Seite:Die Gartenlaube (1865) 354.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Schon in damaliger Zeit betrachteten aber die Amerikaner Texas als ihr Eigenthum, wenn es auch erst dem späteren Kriege mit Mexiko, im Jahr 1846, vorbehalten blieb, das weite reiche Land für immer der spanischen Race zu entreißen und der Union als Staat einzuverleiben. Viele Amerikaner hatten sich deshalb schon dort angesiedelt, und im Inneren entstanden Farmen und Colonien und wurden Plantagen und Städte angelegt. Trotzdem war das eigentliche Texas noch ein entsetzlich wildes Land. Zahlreiche Indianerhorden lebten im Innern von Jagd und Fischfang, und es gehörte wirklich der zähe, ausdauernde Charakter amerikanischer Backwoodsmen oder Hinterwäldler dazu, um mit Frau und Kind in eine solche Wildniß zu ziehen und sich dort häuslich niederzulassen.

Wilde Nachbarschaft fanden sie da jedenfalls genug, und zu den Indianern und Squattern gesellten sich dann noch, besonders in jenen Jahren, die aus den Staaten ausgestoßenen Individuen: flüchtige Pferdediebe und Straßenräuber, bankerotte Kaufleute, entflohene Sclaven, Deserteure und Cassendiebe, kurz Alle, die im Osten ein Verbrechen verübt und Entdeckung fürchteten, oder sich sonst lästigen Verbindlichkeiten entziehen wollten. Brauchten sie ja doch auch nur den Red River zu kreuzen und in diese weiten Wälder einzutauchen, um vor einer Verfolgung, die aber auch nur in den seltensten Fällen versucht wurde, vollständig sicher zu sein.

„Er ist nach Texas gegangen,“ lautete denn auch in damaliger Zeit die allgemeine Redensart für solche, die plötzlich von dem Schauplatz eben nicht ruhmvoller Thaten verschwanden, und „go Texas!“ war gleichbedeutend mit „geh zum Teufel!“

Und trotzdem bildete sich schon damals in dem weiten herrlichen Land der Kern einer tüchtigen Bevölkerung, der anwuchs und sich mehrte, bis er im Stande war seine Unabhängigkeit zu erklären und offen die Waffen gegen das faule mexicanische Regiment zu ergreifen. Freilich mußte es erst einen Gährungsproceß durchmachen, welcher es von vielen Schlacken läuterte, und der verlangte Blut – viel Blut. Aber die Backwoodsmen waren auch die Leute dazu, ihn rasch und kräftig durchzuführen.

Es ist das in der That eine ganz eigene Menschenrace, und wenn sie sich schon, ebenso wie ihre östlichen Brüder, Amerikaner nennen, so sind wahrlich Engländer und Franzosen nicht aus verschiedenartigeren Stoffen zusammengesetzt, als die eigentlichen Yankees und ihre Pioniere, die Backwoodsmen des Westens. Solche Männer, wie diese, gehörten aber auch dazu, um in den wilden Urwald vorzudringen und von feindlichen Indianerhorden umgeben, von den Thieren des Waldes lebend, mitten in die trostlose Wildniß hinein ihre Hütte zu bauen und eine Heimath zu gründen. Da war Daniel Boone, der zuerst nach Kentucky vordrang, wo er die Bären hetzte und zugleich selber von den Rothhäuten gehetzt wurde, aber dennoch nicht nachließ, bis er festen Fuß gefaßt, so daß man recht gut sagen kann, er allein, als einzelner Mann, eroberte ein weites herrliches Land. Da war Davy Crockett, das Urbild aller Jäger und Squatter, mit ihren guten und bösen Eigenschaften, den zuletzt in demselben Texas sein Geschick ereilte – da waren tausend Andere, die vereinzelt in die Wildniß zogen und Stand hielten, bis ihnen Freunde folgten und eine Colonie bildeten, dann aber nicht etwa der sicheren Nachbarschaft froh wurden, sondern sie weit eher lästig und unbequem fanden und die Axt wieder in den Gürtel schoben, die wollene Decke auf den Rücken warfen, die Büchse schulterten, und auf’s Neue in den wilden Wald hinein zogen.

An Gefahren dachten diese Leute nicht. Der Backwoodsman war darin aufgewachsen. Wilde Thiere fürchtete er nicht, die hatten ihn zu fürchten, und die Indianer? – er war mehr Indianer als sie selber, denn mit dem nämlichen Scharfsinn begabt, einer Spur zu folgen oder einem Hinterhalt zu entgehen, besaß er eine weit größere Kraft und Ausdauer und bessere Waffen.

Ein solches Volk, abgehärtet bis zum Aeußersten, kein Bedürfniß kennend, das sich der Mann nicht mit Büchse oder Axt verschaffen konnte, war es, welches zuerst Texas besiedelte, oder seine einzelnen Pioniere zwischen die indianischen Horden oder zerstreuten mexicanischen Ranchos vorschob. Daß es seine eigenen Gesetze mitbrachte, versteht sich von selbst, und weiteren Schutz beanspruchte es nicht als den, welchen ihm die eigenen Waffen gewährten.

