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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

nicht an die bittere Wahrheit glauben und war entschlossen, mich selbst davon zu überzeugen. Demzufolge ging ich nach den Anhöhen zurück, wo ich die Truppen ihre Gewehre zusammenstellen und sich mit Einbruch der Nacht auf den Boden werfen gesehen hatte – aber keine Truppen waren dort zu sehen. Da dachte ich, sie hätten blos ihre Stellung verändert und ich würde sie sicherlich finden, wenn ich über das Feld ginge. Ich war nicht weit gegangen, als ich ein Lagerfeuer in der Entfernung bemerkte. Ich eilte auf das Feuer zu, in der Hoffnung, dort einen vollen Aufschluß zu bekommen; aber als ich näher kam, sah ich nur eine einsame Gestalt am Feuer sitzen – es war die Gestalt eines Frauenzimmers.

Als ich zu ihr herantrat, erkannte ich sie als eine der Wäscherinnen unserer Armee. Ich fragte sie, was sie da mache, und wohin die Armee gezogen sei. Sie sprach: „Ich weiß nichts von der Armee; ich koche meinem Manne sein Abendessen und erwarte, daß er jede Minute nach Hause kommt; sehen Sie, was für eine Menge Sachen ich für ihn geholt habe.“ Dabei deutete sie auf einen gewaltigen Haufen Teppiche, Tornister und Feldflaschen, die sie gesammelt und über die sie sich selbst als Schildwache eingesetzt hatte. Ich fand bald aus, daß das arme Geschöpf wahnsinnig geworden war. Die schrecklichen Auftritte der Schlacht hatten ihren Geist gebrochen, und alle meine Bemühungen, sie zum Mitgehen zu bewegen, waren vergeblich. Ich hatte keine Zeit zu verlieren, denn ich war jetzt überzeugt, daß unsere Armee wirklich abgezogen war.

Ich ging abermals auf Centreville zu. Ich war nur wenige Schritte gegangen, als ich den Tritt von Pferden vernahm. Ich hielt still, und als ich nach dem Lagerfeuer, das ich eben verlassen hatte, hinblickte, sah ich eine Abtheilung Cavalerie zu der Frau, die noch immer dort saß, hinreiten. Zum Glück hatte ich kein Pferd, das ein Geräusch machen oder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte; denn ich hatte das meinige bei dem Hospital gelassen, mit der Absicht bald dahin zurückzukehren. Ich war davon überzeugt, daß es feindliche Cavalerie sei, was ich sah, und daß ich mich womöglich außer Sicht halten müsse, bis dieselbe abgezogen sein werde. Zum Glück war ich in der Nähe eines Zaunes, an welchem große Haufen Reisholz aufgeschichtet waren, und da die Nacht sehr finster wurde und es zu regnen anfing, so dachte ich, ich könnte mindestens bis zum nächsten Morgen unentdeckt bleiben. Mein Argwohn, daß das wahnsinnige Weib ihnen meine Anwesenheit und Richtung, die ich eingeschlagen, verrathen haben möchte, erwies sich als richtig. Sie kamen auf mich zu, und ich beschloß, unter einen jener Reisighaufen zu kriechen, was ich that; kaum war ich darunter verborgen, so kamen sie heran und blieben an dem nämlichen Haufen stehen, in welchem ich versteckt war.

Einer der Rebellen sprach: „Sieh hier, altes Weib, weißt du es auch gewiß, daß sie es uns sagen kann, wenn wir sie finden?“ „O, ja, sie kann es euch sagen, ich weiß es gewiß,“ war die Antwort der Wahnsinnigen. Sie gingen darauf eine kleine Strecke fort und kamen dann wieder; endlich beschuldigten sie das Weib, daß es sie betrogen habe; sie fluchten und drohten, sie zu erschießen, und sie begann zu weinen. Schließlich gaben sie die Jagd auf mich als hoffnungslos auf und ritten fort, indem sie das Weib mitnahmen, und ich blieb in einer vollkommenen Ungewißheit des Geheimnisses, das sie von mir enträthselt zu haben wünschten, und zum ersten Male in meinem Leben freute ich mich, daß meine „Neugierde“ nicht befriedigt wurde. – Ich blieb dort, bis der Wiederhall der Tritte ihrer Pferde in der Ferne erstorben war; darauf kroch ich sehr vorsichtig hervor und gelangte nach Centreville, wo die angenehme Nachricht meiner wartete, daß Mr. und Mrs. B. fort waren und mein Pferd mitgenommen hatten, in der Meinung, daß ich gefangen genommen worden sei.

