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wird. Diese Einrichtung hat jedoch noch eine weitere gute Seite. Unter den Arbeit Holenden und Bringenden mag sich so manche junge oder ältere Dame finden, der es nicht an der Wiege gesungen wurde, daß sie ihr Brod einst im Dienste Anderer erwerben müßte. Wohl manche jener durch Unglücksfälle Verarmten, die jetzt hier Arbeit sucht, hat früher selbst unter die Zahl der eleganten Käuferinnen gehört, und nun müssen die zarten Finger, deren einzige Arbeit einst vielleicht nur das Anziehen der Glacéhandschuhe ausmachte, die Nadel von früh bis zur sinkenden Nacht führen, um nur den Hunger und die Noth abzuwenden. Manches kummervolle Auge der in jenem Expeditionssaale erscheinenden Frauengestalten erzählt stumm lange derartige Leidensgeschichten. Brechen wir aber ab von diesem schmerzensvollen Thema! Wie manches zartfühlende Frauenherz möchte fast schaudern, wenn es wüßte, wie viel bittre, heiße Thränen oft auf die glänzende Stickerei eines Festprachtgewandes gefallen sind!

Wir dürfen indessen unsere flüchtige Schilderung von Gerson’s Zauberbazar nicht schließen, ohne noch einmal auf den vor einigen Jahren in voller Manneskraft plötzlich gestorbenen Begründer des großartigen Geschäftes zurückzukommen.

Hermann Gerson war ein Mann von den ehrenhaftesten Grundsätzen, und diese, sowie sein biederes, liebenswürdiges Wesen, verbunden mit seinen großen mercantilischen Fähigkeiten und organisatorischen Talenten, bilden die Lösung des Räthsels, wie es möglich war, auf einer höchst bescheidenen Grundlage allmählich einen solchen Riesenbau aufzuführen. Aber nicht nur als Kaufmann, auch in andrer Hinsicht genoß Gerson einer allgemeinen Achtung, die er im höchsten Grade verdiente. Eine hervorragende Eigenschaft seines Charakters war die unbeschränkte Wohlthätigkeit, denn kein Dürftiger rief vergebens seine immer bereite Hülfe an. Eine Menge wahrhaft rührender Züge werden in dieser Beziehung von ihm erzählt, und sein Tod beraubte eine große Anzahl hülfsbedürftiger Familien ihres in vielen Fällen ungekannten Wohlthäters.

Durch rastlose Thätigkeit und strenge Rechtlichkeit wußte Hermann Gerson dem von ihm gegründeten und seinen Namen jetzt noch tragenden Geschäfte diesen Aufschwung zu geben; seine Brüder, sowie der als Theilhaber eingetretene Schwiegersohn des Verstorbenen führen das großartige Geschäft streng in denselben Grundsätzen fort, so daß ein fortwährendes Zunehmen seiner Bedeutung auch jetzt noch unverkennbar ist.

Wohl hat man in andern großen Städten schon Versuche gemacht oder mindestens zu solchen aufgefordert, um ein Etablissement in der Art und Weise des Gerson’schen zu gründen; allein das Gelingen dieser Pläne ist immerhin stark zu bezweifeln. Ein neues und vielleicht auch eben so umfangreiches Geschäft kann durch Aufwand bedeutender Geldmittel geschaffen werden, indem man den augenblicklichen Zustand des Gerson’schen Geschäftes zum Muster nimmt. Damit ist jedoch das Fortbestehen und stetige Wachsen der Nachbildung in der Art des Originals noch lange nicht erzielt. Ein derartiges Etablissement muß nothwendiger Weise aus sich selbst herauswachsen, wenn seine Basis eine sichere sein soll, und aus diesem Grunde ist kaum anzunehmen, daß der Gerson’sche Bazar so bald einen ebenbürtigen Nebenbuhler erhält.

B.




Das Dichterhaus bei Oldenburg.

„Zu Oldenburg giebt’s eine stille Stätte,
Manch’ Auge hat sie thränenschwer geschaut,
Dort liegt ein Sänger auf dem Krankenbette,
Schon ein Jahrzehnt mit seinem Schmerz vertraut.“

Ein natürliches Gefühl veranlaßt uns, das Andenken und die Verehrung für hervorragende Männer von der Person auch auf den Ort zu übertragen, wo dieselben geweilt und gewirkt haben, oder noch weilen und wirken. So lebt der Beschauer beim Betrachten der durch große Geister geweihten Stätten unwillkürlich ein reiches Dichter- oder Heldenleben mit durch, welches ihm aus der ganzen Umgebung, aus den kleinsten Gegenständen derselben lebendig entgegentritt und mit eigenthümlichem Zauber eine Fülle von erhebenden Gedanken und Empfindungen in ihm wach ruft. Es freut uns daher immer, wenn die „Gartenlaube“ uns ein Dichterhaus zeigt und unserer Phantasie Gelegenheit giebt, ein Dichterleben in seinen hellen Licht- und allzu oft auch dunklen Schattenseiten mit der Oertlichkeit in Verbindung zu bringen.

