, Briefe und Papiere gab er mit weiser Vorsicht gewöhnlich der Vernichtung preis.

Sein freundliches, liebevolles Wesen verleugnete sich auch auf der Straße beim Erwidern der ihm von allen Seiten gespendeten Grüße nicht, vornehmlich aber äußerte es sich der Kinderwelt gegenüber, die er besonders warm im Herzen trug. In seiner stets von innen verschlossenen Zelle stand ein schöner Flügel, denn er war ein leidenschaftlicher Freund der Musik, die er fleißig übte, wie denn Natur, Kunst und Wissenschaft, als treue Begleiter auf seinem Lebenswege, ihm Ersatz boten für so manche schmerzlichen Kämpfe, Leiden und Entbehrungen, welche besonders durch andauernde Kränklichkeit sein Leben trübten. Nicht geringen Trost fand er auch in seiner Wirksamkeit als Prediger und Seelsorger, besonders seit seiner Versetzung nach Pest, wo ihm bald die allgemeinste Anerkennung zu Theil wurde und er mit den ersten, berühmtesten Männern Ungarns in Berührung trat. Zu seinen wärmsten Freunden gehörte auch der große Regenerator seines Vaterlandes, Graf Stephan Széchényi.

Die katholische Hierarchie hatte ein Interesse, ihn ungestört gewähren zu lassen, obgleich der Inhalt seiner Predigten keinen specifisch katholischen Charakter trug. Es schmeichelte ihr der Glanz, den seine vielbesuchten Vorträge über den Orden und die katholische Kirche verbreiteten, sie wollte es außerdem mit dem Adel auf dem Landtage nicht verderben, und überdies beobachtete Albach die kluge Tactik, sich, um seines so segensreichen Wirkungskreises nicht verlustig zu gehen, jeder Polemik gegen kirchliche Dogmen gänzlich zu enthalten.

Um so entschiedener trat er dagegen wider die sittlichen Gebrechen der Zeit auf, wobei er mit offenem Freimuth keinen Unterschied zwischen Hoch und Niedrig kannte. So hielt er denn auch einmal im Jahre 1838 eine fulminante Predigt über den Ahnenstolz und geißelte mit unerbittlicher Strenge den Hochmuth und das frivole Treiben so vieler Großen in und außerhalb seines Vaterlandes. Das Unglück wollte, daß aber gerade der durch seinen Stolz bekannte damalige Judex Curiae, Graf Cz., in der Kirche war und unwillkürlich so mancher Blick der Zuhörer sich auf ihn richtete. Graf Stephan Széchényi, der ebenfalls der Predigt beiwohnte, äußerte sich mit Rücksicht auf diesen Umstand sogleich sehr besorgt über die Folgen dieser Predigt für seinen Freund und meinte, nun stehe er für nichts.

Er hatte nur allzuwahr geweissagt, denn bald darauf erfolgte die Versetzung – zwar nicht Albach’s allein, sondern, um den Schritt zu maskiren und weniger auffallend zu machen – des gesammten Ordenspersonals von Pest in das Kloster nach Eisenstadt. Alle Verwendungen einflußreicher Freunde, alle Petitionen der über den Verlust ihres geliebten Franziscanerpredigers untröstlichen Bevölkerung der ungarischen Hauptstadt waren vergebens. Albach sah Pest nicht wieder, wenigstens nie mehr in seiner frühern Wirksamkeit. Auch die später wiederholte Bitte der Pester Bürgerschaft an den Primas, ihn wenigstens zeitweise zur Abhaltung von Fastenpredigten nach Pest zu senden, blieb erfolglos. Nur einmal noch war es dem gefeierten Kanzelredner vergönnt, durch sein diesfälliges Auftreten abermals, wenn auch nur für kurze Zeit, segensreich zu wirken und das Land mit seinem Ruhme zu erfüllen. Der auch als deutscher Dichter bekannte Erzbischof von Erlau, Ladislaus Pyrker, hatte durch den Ruf in früherer Zeit so viel Außerordentliches über die Beredsamkeit unsers Franziscaners vernommen, daß er dem Wunsche, ihn auch einmal predigen zu hören, nicht widerstehen konnte. Er äußerte denselben bei Gelegenheit des nächsten Landtags gegen den damaligen Primas und veranlaßte diesen, Albach zur Abhaltung der Fastenpredigten nach Preßburg kommen zu lassen. Dies geschah. Albach folgte diesmal der Einladung, und hielt einen Cyclus von Predigten über Glaube, Liebe, Hoffnung, worin er die ganze Macht seiner hinreißenden Rednergabe zusammenfaßte, indem er besonders auch die rechte Liebe zum Vaterlande in ergreifendster Weise abhandelte. Die gebildete Bevölkerung Preßburgs, seiner Vaterstadt, sowie die Landtagsabgeordneten strömten in seine Vorträge, und die letztern

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