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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Hast Recht, das ist ein trutziges Leut! Sie hat mir den Steckbrief gezeigt, der gegen uns aus’gangen ist: wenn ich ein Camerad wär’ von dem Räuberhauptmann, sagte sie, so richt’ es ihm fein aus, daß er uns Alle in Schand und Spott gebracht hat, daß er den Vater und mich und alle Drei auf dem Gewissen hat!“

„Alle Drei? Wie ist das gemeint?“

„Sie hat so gesagt, weil noch ein Drittes in der Stuben war – ein andres Madel …“

Hiesel faßte den Erzähler am Arm und sah ihm in starrer Erwartung, den Athem anhaltend, in die Augen. „Wer?“ preßte er dann heraus. „Kannst mir nit sagen, wie das Madel heißt?“

„Das wohl, sie hat mir’s ja selber gesagt. Sie war ganz schwarz angezogen und ist vor mich hingestanden und hat mich gar eigen angeschaut mit ihren großmächtigen blauen Augen. ‚Wenn Du den Hiesel siehst,‘ hat sie gesagt, ‚so sag’ ihm’s auch, daß er an mich denken soll – die Monika hat ihn nit vergessen …‘“

„Monika?“ rief Hiesel aufspringend mit solcher Gewalt des Ausdrucks, daß auch die Gefährten sich erhoben. Keiner von ihnen wurde darüber den Kopf des Rothen gewahr, der lauschend am Fenster sichtbar geworden, bei der ersten Bewegung der Sprechenden aber verschwunden war.

Hiesel hatte sich an die Brust des Tirolers geworfen. „Freund … Camerad, Bruder,“ rief er wie außer sich, „sag’ mir’s noch einmal! Die Monika war bei meinen Leuten? Sie denkt noch an mich? Sie ist nit verheirathet?“

„Davon hab’ ich nichts gehört. Beim Fortgehn ist die Schwester mit hinaus; die hat mir gesagt, das Madel hätt’ eine Verlobniß gemacht, daß sie ledig bleiben wollt’! Sie thut still ihre Arbeit und ist fleißig für zwei – jeden freien Augenblick aber benutzt sie zum Beten, sie hat ein gar schweres Anliegen auf dem Herzen. … Sie ist immerfort schwarz angezogen, wie wenn sie mit der Klag’ ging, und sieht aus, als wenn sie nie einen Tropfen Blut im Gesicht gehabt hätt’. Die Schwester meint, es sei nimmer ganz richtig mit ihr … in ihrem Kopf …“

Hiesel hatte zu lange und zu fest an dem Gedanken festgehalten, daß Monika sich über die Trennung von ihm leicht getröstet und ihn vergessen habe, als daß diese Nachricht ihn nicht auf’s Tiefste erschüttern sollte. Fassungslos, wie Einer, in dessen Händen der letzte Stab zerbricht, auf den er sich mit trotzigem Vertrauen gestützt, brach er in sich zusammen; wieder lag er, wie damals im Vaterhause, die Arme auf den Tisch gekreuzt und das Angesicht in ihnen bergend, wieder war sein Gemüth zerknirscht und weich, wie damals bei den Worten des redlichen Pfarrers und gegenüber den vorwurfsvollen halberblindeten Augen des Vaters.

„Cameraden,“ sagte er, nach geraumer Zeit sich entschlossen aufrichtend, „es bleibt dabei, wir gehen nach Ulm und suchen die preußischen Werber auf … aber nicht sogleich! Geht Ihr voran – ich muß zuvor noch einmal in meine Heimath, muß meinen Vater noch einmal wieder sehen und die Monika, muß sie trösten und von ihnen Abschied nehmen …“

„Nein, Hiesel, das geht nit an!“ unterbrach ihn der Tiroler. „Das wär’ allzugefährlich. Ich hab’s auf meiner Wanderschaft jetzt gesehen, wie sie von allen Seiten nach Dir aus sind, Du bist zu bekannt – eh’ Du nach Kissing kommst, bist Du zehnmal gefangen!“

„Das fürcht’ ich nit … dort ist Niemand, der mich verrath’t, und einmal wird mir ja mein altes Glück noch beistehn, daß ich mich durchschleichen kann! Ich will schon machen, daß sie mich nit kennen … Ich muß hin, Cameraden; also halt’s mich nit auf – ich mach’ mich gleich auf den Weg …“

„So wart’ doch nur, Hiesel!“ rief der Tiroler, ihn festhaltend. „Es geht schon stark auf Mittag, wo willst heut noch hinkommen?“

„Der Wirth muß mir ein Fuhrwerk besorgen,“ entgegnete Hiesel, „so komm’ ich heute noch bis Osterzell und morgen nach Haus … B’hüt Gott, Cameraden … in Ulm sehn wir uns wieder?“

„Nein,“ begann der Tiroler wieder, „wenn Du’s denn durchaus willst, so geh’, aber nicht allein, Du begiebst Dich in eine große Gefahr – da soll’s nit heißen, daß wir Dich allein gelassen haben … wir gehn mit Dir!“

„Das geht nit … gerade wenn unser mehrere beisammen wären, könnt’s verdächtiger werden …“

„Dann begleiten wir Dich nach Osterzell und bleiben dort, bis Du zurück kommst – da sind wir doch für alle Fälle nicht gar zu weit weg, das darfst uns nit verweigern, Hiesel …“

Hiesel reichte ihnen die Hand; sie gingen, den Wirth zu bereden, der bereitwillig das Fuhrwerk zu besorgen versprach und dem Knechte zurief, er solle die Füchse anschirren und den langen Schlitten aus dem Schuppen ziehn.

