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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Schon im Alter von drei Jahren brachte ich ihn nach einer Spielschule, und zwar nach der hiesigen Mägdeherberge. Da gefiel es Fränzchen auch sehr gut; der Umgang mit den lieben kleinen Kindern, das Spielen dort und seine liebe Lehrerin Clara machten ihm recht viele Freude; des Morgens brachte ich ihn hin und Nachmittags holte ich ihn in der Regel ab, sein Mittagbrod aß er in der Herberge. Die ersten Sprüche, die er lernte, waren: „Wer da glaubet und getauft wird etc.“ und: „Gehet hin in alle Welt etc.“ Diese beiden Sprüche wurden sein ganzes Leben, es bewegte sich dasselbe in diesen Sprüchen; ich fragte ihn öfter: „Fränzchen, hast Du den Herrn Jesum lieb?“

„Ja, lieber Papa!“ sagte er.

„Warum hast Du Ihn denn lieb?“ fragte ich weiter, dann antwortete er:

„Weil Er mein lieber Heiland ist.“

Darauf fragte ich: „Warum ist Er denn Dein lieber Heiland?“

„Weil Er mir meine Sünden vergiebt,“ war seine Antwort; und wenn ich dann noch fragte:

„Hat der liebe Heiland Dir denn schon Sünden vergeben?“ so sagte er: „O ja! in der Taufe hat Er mich zu Seinem lieben Kinde gemacht, und wenn ich unartig bin, dann bete ich, und dann vergiebt Er mir wieder.“

Später brachte ich Fränzchen in eine Spielschule, die in der Stadt ist, und da hat er sehr viel Schönes gelernt durch seinen Lehrer, vom lieben Herrn Jesus sowohl, als auch von den lieben Engelein, von Adam und Eva, von Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Joseph und seinen Brudern, von Saul und David, von Daniel und den lieben Aposteln, ja auch vom bösen Feinde, vom Teufel. Den letzteren und die Hölle fürchtete er, sonst hatte er gar keine Furcht, er ging im Finstern, wohin er geschickt wurde, und lachte sein kleines Brüderchen immer aus, das sich vor dem Schornsteinfeger und im Finstern fürchtete. Als er zusammenhängend sprechen lernte, war sein Erstes das Gebet. Als ich ihm einst sagte: „Liebes Fränzchen, Du mußt immer nur um den heiligen Geist bitten,“ da wurde der Grundzug seiner Bitte, die er knieend verrichtete: „lieber Herr Jesu, vergieb mir doch alle meine Unartigkeit, schenke mir doch ein reines Herz und Deinen heiligen Geist!“ Des Abends bat er mir dann auch alle Unarten ab und ich sagte nun zu ihm: „Ich vergebe Dir!“ damit er dem Worte glauben lernen sollte.

Nach dem Morgen- und Abendgebet der Kinder pflegte ich stets die Kinder, wie ich das von einer frommen Wittwe gelesen und gelernt, zu segnen. Dieser Segen war ihm zum Bedürfniß geworden. Selbst in dem Falle, wo ich beim Schlafengehen der Kinder nicht zugegen war, sagte er stets wiederholt zu seiner Mutter: „Liebe Mama, sage doch dem Papa, er soll nicht vergessen mich zu segnen.“ Wenn er in’s Bett gestiegen war, so hatte er noch zwei Bitten an seinen lieben Heiland: „Lieber Herr Jesu,“ betete er, „laß mich doch nicht das Bett verunreinigen;“ und dann: „lieber Herr Jesu, schick’ mir jetzt doch die Engelein und laß mich einschlafen.“ Sein kleines Brüderchen ist träger zum Beten und Fränzchen gab sich viel Mühe, ihn zu belehren: „Rudolph,“ sagte er, „erst mußt Du beten, ehe Du Deinen Kaffee trinkst oder die Schrippe issest,“ und wenn Rudolph noch nicht wollte, so sagte er ihm, wie auch bei anderer Gelegenheit, wenn er unartig war: „Jetzt ist der böse Feind in Dir, wenn Du nicht betest und unartig bist, da kommst Du in die Hölle, wenn Du aber betest, dann ist der liebe Herr Jesus in Dir und die lieben Engel freuen sich.“ Und das sagte er so ernsthaft und entschieden, daß ich oft erstaunt war. Wenn aber Rudolph dennoch nicht hören wollte, so klagte er ihn bei mir an. Sobald Jemand krank wurde, oder er hörte und sah, daß Jemand etwas that, was ihm nicht recht dünkte, da knieete er bald nieder und betete für ihn, und that das alle Tage, bis ich sagte: „Nun ist es genug.“ Bei all’ seinem Gebet war er der unbedingten Erhörung gewiß. Wenn er vom Gebet aufgestanden war, dann sagte er sehr oft: „Nun hilft der liebe Herr Jesus; wenn ich Amen sage, dann sagt er auch Amen.“ Und wenn er wegen seines Gebets verspottet wurde, was auch geschah, so war er sehr empört darüber, daß man sagte, der Herr Jesus helfe uns doch nicht.

