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alle ihre Erwartungen übertraf und sie mit Ehrenbezeigungen überhäuft wurde, konnte sie sich doch einer ahnungsvollen Bangigkeit nicht erwehren. Ihrem Gefühle lieh sie in einem Briefe an die Ihrigen die charakteristischen Worte: „Man ist hier sehr gut gegen mich, doch ich werde mich nicht leicht binden lassen. Rom liegt mir immer im Sinn. Der heilige Geist möge mich leiten.“

Auch in London wurde die liebenswürdige Künstlerin bald bekannt und allgemein verehrt. Die stolzen, sonst verschlossenen Häuser der englischen Aristokratie öffneten sich für sie und die ersten Kreise der Metropole zeichneten sie aus. Ihre Gemälde wurden mit Gold aufgewogen und die exclusive Welt wollte nur von Angelica gemalt sein. Ihre Bescheidenheit entwaffnete den Neid ihrer Kunstgenossen, und selbst der stolze und berühmte Hofmaler, Sir Josua Reynolds, fühlte sich so sehr zu dem schönen Mädchen hingezogen, daß er keinen Anstand nahm, ihr seine Hand anzubieten. Obschon er Präsident der Akademie war, ein ungeheueres Vermögen besaß und eine hochgeachtete Stellung einnahm, schlug Angelica seinen ehrenvollen Antrag aus, da sie keine Liebe für ihn fühlte und äußere Glücksgüter sie nicht reizen konnten. Durch ihre Weigerung hatte sie sich jedoch den eitlen und leicht gereizten Künstler zum Feinde gemacht, zumal er durch geschäftige Zwischenträger in dem Glauben bestärkt wurde, daß sein Mangel an äußerer Schönheit der einzige Grund der ihm zu Theil gewordenen Zurückweisung gewesen sei. Tief gekränkt beschloß er, sich zu rächen, und entwarf zu diesem Zweck einen ebenso teuflischen wie raffinirten Plan.

Um jene Zeit lernte Angelica in der Gesellschaft Londons einen schwedischen Grafen Horn kennen, der durch seine auffallende Schönheit, weltmännische Gewandtheit und die Eleganz seiner ganzen Erscheinung sich Zutritt zu den höchsten Kreisen zu verschaffen wußte und in denselben eine bedeutende Rolle spielte. Mit feiner, fesselnder Artigkeit näherte er sich der jugendlichen Künstlerin, in dem er sie vor allen andern Damen auszeichnete. Seine Aufmerksamkeiten schmeichelten ihrer mädchenhaften Eitelkeit, während der geheimnißvolle Schleier, in den er sich absichtlich oder gezwungen hüllte, ihre Neugierde reizte und ein lebhaftes Interesse für ihn erweckte. Unbefangen nahm sie seine Besuche an, da ihm, wie sie wußte, die ersten Häuser Londons offen standen. Dem hinreißenden Wesen des Fremden fiel es nicht schwer, nach und nach das unbewachte Herz der unerfahrenen Jungfrau zu umstricken. Sie erlag dem dämonischen Zauber des gewandten Verführers, so daß sie zuletzt, wenn auch mit Widerstreben, einwilligte, sich heimlich mit ihm zu vermählen, da er ihr vorspiegelte, daß er Rücksichten auf seine hohe Familie zu nehmen habe.

Ihr Verhältniß zu dem Grafen Horn blieb jedoch trotz aller angewandten Vorsicht nicht verborgen. Ihre Freunde schöpften Verdacht und stellten, leider zu spät, genauere Nachforschungen über den räthselhaften Fremden an. Das Ergebniß derselben war vernichtend für Angelica, ihr gläubiges Vertrauen mißbraucht, ihre Liebe auf die schändlichste Weise hintergangen worden. Der vermeintliche Graf Horn verwandelte sich in einen – gemeinen Abenteurer, in einen entlaufenen Kammerdiener, welcher die Papiere seines verstorbenen Herrn, der diesen Namen führte, nach dessen Tode unrechtmäßig an sich gebracht hatte. Und um das Maß der Schmach voll zu machen, ergab sich, daß der freche Betrüger bereits verheirathet und seine erste Frau noch am Leben war. Als der Schurke sich entlarvt sah, zog er es vor die Flucht zu ergreifen, nachdem er noch einige hundert Pfund erpreßt und zum Dank dafür das Geständniß gemacht hatte, daß der rachsüchtige Sir Josua Reynolds ihm zuerst den Gedanken eingegeben, sich Angelica zu nähern, und ihn zu diesem Behufe mit dem nöthigen Gelde und Empfehlungsbriefen versehen habe, um eine Rolle in der Londoner Gesellschaft zu spielen.