Wir führen den Leser heute an eine Stätte, an der Licht und Schatten im grellsten Contrast neben einander wohnen, die geweiht ist durch die reichste Fülle von Poesie vereint mit einem ebenso reichen Leiden und Dulden. Es ist das Dichterhaus am Haventhore bei Oldenburg, wo unser Julius Mosen nun schon seit zwanzig langen Jahren durch unsägliches Leiden an das Schmerzenslager gefesselt ist.

Der Name Julius Mosen, der mit dem schweren Geschick, das den Dichter in der Fülle seines poetischen Schaffens so unerbittlich gelähmt, längere Zeit vergessen schien, ist erst in letzter Zeit wieder zur vollen verdienten Würdigung gekommen, wozu die Gartenlaube und dann vor wenigen Jahren durch die eingehenden geistvollen Artikel von Johannes Scherr und Arnold Schloenbach über ihn und seine Schöpfungen jedenfalls die nächste Anregung gegeben. Später durch die Nationalsubscription auf die Gesammtausgabe seiner Werke hat das deutsche Volk ihn zu den Heiligthümern seines Herzens erhoben. In der Presse sowohl, wie im Volksmunde ist Julius Mosen so oft genannt, daß wir das Dichterhaus, welches ein warmer Verehrer und vortrefflicher Charakter-Darsteller aus der Mosen’schen Schule, der Hofschauspieler Dietrich, photographisch aufgenommen hat, nur mit wenigen Worten über des Dichters häusliches Sein und Leben begleiten werden.

Freundlich hinter hohen Akazien, Flieder und üppig wucherndem Roth- und Weißdorn versteckt, wo nur ein ungetrübtes Glück zu wohnen scheint, liegt hart an der lebhaften Straße von Oldenburg nach Ost-Friesland Mosen’s Haus. So gastlich und einladend dasselbe dem Wanderer erscheint, so herzlich wird dieser auch daselbst willkommen geheißen, wenn ihn seine Theilnahme und Verehrung für den kranken Dichter einsprechen lassen. Treten wir daher sogleich ein und lassen uns von Mosen’s treuem Diener Wilhelm unter vielen Complimenten und tiefen Verbeugungen, aus denen ein gewiegter Tanzkünstler mit weiser Oekonomie die doppelte Anzahl machen würde, in das Wohnzimmer führen, welches zu ebener Erde gerade unter dem Balcon liegt. In einer Sopha-Ecke, nach alter Gewohnheit vollständig und auf das sorgfältigste angekleidet, sitzt hier Julius Mosen. Unfähig sich zu bewegen oder sich laut zu äußern, kann er unseren Gruß nur durch ein Aufschlagen und einen freundlichen Blick seines glänzenden Auges erwidern. Seine aufopfernde Gattin Minna sitzt neben ihm und führt in der liebenswürdigsten Weise die Unterhaltung, indem sie seine wenigen leisen Aeußerungen der Umgebung verdolmetscht, so daß das Schreckliche des Leidens und die damit zusammenhängende Befangenheit des Besuchenden allmählich ganz schwinden.

Die wenigen Stunden, welche Mosen bei seinem jetzigen Zustande Vormittags und Abends in diesem Zimmer zubringt, sind gewöhnlich der Politik und Tagesliteratur gewidmet. Seine Frau pflegt ihm die neuesten Zeitungen und literarischen Journale vorzulesen und er ihr mit dem größten Interesse zu folgen. Wie lebhaft dies noch immer ist, davon gab die Erschütterung Zeugniß, mit der er die Kunde von Gutzkow’s entsetzlichem Unglück empfing. Er war es, auf dessen Anregung alsbald ein Verein verschiedener einflußreicher Oldenburger zur Bildung eines Gutzkowfonds zusammentrat. Nur zuweilen, aber bei sehr lebhafter Erregung, vermag er noch seine Empfindungen und Gedanken in Worte zu kleiden, welche dann in ihrer gedrängten lakonischen Kürze und präcisen Weise stets inhaltsschwer und schlagend „den Nagel auf den Kopf treffen“ und in guten Augenblicken gewöhnlich von dem köstlichsten Humor gewürzt sind. Als wir vor nicht langer Zeit sein Erstlingswerk

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_267.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)