Während der Knecht damit beschäftigt war, ging ein Gäumetzger an ihm vorüber und blieb wie zufällig stehn. „Wo geht das Fuhrwerk hin, Landsmann?“ fragte er unbefangen. „Könnte man vielleicht mitkommen?“

„Nach Osterzell,“ erwiderte arglos der Knecht, „wird auch schon besetzt sein …“

„Thät’ mir auch nichts nützen … mein Weg geht da hinaus,“ sagte der Metzger und schritt in entgegengesetzter Richtung weiter. Hinter dem nächsten Hause aber blieb er stehn, bis der Schlitten bespannt war und mit Hiesel und seinen Gefährten pfeilschnell über die gehärtete Schneebabn dahinflog. „Fahrt nur zu,“ rief er ihnen nach. während der Fuhrmann lustig mit der Peitsche knallte und das Schellengeklingel sich schon in der Ferne verlor, „hast einen tüchtigen Vorsprung, Hiesel, wie allemal … aber ich hol’ Dich doch noch ein!“

Mit raschen Schritten eilte er die einsame Waldstraße hinan, der verlassenen Schmiede zu, und blickte, dort angekommen, scharf spähend über die winterliche Ebene hin. „Dort!“ rief er plötzlich in wilder Freude. „Was blitzt dort über den Schnee herauf … Eins, Zwei, Drei! Sie sind’s – es sind Soldaten – sie haben meine Botschaft also doch erhalten und kommen just zur rechten Zeit! Halloh!“ rief er und schwenkte wie grüßend die Mütze, „jetzt hat meine glückliche Stund’ geschlagen!“ Er eilte in die Stube, leerte den Wandschrank und machte sich daran, allerlei kleine Habseligkeiten in einen Bündel zu packen, wie Einer, der einen Ort verläßt, an den er nimmer wieder zu kehren gedenkt.

Er war noch vollauf beschäftigt, als Faustschläge an das Thor der Schmiede krachten und das Klirren niedergestoßener Gewehre hörbar wurde. Er öffnete und einige stattliche Grenadiere traten mit dem Anführer des Detachements in die Stube.

„Ist Er’s “ rief ihn der Lieutenant an, „der versprochen hat, den bairischen Hiesel auszukundschaften und uns zu überliefern?“

„Der bin ich,“ sagte der Rothe keck.

„Gut. Vorwärts dann! Wo ist der Versteck der Räuber? Führ’ Er uns hin!“

„Oho,“ erwiderte der Rothe mit häßlichem Lachen, „so geschwind wird das nicht gehn! Zuvor sind da ein paar Kleinigkeiten, die abgemacht werden müssen … Wie sieht es mit den tausend Gulden aus, die Demjenigen versprochen sind, der den bairischen Hiesel ausliefert?“

„Die soll Er haben – aber nur vorwärts!“

„Soll sie haben! Ist leicht gesagt … aber wann und wo? Das muß ich vorher wissen: ich mag nicht etwa nach Dillingen oder Augsburg hineingehen, und bei dem Köder stecken bleiben, wie die Maus in der Falle! Und wenn es vorbei ist, kann ich auch nicht mehr in der Nähe bleiben, der Hiesel hat noch immer gar viele Freunde – ich muß auf der Stelle fort!“

„Gut.“ rief ungeduldig der Lieutenant. „In dem Augenblick. wo Hiesel sich wirklich in unserer Gewalt befindet, zahl ich Ihm die tausend Gulden aus – ich habe sie zu diesem Zwecke in vollwichtigen Ducaten bei mir …“

„Schön – dann fehlt nur noch Eins …“ begann der Rothe wieder, den Officier und seine stattlichen Gefährten mit noch immer mißtrauischen Blicken musternd. „Wenn ich mitgehe und die Herrn führe … wer steht mir dafür, daß Sie nicht denken, … weil ich so gut Bescheid weiß um die Bande, ich könnt’ auch dabei gewesen sein, und behalten mich mit den Andern?“

„Es soll Ihm nichts zu Leid geschehn,“ rief der Lieutenant, „ich habe Vollmacht, Ihm General-Pardon zu geben für Alles, was er gethan hat, bis zum heutigen Tag’ – dafür bürgt Ihm mein Wort als Officier … ich bin der Grenadier-Lieutenant Schedel … Nun werden Seine Bedenken wohl zu Ende sein? Wo finden wir den Hauptmann?“

„Wenn Sie um ein Stündchen früher gekommen wären, hätten Sie ihn schon in Ihrer Gewalt … jetzt wird’s einen weitern Weg kosten und nicht so leicht abgehen. Lassen Sie Ihre Grenadiere den Weg am Walde hinab einschlagen: der Hiesel ist

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