Die Einwanderung nach Texas fand aber damals von zwei verschiedenen Seiten statt, und zwar einmal zur See von New-Orleans aus nach Houston, der Hauptstadt des Landes, wohin sich meist Kaufleute und Pflanzer zogen und dort auch schon einen Grad von Civilisation einführten, und dann direct aus Arkansas hinüber in die Wildniß des nordöstlichen Theils, der durch das sogenannte „rothe Land“ oder die Red-River-Sümpfe von den Vereinigten Staaten selber geschieden wurde.

Diesen Weg nahmen besonders die Jäger und Squatter, die zu einem Umzug mit ihren Familien selbst nichts weiter brauchten als ein paar Pferde oder einen kleinen einspännigen Planwagen. Sie kreuzten den Red River entweder schwimmend oder in Canoes und ließen sich dann hauptsächlich an dem kleinen Sabine-Fluß oder am Trinidad nieder, oder zogen auch wohl noch weiter in das Innere hinein, um sich ihre Blockhütte am Rand einer kleinen Prairie oder in eine fruchtbare Niederung hinein zu bauen. Aber niemals siedelten sich zwei oder gar mehrere dicht neben einander an, um ein Dorf oder eine Colonie zu gründen, das verträgt der amerikanische Squatter nicht; er muß Raum haben, nicht etwa um sich auszubreiten, denn das kleine Feld, das er bestellt, verlangt nicht viel, nein, um, wenn er aus dem Haus tritt, nicht gleich die Umzäunung oder Fenz eines Nachbars zu sehen, und mit der Büchse auf der Schulter meilenweit den Wald durchjagen zu können, ehe er wieder in die Nähe menschlicher Wohnungen kommt.

Zwischen den Quellen des Sabine und Trinidad, am Abfall des dem Red River zuneigenden Hügellandes, also ganz an der Nordgrenze von Texas, hatte sich damals ein Amerikaner Namens Jenkins niedergelassen, seit Jahr und Tag, die er hier wohnte, ein bequemes Blockhaus gebaut und etwa vier Acker Land urbar gemacht, das ihm hinreichend Mais und Bohnen für seine Bedürfnisse lieferte. Mitten im Wald wohnte er mit seiner Frau und zwei Negern, die er aus den Staaten herüber gebracht, einem Burschen von etwa fünfzehn und einem jungen Mulattenmädchen von achtzehn Jahren, und so wenig Verkehr er auch mit den theils drei und vier, theils mehr englische Meilen entfernten Nachbarn hielt, galt er doch bei Allen, mit denen er je in Berührung gekommen, als ein braver und rechtlicher Mann, und sie freuten sich, wenn er sich einmal – was aber nur äußerst selten geschah – bei ihnen blicken ließ.

Jenkins, ein Mann schon in den Sechzigen, aber noch immer rüstig und nie sich wohler fühlend, als wenn er den ganzen Tag draußen im Wald mit seinen Hunden herumgehetzt war, wo ihn die Jagd gar häufig soweit abführte, daß er auslagern mußte und erst am nächsten Morgen zurück kam, war auch wieder auf einer solchen Tour gewesen und kehrte jetzt gerade nach Haus zurück. Die Sonne stand schon hoch im Mittag, und die Frau rückte, als sie das fröhliche Geheul der Rüden hörte, rasch den Kaffeetopf und Speck zum Feuer, um eine Mahlzeit herzurichten, denn ihr „Alter“ zeigte bei solchen Gelegenheiten immer einen tüchtigen Appetit.

So lustig er aber sonst gewöhnlich gegen das Haus angaloppirt kam und seinen Jagdruf von Weitem ausstieß, daß sie ihn daheim schon hören konnten, wenn sein alter brauner Pony noch lange nicht in Sicht war, so langsam und verdrießlich ritt er heute seine Fenz an, warf ein paar Hirschkeulen, die er in die eigene Decke gerollt auf dem Sattelknopf hängen hatte, ab und dem gegen ihn anspringenden Negerknaben Sip zu, legte selber Sattel und Zügel über die Fenz, daß sein Thier frei weiden konnte, und schritt dann finster und mürrisch dem Hause zu, wo seine Frau schon kopfschüttelnd seiner harrte.

„Na, Alter!“ sagte sie herzlich, als er die Schwelle endlich betrat, ihr nur zunickte und dann seine Büchse auf die Pflöcke über der Thür legte, „ist das der ganze Gruß, den Du mir heute mitbringst? Die Nacht über ausgeblieben und dann nicht einmal soviel wie ein God bless you, wenn er in’s Haus kommt?“

„Sei mir nicht bös, Mutter,“ sagte der alte Mann und reichte ihr die Hand, „Du hast Recht, Du solltest es eigentlich nicht entgelten, aber eine verfluchte Geschichte bleibt’s doch.“

„Hast du einen Bären gefehlt?“ lächelte die Frau. „Du siehst mir genau so aus.“

„Bin gar nicht jagen gewesen,“ brummte der Alte, „und habe den Hirsch nur auf dem Heimritt geschossen, weil er mir gar so bequem im Weg stand und die Hunde hungrig waren. Nein, nach dem Rappen hab’ ich gesucht, und hol mich der Teufel, er ist aus der ganzen ‚Range‘ wie rein verschwunden.“

„Der Rappe?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_354.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)