Seite:Die Gartenlaube (1865) 376.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Ein canonisirter Heiliger, der nie gelebt hat.
Von Alfred Meißner.

Von jeher mit Vorliebe der Lectüre von Büchern zugekehrt, welche den Glaubens- und Gedankenkreis vergangener Jahrhunderte abspiegeln, las ich unlängst mit großem Interesse eine voluminöse Chronik: Vita Papae Benedicti XIII., „das ruhm- und wunderwürdige Leben Papst Benedict’s des Dreizehnten aus dem Hause Orsini“.[1] Das lebendigste Bild Roms, wie es zu Anfang des vorigen Säculums gewesen, stand da vor mir. Im Grunde sind die Verhältnisse von den heute bestehenden nicht gar sehr verschieden. Da giebt es hundertfache Noth und Bedrängniß des päpstlichen Stuhls, zügelloses Treiben in den Kreisen des Adels und der Prälaten, eine geleerte Staatskasse, Raub, Mord und Todtschlag in den Gassen der heiligen Stadt; mitten darin aber, wie unbekümmert um alle Zeichen drohenden Zusammensturzes, steht ein Greis, unermüdlich beschäftigt durch Allocutionen und Heiligsprechungen, d. h. durch Vermehrung der himmlischen Schutzpatrone das Wohl der katholischen Menschheit zu fördern. Die Aehnlichkeit des Charakters Benedict des Dreizehnten mit dem Sr. jetzt regierenden Heiligkeit ist unverkennbar, und sieht man nun das in Kupfer gestochene Portrait Benedict’s in seinem Häublein an, so ist man neu überrascht, auch in den Zügen die größte Aehnlichkeit Beider wieder zu finden.

Vor vielem Andern interessirte mich in dieser Chronik die Beschreibung der Canonisation Johann’s von Nepomuk. Man müßte nicht in Böhmen geboren sein, um nicht eine besondere Devotion für diesen Heiligen im Blute zu haben. Er ist der Schutzpatron des Landes, er blickt von der uralten Steinbrücke Prags wie ein Schirmgott über Strom und Inseln, zu seinen Ehren entzünden sich allabendlich, sobald es dunkelt, die fünf Laternen über seinem Standbild, welche an die fünf Sterne mahnen, welche über seinem Leichnam schwammen. Sein Namensfest bringt Leben und Bewegung in die sonst so melancholisch und verdrießlich hinbrütende gefallene Königsstadt. Es fällt in die schönste Maienzeit. Mehrere Tage zuvor wogen alle Landstraßen von Wallfahrern, die sich langsam, Litaneien abbetend und fromme Lieder singend, in geschlossener Heeressäule gegen Prag bewegen. Bald wimmelt die Stadt von ländlichen Ankömmlingen in den verschiedensten Trachten: denn auch die Schwesterländer Mähren und Schlesien haben Repräsentanten geschickt. Die Brücke und die Domkirche besonders sind das Ziel aller Wanderungen. Am Vorabend des Festes gleichen die Gassen der Altstadt einem wimmelnden Ameisenhaufen. Alle Wirthshäuser sind überfüllt. Hunderte von Menschen, Männer und Frauen, welche kein Unterkommen finden oder den Schlafkreuzer sparen wollen, betten sich endlich, in landsmannschaftlichen Gruppen zusammengedrängt, einer uralten Sitte gemäß auf dem Trottoir der Steinbrücke, am liebsten in unmittelbarer Nähe des Heiligen. Tags darauf hallen alle Glocken, das Volk wandert von Kirche zu Kirche. Abends, sobald es dunkelt, füllen sich die Brücken und Quais mit Tausenden und Abertausenden. Wenn dann die Raketen in den dunkelblauen Himmel hinansteigen, auf der Spitze der Schützeninsel das „Heiliger Johannes, bitte für uns!“ in Flammenschrift erscheint und dieser sich Aller Augen zuwenden – da leugne noch Einer, daß dieser Heilige nicht lebendig im Volksbewußtsein stehe!

Die Canonisationsbulle bezeichnet Johann von Nepomuk als einen Mann, der nach göttlicher Veranstaltung zur Welt kommen mußte, „als in den von Christo gepflanzten und mit seinem Blute begossenen Weingarten ein brennender Wind ketzerischer Lehren eingebrochen.“ Da sollte er „gleichsam wie eine Schlange aufgerichtet werden.“

Er war Prager Canonicus und Beichtvater der Königin Johanna, Gemahlin Wenzel des Vierten, welche an der Seite ihres ausschweifenden Gatten ein kummervolles Leben führte. Die Acte erzählt die aller Welt bekannte Geschichte: Der König beargwohnt die Tugend seiner Gemahlin: er läßt den Beichtvater rufen und verlangt zu wissen, was ihm die Königin gebeichtet. Der Priester giebt zuerst eine ausweichende Antwort, er habe die Sünden der Königin nicht mehr im Gedächtniß; der entrüstete König, des Widerspruchs ungewohnt, läßt ihn in den Kerker werfen und foltern, und als er auch dann seinen frommen Widerstand nicht zu besiegen vermag, ihn in einen Sack binden und in die Moldau werfen. Da erglänzen sogleich fünf Sterne über den Wellen und verrathen den Ort, wo die Leiche liegt. Der König, erschreckt von diesen Zeichen, eilt in die Feste Zebrak. Alles dieses geschieht nach den Canonisationsacten im Jahre 1383.

