Seite:Die Gartenlaube (1865) 286.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Der Erbstreit.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Am Abende, als Max von einem abermaligen Ausfluge heimkam, sagte er:

„Elisabeth will nicht eingestehen, daß sie im Walde gewesen sei, am allerwenigsten Deine Auslegung gelten lassen, daß sie mich dort habe finden wollen.“

„Wie könnte sie Dir das auch gestehen, jetzt, wo Du das Verbrechen begangen hast – nicht dagewesen zu sein,“ versetzte Markholm lächelnd. „Weshalb bist Du so ungeschickt, es nicht voraus zu wissen, wenn solch eine Dame den Einfall bekommt, in den Wald zu gehen?“

„Ach, so ist Elisabeth sonst nicht! Hat sie Dir den Eindruck eines capriciösen Wesens gemacht?“

„Nein, nicht gerade … im Gegentheil, sie sieht sehr offen und aufrichtig aus ihren großen blauen Augen.“

„Und diese großen gedankenvollen blauen Augen sind prächtig, nicht wahr, Onkel?“

„Sie sind eigenthümlich sprechend, in der That!“

„Hast Du nicht ihr merkwürdig reiches blondes Haar bewundert?“

„Ihr blondes Haar – ja, sie hat blondes Haar!“

„Und so schön und reich!“ fuhr der Neffe fort. „Und hast Du je Züge gesehen, Onkel, aus denen mehr Sinnigkeit und weiches Gemüth spricht?“

„Nun,“ versetzte der Onkel skeptisch, „es ist immer ein wenig gefährlich, in den Zügen eines Menschen und namentlich denen eines jungen Mädchens lesen zu wollen. Das ABC dieser Schrift ist nicht recht festgestellt.“

„Es giebt aber doch Züge, die so unverkennbar und deutlich den Charakter aussprechen …“

„Mag sein, daß sie ihn aussprechen; aber es ist ein verzweifelt gewagter Schluß, daß nun auch der Charakter wirklich da sei. Wer weiß, woher der Ausdruck stammt! Vielleicht hat Deine Elisabeth ihre Züge von einer sehr sinnigen Großmutter geerbt, die ihrer Enkelin wohl ihr Gesicht, aber durchaus nicht ihren Charakter hinterließ. Man hat solche Fälle!“

„Es thut mir leid, daß Elisabeth so wenig Deine Eroberung gemacht hat. Aber ich vergaß, daß Du ein Junggesell und also auch ein Verächter der Frauen bist!“

„Ein Verächter der Frauen? Das ist ein verkehrter Ausdruck. Man soll keine Kategorie von Wesen, die der liebe Gott nun einmal geschaffen hat, wie sie sind, verachten! Lange Haare und kurze Sinne hat der liebe Gott ihnen nun einmal gegeben – was können sie daran ändern?“

„Es ist wahrhaftig schade, daß Du in dem Punkte solch ein Philister bist, lieber Onkel; nimm mir‘s nicht übel. Wenn Du eine recht tüchtige gescheidte Frau gewählt hättest, würdest Du anders über sie denken.“

„Nun, um Dir‘s zu gestehen, lieber Max, ich war nicht immer solch ein Philister. Es gab eine Zeit, wo ich alle möglichen idealen Dinge in den Frauen erblickte – in jeder weißen Hand den Strauß ‚himmlischer Rosen‘ sah, bereit, sie einem ehrlichen Manne in sein ‚irdisches Leben’ zu flechten. Ich warb auch um einen solchen Strauß und eine solche Hand. Ich wollte keine Haushälterin, keine Frau für die Küche und Wäschekammer, ich suchte ein feingebildetes, mit Verständniß für meine geistigen Beschäftigungen begabtes Wesen. Ich fand es … sie war reizend, schelmisch, vielumworben, verwöhnt, und was ihre Bildung angeht, so schrieb sie schöne Stellen aus englischen und französischen Romanen aus und machte die geschmackvollste Toilette. Ich hing mein ganzes tiefes, leidenschaftliches Herz an sie, ich betete sie an ..“

„Und sie?“

„Sie betete mich wieder an – sie ließ es mich durch die bezauberndsten Koketterien erkennen, sie schrieb mir die entzückendsten irisduftenden Billets. Aber auf meine ehrlichen Bewerbungen – als diese dringender wurden, erwiderte sie, daß ihr Charakter zu sehr an Unabhängigkeit gewöhnt sei, als daß sie ihre Freiheit dahin geben könne, und daß sie zu viele Bedürfnisse habe, um einen armen Mann, der nur von seiner Feder lebe, zu heirathen.“

