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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

schätzen darf, gleicht das fast wieder aus. Und wäre dem nicht so, was würden die fünf Franken monatlich, wenn man sie vierzehn Jahre lang in die Sparkasse legte, eintragen? Nicht einmal 1500 Franken, wogegen man jetzt ein Haus erwirbt, das nach denselben vierzehn Jahren vielleicht einen Werth von 8–10,000 Franken hat. Schon nach sechs Jahren sind Häuser von 3000 zu 4000 Franken wieder verkauft worden.“

„Da sollte doch,“ meinte ich, „Niemand in der Cité miethen, sondern Jeder gleich kaufen, um den Miethzins nicht erst Jahre lang umsonst zu geben.“

„Manche mögen wirklich nicht gleich können,“ entgegnete der Arbeiter. „Andere sind eben, was sie sind. Aber auch ihnen leistet die Gesellschaft allen möglichen Vorschub. Nach den Statuten darf die Miethe 8% des Kostenpreises betragen; obgleich man nun nicht mehr als 7% nimmt, schreibt man doch dem Miether, der sich hinterher zum Kaufen entschließt, Alles wieder gut, was er jemals über 5% gezahlt hat.

„Wahrhaft christlich!“ rief der entzückte Pfarrer aus, der unser Eisenbahngespräch wohl rein vergessen hatte.

„Ich mein’s auch!“ bestätigte mit herzlicher Stimme der Andre, „und doch – sollten Sie es glauben? – doch wichen die Arbeiter anfangs scheu zurück. Sie, die für ihre abscheulichen Schlupfwinkel in der Stadt oft 25% des Hauswerthes als Miethe zahlen mußten – wie ich denn selbst noch vor vier Jahren ein Haus gekannt habe, das 2500 Fr. Miethe trug und für 10,000 Fr. öffentlich verkauft wurde! – sie waren mißtrauisch, weil es ihnen unglaublich vorkam, daß sie Hauseigenthümer, Herren werden sollten. Ein Kniff, meinten sie, stecke dahinter, ungefähr wie wenn ihnen unentgeltliche Landstrecken in Südamerika oder im Monde angeboten würden; man wolle sie ausbeuten, hieß es, sie unter polizeiliche Aufsicht stellen, und was weiß ich noch sonst. Erst nach und nach näherten sie sich, versuchten, fanden ihre Furcht lächerlich und nun ging’s wie der Wind. 1856 wurden nur 5, 1857 schon 52, 1858 gar 110 Häuser gekauft und in diesem Augenblicke sind es 580, während nur 112 von Miethern bewohnt werden und kein einziges leer steht.“

„Mich wundert das anfängliche Zaudern um so mehr,“ bemerkte ich, „da bei den vier großen Zimmern ein Bewohner, der keine zahlreiche Familie hatte, den größten Theil des Zinses ja durch Wiedervermiethen einbringen konnte.“

„Entschuldigen Sie,“ widersprach der Arbeiter, „ohne besondere Erlaubniß der Gesellschaft ist das nicht gestattet, obgleich manche Wohnungen fünf Zimmer haben. Und ich glaube, das ist in der Ordnung. Wenn Einer z. B. eine junge Frau oder eine große Tochter hat und wollte Männer in’s Haus nehmen – – “

„Oho,“ unterbrach ihn das Mädchen ungeduldig, „das wäre nicht gleich so gefährlich. Aber Mancher würde aus Geiz sein Haus so voll stopfen, daß Alles, was die Herren so gerühmt haben, Luft und Platz und Reinlichkeit verloren gingen und wir am Ende wieder wie die Heringe aufeinandergepackt säßen.“

„Auch das ist richtig,“ fuhr der Vater fort, „und deßhalb erlaubt man das Untervermiethen an eine kinderlose Familie nur, wenn der Hauptmiether selbst nicht zu viele Leute hat. Um aber die ganze Wahrheit zu sagen, muß ich hinzusetzen, daß auch der Käufer, der sein Haus bezahlt hat, in den ersten zehn Jahren nicht wieder verkaufen darf, es sei denn an einen andern Arbeiter.“

„Zu dieser Beschränkung des Eigenthums,“ fuhr ich mit angeborenem Freiheitstrotz dazwischen, „sehe ich denn doch keinen Grund.“

„Aber ich,“ betonte kräftig der Arbeiter. „Nur so kann, vor der Hand wenigstens, die überall lauernde Speculation abgehalten werden, die unsre Häuser, sobald sie in ihre Hände fielen, im Nu so vertheuern würde, daß Unsereiner sie gar nicht mehr bezahlen könnte. Wäre es vollends erlaubt, was zum Glück auch nicht der Fall ist, die gekauften Gärten in Bauplätze zu verwandeln, so würden wir bald wieder da sein, wo wir sonst waren: reiche Capitalisten hätten große Häuser, und wir bezahlten die schlechteste Ecke mit schwerem Gelde, mit unsrer Gesundheit und Allem, was wir vom Leben haben. Ich fürchte manchmal, es kommt später doch noch dahin, und das verdirbt mir manche Nacht.“

Die letzten Worte waren mit so traurigem Ernste gesprochen, daß ich meinen leichtfertigen Einwurf bereute. Nur um uns Alle zu befreien, fragte ich scherzend, was denn aber die Junggesellen machten, wenn man sie mit Frauen und Mädchen nicht unter Einem Dache dulden wolle.