Wo es sich um eine Heiligsprechung handelt, wird vor Allem die Frage nach den Wundern in’s Auge gefaßt, und die Rota Canonizationis, der römische Kirchenrath, wo die Heiligsprechungen verhandelt werden, hat vor Allem zu prüfen, welche Wunder dieser oder jener zu Canonisirende gewirkt hat. Die außerordentliche Gabe, als sterblicher Mensch auf Erden Wunder zu wirken, ist nämlich das sicherste Kriterium der das ganze Subject durchdringenden „heiligmachenden Gnade“. Neu stattfindende Canonisationen erwecken wohl bei Manchem einen Zweifel und er denkt so in seinem unvernünftigen Sinne: ist es nicht eine Vermessenheit des päpstlichen Stuhles, Jene zu bezeichnen, welche die Heiligen Gottes sind, und somit seinen allerhöchsten Hofstaat ausmachen? Sollte Gott auch wirklich alle als Heilige acceptiren, welche ihm die Kirche vorgeschlagen hat? Aber der Theolog hat die Antwort hierauf fertig, und zwar eine schlagende Antwort. Er sagt: Eben durch die Wunder, die aus der göttlichen Gnade fließen, und welche zu wirken dem oder jenem beschieden ist, hat Gott ja bereits angezeigt, daß ihm dieser als Heiliger convenirt, und daß er ihn in den Chor der Heiligen berufen hat. Dies ist unwiderleglich, und es wird sonach von der Rota Canonizationis nur zu erwägen sein, ob wirklich übernatürliche Thaten vorliegen. Man fordert deren vier, um desto sicherer zu gehen; jedoch kann der Heilige auch vom vierten Wunder dispensirt werden. Je mehr der Wunderwerke vorliegen, umsomehr wird die Heiligkeit eines Heiligen geschätzt, denn desto voller scheint er der Gnaden zu sein. Dessenungeachtet kann die Heiligkeit, wie auch die Theologen eingestehen, nicht allein in den Wunderwerken bestehen, sonst müßten die Mutter Gottes, sowie auch Johannes der Täufer gar nicht zu den Heiligen zu zählen sein. Von Maria ist weder in den Evangelien, noch anderswo zu lesen, daß sie ein Mirakel gewirkt, von dem heiligen Vorläufer Johannes aber steht (Ev. Joh. 10) klar geschrieben, daß er weder Zeichen noch Wunder gethan. Doch diese Beiden sind Ausnahmen von der Regel, im Allgemeinen gilt der alte Spruch: Keine Heiligkeit ohne Wunder!

Was nun das Leben des heiligen Johannes von Nepomuk betrifft, so steht es allerdings im Punkte der Wunder gegen das des heiligen Dominicus, des heiligen Franz von Assisi, des heiligen Anton von Padua weit zurück. Das Leben dieses letzteren, welcher „das Licht der Welt“ genannt wurde, ist von Wundern überfüllt. Die Anrufung seines Namens genügte Stürme zu beschwichtigen und die Menschen aus den drohendsten Lebensgefahren zu befreien; ja es schien, als ob dieser außerordentliche Heilige zürne und gewaltig unzufrieden werde, wenn man über seine eilfertige Hülfe nur den leisesten Zweifel hege! Bekannt und von allen Theologen beglaubigt ist seine Antwort an den Jesuiten Pater Coluago, die ich hier so beiläufig anführe. Ein Roß war aus dem Stall eines armen Bauersmann gestohlen worden. Die betrübte Bäuerin wußte keinen bessern Rath als zum Pater Coluago zu laufen. Dieser, als er ihre Klage vernommen, schlug die Augen gen Himmel und rief mit gewohnter Zuversicht zu seinem heiligen Vorsprecher: „Hilf, heiliger Antonius!“ Nun befahl er dem Weibe, nach Hause zu gehen, das verlorene Roß werde sich schon einfinden. Sie jedoch, die aus Furcht vor ihrem zornigen Gatten sich nicht nach Hause begeben wollte und auch der Meinung war, das Roß sei noch nicht gefunden, nahm noch einmal ihre Zuflucht zu Pater Coluago mit den Worten: „Der heilige Antonius habe noch nicht geholfen!“ Nun ergriff Coluago den ersten besten Stein, legte ihn in des Weibes Hand und sprach: „Gehe flugs in die Franziscanerkirche zum Altar des heiligen Antonius und richte ihm die Worte aus: ‚Pater Coluago lasse ihm sagen, er habe ein härteres Herz, als dieser Stein!‘“ Das Weib legte den Stein auf den Altar und ging davon, beim Rückweg

  1. Frankfurt bei Christ. Riegel. 1831.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_376.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)