„Abscheulich!“

„Weshalb? Sie war ein Frauenzimmer und handelte in ihrer Weise ganz folgerichtig. Und meine grammatikalische Bildung wäre ja auch nicht vollendet worden, wenn ich nicht gelernt hätte, was eine Kokette bedeutet. Das Lehrgeld war freilich etwas schwer: eine gefährliche langwöchentliche Krankheit! Aber ich machte nie wieder den Versuch, für den Nipptisch meines Lebens mir solch eine zierliche Porzellanfigur zu gewinnen – Anderes würde sie nie geworden sein!“

„Und in Deinen Romanen schilderst Du doch die Frauen so ganz anders, daß man glauben sollte, Du stelltest sie himmelhoch …“

„Das ist natürlich … der Mensch muß Etwas lieben. Ich flechte meinen erdichteten Frauen die Perlen ins Haar, welche ich an die wirklichen fortzuwerfen gewarnt bin!“

„Ich möchte fast behaupten, Du kennst die Frauen gar nicht!“

„Desto besser für mich, mein Sohn!“ brach Markholm das Gespräch ab, indem er sich in seinen Sessel vor dem Kaminfeuer warf, um mit untergeschlagenen Armen in die Flamme zu blicken und lange Zeit in Träumereien zu verfallen. –

Als Markholm am andern Morgen an seiner Arbeit saß und die Zeit heranrückte, in welcher er gestern seinen Spaziergang gemacht hatte, blickte er lange wie sinnend den Zeiger der kleinen Standuhr an, die ihm gegenüber neben einem großen Blumenstrauße auf dem Tische stand. Er sah, wie der Zeiger allmählich derselben Stunde zurückte; dann nahm er die Feder wieder auf und schrieb ein paar Worte, und darauf warf er sie nieder und stieß etwas wie einen leisen Ruf des Unwillens aus.

„Ich weiß in der That nicht,“ sagte er sich, „was mich nun schon den ganzen Morgen über der Frage brüten läßt: wird sie kommen und ihre Steine holen oder nicht? Es ist wahrhaftig nicht wichtig genug, daß es mir alte meine Gedanken abzuschneiden braucht!“

„Hinausgehen werd’ ich aber doch müssen,“ sagte er dann plötzlich aufstehend; „ich will sehen, ob sie kommt, und noch einmal ein Gespräch mit ihr suchen. Es ist mir doch nicht einerlei, weß Geistes Kind sie ist, wenn mein Neffe ein ernstliches Verhältniß mit ihr begonnen hat und er daran denkt, sie zu heirathen, eine Idee, die ziemlich fest von seinem blonden Kindskopf Besitz genommen zu haben scheint, vorausgesetzt, daß sie ihn nimmt, was mir nicht ganz als wahrscheinlich vorkommt – sie scheint doch geistig zu bedeutend für ihn und ist auch zu alt für ihn … sie schien mir wenigstens fünfundzwanzig Jahre zu haben, wenn nicht mehr!“

Es war seltsam, während Markholm diesem letzteren Gedanken nachhing, kam nicht etwa ein Gefühl der Theilnahme über die mögliche Demüthigung und Enttäuschung und den Herzenskummer, der daraus für Max entstehen würde, über ihn; es lag im Gegentheil etwas Beruhigendes, Befriedigendes für ihn in diesem Gedanken. Und da Markholm seinen Neffen liebte, so mußte wohl etwas wie ein Vorgefühl, daß die beiden jungen Leute doch nicht für einander passen würden, in ihm sein.

Markholm schlug, als er draußen war, denselben Weg ein, den er am gestrigen Tage genommen. Er erreichte nach fünf Minuten dieselbe Stelle an der Grenze seines kleinen Gebiets, an der er gestern gestanden hatte. Er sah schon von weitem die Steine ruhig auf dem Schlagbaume liegen. Bisher war Elisabeth also nicht dagewesen. Nach Max hatte er sich auf dem Wege vergeblich umgesehen. Max war vielleicht heute im Walde – pünktlicher als gestern. Aber er sah ihn nicht, weder ihn noch seine Diana, seinen großen Vorstehhund, der ihn immer umschwärmte.

Nachdem Markholm eine Weile, mit den Armen auf den Schlagbaum gestützt, dagestanden und über die gelben Stoppeln der Ackerfläche fortgeschaut, nahm er wie aus Langerweile einen der Steine Elisabeth’s auf und betrachtete ihn. Der Stein schien allerdings kein „Kiesel“, wie er ihn gestern verächtlich genannt, sondern war wie aus zwei Bestandtheilen zusammengebacken – der eine Theil war offenbar gewöhnlicher Quarz; der andere aber, ein hellgelbstreifiges Mineral, war etwas, dessen Name und Eigenschaften

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_286.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2022)