Doch sollt ihr, lieben Leser, ja nicht denken, daß Fränzchen nicht auch seinen alten Adam an sich hatte, der trat auch manchmal hervor und hat die Ruthe bekommen müssen, und Fränzchen war lieber und eher geneigt, dem Herrn seine Unartigkeit abzubitten, als seinen Eltern, und hat dieserwegen manchmal Strafe erhalten müssen, damit er es lerne, auch Menschen um Vergebung zu bitten. Seine Strafe nahm er sehr oft geduldig an und ist dieserhalb anderen lieben Gotteskindern zum Segen geworden, welche sahen, mit welcher Willigkeit er mir seine Hand zur Bestrafung hinreichte, mit der er eine Unart begangen hatte. Im vorigen Jahre ereignete es sich einmal, daß, als Franz und sein Brüderchen Rudolph zu Bette gegangen waren, der Letztere, welcher ein sehr unruhiges Kind ist, wiederholt unartig war; ich verbot es ihm; als er aber nicht von seiner Unart ließ, ging ich nach der finstern Stube an das Bette der Kinder und züchtigte das Kind, welches an der Stelle lag, wo Rudolph zu liegen pflegte. Das gezüchtigte Kind gab aber keinen Laut von sich und das fiel mir dermaßen auf, daß ich Licht nahm, um es zu sehen. Doch wie erstaunte ich, als ich bemerkte, daß ich statt des Rudolph den Franz geschlagen hatte, der sonderbarer Weise mit Rudolph seinen Platz gewechselt hatte. Mein Erstaunen steigerte sich zu einem unbeschreiblichen Mitgefühl, als ich das unschuldig geschlagene Kind sah, welches, ohne sich zu beklagen, mit sanftmüthigen Augen mich ansah und still und ruhig sagte: „Lieber Papa, Du dachtest wohl, es ist Rudolph.“ So manch’ liebes Gotteskind hat im Stillen gleich den Eltern dem Herrn für die Gnade gedankt, die Er dem Franz gegeben, denn sein ganzes Leben war größtentheils ein gar liebliches, er bestrebte sich artig zu sein und sagte oft: „Lieber Papa, ich möchte gerne sehr artig sein.“

Aber auch der zweite Spruch, den Fränzchen zuerst gelernt hatte: „Gehet hin in alle Welt etc.“ hatte bei ihm Frucht geschafft; er hatte Missionssinn und wollte selbst Missionar werden. Wenn man ihn, von den Gefahren erzählte, denen die Missionare ausgesetzt sind, so entfiel ihm der Muth; wenn man ihm aber sagte: „Der Herr Jesus hat aber befohlen, daß den armen Heiden Sein Wort soll bekannt gemacht werden, und Er schützt auch alle Seine Kinder,“ so sagte er in seiner Einfalt: „Dann will ich doch hingehen.“

Als nun an jenem Montag Morgen mein Fränzchen die oben gesagte Rede mit uns gehabt, dachten wir bald nicht mehr daran, ließen ihn aber im Bette bleiben; aber am Abend wurde sein Husten bedenklicher und sein Athem kürzer. Da legten wir ihm dann einen Senfteig und gaben ihm Thee, den Herrn bittend, Er wolle die Arzenei segnen. Aber Dienstag früh sah es mit Fränzchen noch schlimmer aus; der Doctor wurde geholt, der verschrieb ihm viel Arzenei und sagte, er habe die Halsbräune. Nun mußte er viel aushalten. Tag und Nacht bekam er heiße Umschläge um den Hals und zwar so sehr oft, daß er gar nicht schlafen konnte und immer bat, wir sollten ihn doch nur schlafen lassen; doch da war nicht zu helfen, wir mußten den Anordnungen des Arztes um des Herrn willen Folge leisten. Fränzchens Mutter wurde am Dienstag Abend vom Herrn schon darauf vorbereitet, was Er mit demselben vorhatte; sie schlug in Bogatzky’s Schatzkästlein den Abendspruch vom 6. März auf. (Wer das Büchlein hat, lese ihn.)

Am Freitag früh hatte die Krankheit sich so sehr verschlimmert, daß in Eile ein zweiter Arzt geholt werden mußte. Fränzchen lag fast im Sterben; da sagte der Arzt, es bliebe nur noch eine Operation übrig, und willig gaben wir uns auch hierbei in des Herrn Hand. Ich packte ihn warm ein, nahm ihn auf den Arm und trug ihn in einen Wagen, der uns nach dem Klinikum fuhr, und dort wurde dem lieben Kinde ein kleines Loch in den Hals geschnitten und dann eine silberne Röhre eingesetzt, da athmete er dann wieder ruhig, nahm auch Milch zu sich und wollte sogar essen, so daß es schien, als wolle der Herr ihn wieder gesund werden lassen.

Seitdem die Röhre eingesetzt war, konnte er nicht mehr laut sprechen, sondern mußte zu erkennen geben, daß er etwas wolle: dann mußten wir errathen, was er wollte, er bejahte oder verneinte durch Zeichen. Als er noch sprechen konnte, hat er öfter wiederholt, er wolle sterben, auf daß seine Seele in den Himmel käme. Seine Leiden, die nicht gering waren, ertrug er mit einer großen Geduld, wodurch die Aerzte und die im Krankenzimmer Anwesenden in Erstaunen gesetzt wurden. Sein Papa und seine Mama waren abwechselnd Tag und Nacht bei ihm. Viele Gotteskinder haben ihre Gebete mit denen der Eltern vereinigt und dem lieben Heiland das Kind recht an’s Herz gelegt; aber es wurde nicht um unbedingte Herstellung gebetet, sondern,

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