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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Niemals … lieber als Dich, lieber nehm’ ich selber … Galgen und Rad …“

„Aha,“ rief er mit wüstem Lachen, „giebst sie jetzt einmal auf, die Rederei mit dem Rechtschaffenwerden? Gestehst es ein, daß es was Anderes ist, warum Du von mir nichts wissen willst? Und ich sollt’ Dich auslassen? Ich sollt’ dem übermüthigen Menschen noch helfen, der mich überall verdruckt und verdrängt hat, der mich fortgejagt hat wie einen Aussätzigen? Nein, Schatz … er ist mir gewiß und Du bist es auch … wirst sehen, daß der Rothe doch über den bairischen Hiesel in die Höh’ kommt …“

„Du wirst nit, Rother,“ sagte sie feierlich, „Du wirst nit – denk’ an mich! Du hast mich betrogen und verrathen – das bleibt Dir nit geschenkt! Ich Narr,“ fuhr sie, sich vor die Stirn schlagend, fort, „wie hab’ ich nur so dumm und blind sein können, Dir zu glauben! Ich hab’s nit gewußt, daß er Dich fortgejagt hat, aber ich hätt’s denken können, daß er einen solchen Menschen unter seinen Leuten nit leiden wird!“

„Einen solchen Menschen?“ knirschte der Rotbe. „Und was bin ich denn für ein Mensch? Bin ich etwa schlechter als gewisse Leut? … Er hat mich nit leiden wollen unter seinen Leuten .. dafür hab’ ich ihm Dich gestohlen und Du sollst mich leiden müssen, Dir und ihm zum Trotz! Richt’ Dich nur zusammen, Kundl … gegen Abend komm’ ich nochmal und morgen in aller Früh geht’s fort, in die Schweiz, mit dem vollen Geldsack und mit Dir! … Ich laß Dir Licht da, eine Flasche Wein, Brod und ein wenig Fleisch … laß Dir die Zeit nit zu lang werden! Wenn ich wieder komm’, bleib’ ich schon länger bei Dir, wie sich’s für den Buben schickt, der zu sein’m Schatz geht … wirst schon noch aus einem andern Ton pfeifen, wenn Du siehst, daß Dir doch nichts Anderes übrig bleibt!“

Er ging; unsäglicher Abscheu malte sich in Kundel’s verblichenen Zügen; die Fallthür schloß sich. Die alte Dunkelheit kehrte in den Keller zurück, aber in der Seele der Gefangenen war es licht. Das Gewissen war wach geworden und hatte zu ihr gesprochen in der Einsamkeit, immer lauter, immer dringender, ernst, unerbittlich und unentrinnbar; es hatte den Entschluß aus dem Waldhause wieder aus Schlaf und Betäubung geweckt, – er stand wieder fest vor ihrer Seele, diesmal aber gereinigt und ohne die Beimischung eigennütziger Absicht, deren Erreichung früher gewissermaßen als Preis und Lohn der Besserung bedungen worden. Der Weg zur Läuterung hatte sie noch tiefer in den Sumpf gerathen lassen, aber in der höchsten Noth hatte sie unter den versinkenden Füßen festen Boden erspürt, der ihr ein sicherer Pfad zu werden verhieß … sie hatte keine Thränen der Reue in den glühenden Augen, aber ein Gebet aus schuldloser Kinderzeit tauchte wie ein Stern in ihrer Seele empor, von ihm sank es herab auf ihre dürstenden Lippen wie ein Thautropfen auf die verschmachtende Pflanze, und in schwerer Abspannung entschlummernd flüsterte sie:

„Schutzengel, den mir Gott vermeint,
Bewahr’ mich vor dem bösen Feind …“

… Indessen war Hiesel nur eine kleine Strecke entfernt, jenseits des Waldes, am Fuße des Berges, in einem Wirthshause, dessen Eigenthümer zu den Vertrauten gehörte, welche auch im Unglück dem Verfolgten mindestens einen Theil der alten Anhänglichkeit bewahrt hatten. In der Stube, am Ofen saß Hiesel mit dem Rest seiner Genossen, einer von Mangel, Verfolgung und Abfall schon sehr gelichteten Schaar; nur der Tiroler und der Lissabonerbäck waren noch bei ihm, während der Sternputzer mit dem Blauen und dem Sattler vor dem Hause von Zeit zu Zeit Spähe hielt oder der Küche und den Vorbereitungen des kommenden Mittagmahls einen Besuch abstattete. Sonst war die Stube leer; zu den Fenstern, handhoch aufgeweht, sah der Schnee herein und manchmal rüttelte der Wind an den Läden des Fensters, das sich unweit des Ofens, im Rücken der Anwesenden befand.