„Die liebt man überhaupt nicht in der Cité,“ sprach der Mann unfreundlich; „sie stören allzu leicht die Ruhe auf den Straßen, wie den Frieden der Familien. Für die, die brav sein wollen, giebt es allerdings ein Hotel garni.“

„Und da finden sie auch ihren Tisch?“ erkundigte sich der Pfarrer.

„Das nicht,“ berichtigte Jener; „haben Sie denn den Restaurant an der Place Napoléon nicht gesehen?“

„Gesehen wohl,“ erwiderte ich, „aber von den Einrichtungen kennen wir noch nichts.“

„Also Wasch- und Badehaus, Bäckerei, Bibliothek, Salle d’adile: das Alles ist Ihnen fremd?“

Wir nickten Beide; Einer von uns mußte bei den Prachtausdrücken den Mund leise zum Lächeln verzogen haben, denn der Mann stand mit den Worten auf: „Ich will Sie, da ich eine Stunde frei bin, begleiten und weiß gewiß, daß Sie die Namen in kürzester Frist nicht mehr lächerlich finden.“

Er nahm seine Mütze vom Tisch und mahnte zum Aufbruch.

Der verlegene Blick, mit dem der Pfarrer und ich uns aufstehend ansahen, wäre einem Psychologen leicht verständlich gewesen. Wir wußten nicht, wie wir für die freundliche Aufnahme, die uns hier zu Theil geworden, danken sollten, und da ich der Führer in dieses Labyrinth gewesen war und deshalb für Pflicht hielt, auch den Faden der Ariadne zu suchen, so fragte ich, zu dem Mädchen gewendet, tölpelhaft genug, ob ich dem Kanarienvogel am Fenster etwas schenken dürfe. Die Angeredete stand verdutzt.

„Wir füttern unsre Vögel selbst,“ sagte der Vater mit einem verweisenden Blicke, vor dem ich das Auge niederschlug. „Und nun kommen Sie, denn viel Zeit habe ich nicht übrig.“

Wir gehorchten – das ist das einzige richtige Wort – und hätten nicht einmal gewagt, seiner Tochter scheidend die Hand zu reichen, wäre dieser Vertraulichkeit nicht dadurch die Spitze abgebrochen worden, daß wir zuvor dasselbe Manöver mit dem kleinen Buben machten. Doch riskirte ich im Abgehen einen Gruß an den schmucken Artilleristen, der mit schallendem Lachen angenommen und mit keckem Gegengruße an „die Frau Liebste“ erwidert wurde.

Als ich, der Letzte von uns Dreien, in’s Freie trat, sah ich meinen Pfarrer in lebhaftem Gespräche mit dem Arbeiter dahinwandeln. Sie gingen wie Cameraden, und mich freute das so unbändig, daß ich lieber auf jede Theilnahme an der Unterhaltung verzichtete und um ein Dutzend Schritte zurückblieb. Sie merkten das erst vor der Treppe des Wasch- und Badehauses und erwarteten mich dort. Eintretend gewahrten wir eine Reihe der saubersten Bade-Cabinete, zehn an der Zahl, in jedem entweder eine metallene Wanne oder eine mit Porcellan ausgeschlagene Einsenkung. Früher kostete hier das Bad einschließlich der Wäsche 20 Centimes, was aller Welt etwas zu viel schien; doch benutzten im Jahre 1861 z. B. 7000 Personen die Anstalt, manchmal 180 in Einem Tage. Im October 1863 setzte man den Preis auf 15 Cent. herab; aber man kann nicht sagen, daß die Frequenz in entsprechendem Mäße zugenommen hatte, denn aus den Notizen des Badewärters ersah ich, daß 1864 nicht mehr als 9700 Bäder genommen wurden. Für die Bevölkerung der Cité ist das offenbar zu wenig, auch wenn man die im Freien genommenen Bäder hinzudenkt, und unser Arbeiter wird wohl Recht gehabt haben, indem er den Preis noch immer zu hoch fand. Man könnte, meinte er, das Bad ohne Wäsche, da dann nur das Wärmen des Wassers Kosten verursachte, zu 5 Cent. ausbieten und die Leute auffordern, ihr Trockentuch selbst mitzubringen. Ich berichte das treulich, weil der so verbreitete Vorschlag möglicher Weise Gutes stiften kann, sei es in Mülhausen oder anderswo.

Links von den Badezimmern führt eine steinerne Treppe in’s Waschhaus hinab, eine hölzerne hinauf zu Trockenstube und Speicher. Das mit Steinplatten belegte Waschhaus enthält Plätze für vierzig Wäscherinnen; jede hat ein Standbret unter den Füßen, ihren Krahnen sammt Bütte und Waschbret für sich, und vergütet für zweistündige Benutzung des aus einer benachbarten Spinnerei herübergeleiteten heißen Wassern nur 5 Cent., für die zahllosen Neuigkeiten, die dort umherschwirren, gar nichts. Auch drängt man sich herzu; im Winter sollten täglich gegen 200

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_329.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)