Die mit dem Abenteurer eingegangene Ehe wurde von dem Gericht für nichtig erklärt und der frühzeitige Tod desselben befreite Angelica von jeder ferneren Verbindlichkeit. Ihr unverdientes Schicksal fand die größte Theilnahme und von allen Seiten wurde ihr der Beweis geliefert, daß sie an Achtung und Anerkennung nicht verloren habe. Mehrere angesehene Männer bewarben sich um ihre Hand, allein sie wies alle derartigen Anträge mit Entschiedenheit zurück. Ihr Herz war zu tief verletzt, ihre Existenz für immer gebrochen. Nur in der Kunst suchte und fand sie fortan Ersatz für ihre Leiden, für die bitteren und schweren Erfahrungen des Lebens. Wenngleich der Aufenthalt in England ihr bedeutende Summen einbrachte und sie zum Mitglied der königlichen Akademie der Künste ernannt worden war, kehrte sie im Jahre 1782 nach Rom zurück. Hier unter dem blauen Himmel Italiens, im Schoose ihrer Familie vernarbten nach und nach die tiefen Wunden ihres Herzens, und wenn auch die frühere Heiterkeit und jugendliche Frische für immer von ihr gewichen war, so entzückte sie jetzt ihre Freunde durch die Milde ihres Wesens und den höheren Aufflug ihres Geistes. Das tragische Geschick hatte nur dazu beigetragen, ihren Charakter zu veredeln und ihr Talent durch sittlichen Ernst zu vertiefen.

Vierzig Jahre war Angelica geworden, als sie den Wünschen ihres alten, kränkelnden Vaters nachgab und auf sein vielfach wiederholtes Drängen ihre Hand seinem erprobten Freunde, dem italienischen Maler Zucchi, reichte. Sie hatte nie einen Grund, diese zweite Wahl zu bereuen, da Zucchi einer der trefflichsten Menschen war und nur für sie und ihr Glück zu leben schien. Von Neuem wurde ihr Haus in Rom der geistige Mittelpunkt einer auserlesenen und bedeutenden Gesellschaft. Hier verkehrten die ersten Männer ihrer Zeit und vor Allen Goethe während seines Aufenthaltes in Italien. In ihrem Atelier las er ihr, ihrem Gatten und dem Hofrath Reiffenstein seine eben vollendete „Iphigenia“ vor, und „die zarte Seele Angelica nahm das Stück mit unglaublicher Innigkeit auf.“ Sie versprach ihm eine Zeichnung dazu und wählte „den Moment, da sich Orest in der Nähe der Schwester und des Freundes wiederfindet“. Ein ander Mal veranstaltete Goethe Angelica zu Ehren, welche nie in das Theater ging, eine musikalische Aufführung, um ihr die Bekanntschaft Cimarosa’s zu verschaffen. Concertmeister Kranz aus Weimar, ein geübter Violinist, der sich in Italien auszubilden Urlaub hatte, leitete das Ganze. Unter den eingeladenen Gästen befanden sich Angelica, ihr Gemahl, Hofrath Reiffenstein, die Herren Jenkins, Velpato und sonstige angesehene Fremde und Bewohner Roms. „Juden und Tapezier,“ berichtet Goethe, „hatten den Saal geschmückt, der nächste Kaffeewirth die Erfrischungen übernommen, und so ward ein glänzendes Concert aufgeführt in der schönsten Sommernacht, wo sich große Mengen von Menschen unter den offenen Festern versammelten und, als wären sie im Theater gegenwärtig, den Gesang gehörig beklatschten. Ja das Auffallendste war, ein großer mit einem Orchester von Musikfreunden besetzter Gesellschaftswagen, der so eben durch die nächtliche Stadt seine Lustrunde zu machen beliebte, hielt unter unserem Fenster stille, und nachdem er den oberen Bemühungen lebhaften Beifall geschenkt hatte, ließ sich eine wackere Baßstimme vernehmen, die eine der beliebtesten Arien aus der Oper, welche wir stückweise vortrugen, von allen Instrumenten begleitet, hinzugesellte. Wir erwiderten den vollsten Beifall, das Volk klatschte mit darein, und Jedermann versicherte, an so mancher Nachtlust, niemals aber an einer so vollkommenen, zufällig gelungenen Theil genommen zu haben.“

So gestaltete sich das Leben der Künstlerin immer freundlicher und ihr Ruhm verbreitete sich weiter und weiter. Dichter wie Klopstock und Geßner feierten Angelica’s Namen in ihren Gesängen und Goethe selbst rechnete ihre Bekanntschaft zu den schönsten Erwerbungen, welche er in Rom gemacht, die mit ihr verlebten Stunden zu den glücklichsten und bedeutendsten seines italienischen Aufenthalts. Ihre Leistungen charakterisirte er mit folgenden anerkennenden Worten: „Das Heitere, Leichte, Gefällige in Formen, Farbe, Anlage und Behandlung ist der einzig berrschende Charakter der zahlreichen Werke unserer Künstlerin; keiner der lebenden Maler hat sie, weder in der Anmuth der Darstellung, noch in Geschmack und Fähigkeit, den Pinsel zu führen, übertroffen.“ Innerhalb dieser durch die Natur ihres Talentes und ihre Weiblichkeit gezogenen Grenzen erreichte Angelica eine seltene Vollendung und wenn ihrem zarten Schönheitssinn auch versagt war, durch dämonische Gewalt die Seele des Beschauers hinzureißen, zu erschüttern oder zu erheben, so erweckte sie dafür das Gefühl der Befriedigung, der zarten Rührung, der sanften Lust durch die sinnige Feinheit und Anmuth ihrer Schöpfungen, so daß sie den ihr gegebenen Beinamen „die Malerin der Grazien“ im vollsten Maße verdiente. Wichtiger noch ist ihre Stellung in der Kunstgeschichte, indem sie zur Natur und Antike zurückgekehrt, eine reinere Geschmacksrichtung mit anbahnen, die Auswüchse des zopfigen Styls zerstören und die akademischen Künsteleien und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_239.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)