Lange hatte Hiesel die Ausführung des Entschlusses mit sich herumgetragen, den er damals gefaßt, als er an der Leiche des Soldaten den Morgen herangewacht hatte, als in den nächtlichen Stunden alle die verhängnißvollen Erlebnisse jenes Tages an seiner Seele vorübergezogen, der Abfall des Volks, der Verlust von Allem, was ihm mit besonderer Treue angehört und woran sein eigenes Herz mit noch steterer Treue gehangen hatte. Es war ihm klar geworden, die Rolle des Wildschützen-Hauptmanns, der ein mißhandeltes Volk gegen den Rechtsmißbrauch einer übermüthigen Macht zu vertheidigen gewähnt, war zu Ende gespielt – er war sich bewußt, sie wohl durchgeführt zu haben, und es galt nur, den Schauplatz mit Ehre, wie er ihn behauptet, auch zu verlassen. Studele’s Entfernung und der Tod des Musketiers hatten den Gedanken in ihm hervorgerufen, auch den Soldatenrock anzuziehn; verlautete es doch immer allgemeiner und bestimmter, daß der preußische Fritz mit Rußland im Bunde sei und einen großen Zug nach Polen vorbereite. Dort wollte er vergessen werden von einem Volke, das ihn mit Undank gelohnt, dort wollte er selber vergessen lernen, daß er sein Leben und dessen Glück an einen Irrthum vergeudet hatte. Die Ausführung des Vorhabens hatte er noch immer verschoben; er hielt es gegen seine Pflicht als Hauptmann, die Gefährten, die sich ihm angeschlossen und deren Unterhalt ihm oblag, vorzeitig und nur um seiner selbst willen zu verlassen; auch lag ihm daran, über Kundel’s unbegreifliches Verschwinden bestimmte Nachricht zu erhalten. Die Vermuthung, daß sie, des Räuberlebens überdrüssig, wieder zu ihrem Vetter in’s Waldhaus zurückgekehrt sein möge, lag nahe; er wollte Gewißheit darüber haben und hatte deshalb den Tiroler abgeschickt, Erkundigung einzuziehn. Dieser war zurückgekehrt und hatte eben seinen Bericht beendet. Der treue Bursche war allen Spuren gefolgt, aber außer Stande gewesen, etwas Bestimmtes zu erfahren; in’s Waldhaus war sie nicht wieder zurückgekommen. In einem Dorfe war ihm gesagt worden, die Kramer-Kundl war eines Tags krank angekommen und einige Wochen schwer nieder gelegen; darüber mochte sie die Spur der Bande verloren haben, der sie doch der Sicherheit wegen keine Nachricht zukommen lassen konnte; dann war ein Mann gekommen, bei dessen Anblick sie sehr erfreut gewesen und den sie als einen alten Bekannten begrüßt habe – mit dem habe sie das Dorf vor einiger Zeit verlassen und seither sei jede Spur von ihr verschwunden; es sei zweifellos, daß sie entweder verunglückt oder aus dem Lande fortgezogen sei, oder daß sie sich wohl gar absichtlich irgendwo verborgen habe und nicht gefunden werden wolle.

Hiesel vernahm die Nachricht mit Trauer und doch ohne Schmerz: hatte sie freiwillig sich von ihm getrennt, so war er von jeder drückenden Rücksicht entledigt, und war sie gestorben, so mußte es als eine Wohlthat für Beide erscheinen, wenn ein Leben hinter ihr lag, dessen Zukunft noch dunkler zu werden drohte, als seine Vergangenheit es gewesen. Die letzte äußere Fessel, die ihn noch mit seinen bisherigen Kreisen zusammengehalten, war gebrochen; er zögerte nicht länger, den ihm noch gebliebenen Genossen seinen Plan mitzutheilen.

„Ich gehe mit Dir,“ sagte der Lissabonerbäck, „Polen hab’ ich noch nicht durchwandert – ich will es unter der Muskete thun, das wird nicht schlimmer sein, als das Felleisen auf dem Rücken zu tragen – hoffentlich werd’ ich den Werbern noch gut genug sein für Kanonenfutter!“

„Auch ich gehe mit!“ rief der Tiroler nach einigem Nachsinnen. „Schon auf dem ganzen Weg hierher hab’ ich mir’s bedacht, daß es so nicht mehr fortgehn kann und daß wir etwas thun müssen, wenn wir uns nicht einkreisen lassen wollen wie das Wild bei einem Treibjagen. Ich hab’s gesehen, wie man von allen Seiten nach uns auf der Pass’ ist! Wir müssen fort und der Weg nach Ulm ist der rechte Weg, Hiesel … so sag’ ich und so werden auch, von wo ich herkomm’, Alle sagen …“

„Von wo Du herkommst?“ fragte Hiesel staunend. „Wo ist das?“

„Das kannst Dir wohl denken,“ war die Antwort, „wie Du mich in’s Waldhaus geschickt hast, hab’ ich Dir’s im Gesicht angesehn, daß Du mich gern noch anderswohin schicken möchtest … ich hab’ gewußt, daß dort in der Gegend herum Deine Heimath ist, da hab’ ich sie halt aufgesucht und bin hin’gangen …“

„Du bist in Kissing gewesen?“ rief Hiesel in steigender Bewegung. „In mein’ elterlichen Haus? Hast meinen Vater gesehen?“

„Ja.“

„Und wie … geht’s ihm?“ fragte Hiesel und drückte die Hände vor die Augen.

„Das kannst Dir auch wohl vorstellen … es ist ein gar altes Mann’l, schon völlig blind … die Schwester zankt über ihn und sagt, er weint den ganzen Tag…“

„Der Schwester freilich wird kein Aug’ naß wegen meiner!“

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