Das Dorf Centreville war noch nicht von den Rebellen besetzt, so daß ich ohne Belästigung mich retten konnte; aber wie konnte ich davongehen und jene Hospitäler voll sterbender Männer verlassen, ohne daß irgend Jemand ihnen einen Trunk Wasser reichte? Ich mußte noch einmal in jene steinerne Kirche gehen, selbst auf die Gefahr hin, gefangen genommen zu werden. Ich that es – und der Ruf „Wasser! Wasser!“ erscholl lauter als das Gestöhn der Sterbenden. Kaplan B. hatte ihnen, ehe er sie verließ, gesagt, daß sie sich bald in den Händen des Feindes befinden würden – daß unsere Armee sich nach Washington zurückgezogen habe und daß keine Möglichkeit vorhanden sei, die Verwundeten fortzuschaffen.

Da lagen sie und erwarteten ruhig die Ankunft ihrer grausamen Feinde, augenscheinlich bereit, sich mit Ergebung in jedes Schicksal zu fügen, das deren Grausamkeit ihnen eingeben möchte. O, wie tapfer jene Männer waren! Welchen sittlichen Muth sie besaßen! Nur die Gnade Gottes und die richtige Würdigung der großen Sache, wofür sie so hochherzig fochten und bluteten, konnte sie mit solchen beiden und solcher Demüthigung aussöhnen.

Sie Alle drangen in mich, sie zu verlassen und mich nicht der barbarischen Behandlung auszusetzen, die ich als Gefangene wahrscheinlich erleiden würde, mit dem Beifügen: „Wenn Sie bleiben, so werden die Rebellen Ihnen doch nicht erlauben, Etwas für uns zu thun.“ Einer der Verwundeten sprach: „Doctor E. ist erst vor Kurzem fortgegangen – er zog mir drei Kugeln aus dem Bein und Arm, und zwar mit seinem Federmesser. Ich sah einundzwanzig Kugeln, die er in diesem Hospital den Soldaten aus den Gliedern geschnitten hatte. Er war entschlossen, bei uns zu bleiben, aber wir wollten dies nicht zulassen, denn wir wußten, die Rebellen würden ihm nicht mehr gestatten, Etwas für uns zu thun; und Sie müssen sich ebenfalls fortmachen, und zwar sehr bald, oder sie werden Sie noch hier finden.“

Nachdem ich Wasser in den Bereich Solcher, die ihre Arme gebrauchen konnten, gestellt und Andern, die dies nicht konnten, einen Trunk gereicht hatte, wandte ich mich zum Fortgehen mit Gefühlen, die ich nicht beschreiben kann; aber ehe ich die Thür erreichen konnte, rief mich eine schwache Stimme zurück – es war die Stimme eines jungen Officiers von Massachusetts; er hielt in der Hand ein goldenes Medaillon, und als er es mir überreichte, sprach er: „Wollen Sie es gefälligst öffnen?“ Ich that es und hielt es ihm vor, damit er einen letzten Blick auf das darin enthaltene Bild werfen könnte. Er ergriff es hastig und preßte seine Lippen zu wiederholten Malen darauf. Das Bild stellte eine junge Frau von seltener Schönheit mit einem Kindlein in den Annen dar. Sie selbst schien kaum den Kinderjahren entwachsen zu sein; auf der entgegengesetzten Seite stand ihr Name und ihr Wohnort gedruckt. Während er es noch immer mit zitternder Lippe anstarrte und ich auf eine theure Botschaft für die Geliebten wartete, hörte man das unverkennbare Stampfen von Cavalerie in der Straße – in einem Nu erhaschte ich das Medaillon aus den Händen des Sterbenden und machte mich davon.




Ein Prinz und Maler Indiens.
Von Friedrich Hofmann.

In einem Zimmer des sogenannten Cavalierhauses zu Gotha saßen zwei junge, im Anfang der glücklichen Dreißig stehende Männer, der eine ein Verwandter, beide Gäste des Herzogs, beim gemeinsamen Frühstück. Ein Kenner militärischer Sitte würde in dem fürstlichen verwandten, an dessen Haltung und namentlich an dem in morgentlicher Ungezwungenheit lang herabhängenden Schnurrbart, der offenbar bestimmt war, gerade gedreht und steif gewichst, eine Freude ungarischer Husaren zu sein, ebenso leicht den österreichischen Officier, wie Jedermann im Andern an Farbe und Form des Gesichts und der orientalischen Hauskleidung auf den ersten Blick das Kind des fernen Morgenlandes erkannt haben. Im Zimmer deuteten Staffelei, Palette, halbfertige Bilder, Cartons und Skizzen aller Art an, daß man hier ernstlich der Kunst huldige.

So war es auch, und zwar von Seiten beider junger Männer; nur begnügte sich der Officier mit einer dilettantischen Pflege seines schönen Talents, während der Orientale für seine geniale Begabung die bildenden Meister in Paris und Dresden gesucht und durch seine Werke schon damals die Beachtung der Kunstwelt

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