Seite:Die Gartenlaube (1865) 214.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Sein Bild lebte in den Seelen deutscher Männer und Frauen als das Ideal eines deutschen Kaisers, unter welchem Deutschland der große, schöne Einheitsstaat war, das deutsche Volk in der ganzen Welt „die herrliche und unwiderstehliche Nation“ hieß und als solche galt; unter welchem, bei dem über die Welt strahlenden Glanze der deutschen Krone, das deutsche Nationalgefühl sich wunderbar gehoben und gestärkt fand, unter welchem aber auch im Innern Deutschlands Recht und Ordnung herrschte, eine höchste Gewalt, zwar eine gesetzlich beschränkte, aber doch nur eine höchste Gewalt war, welche Gerechtigkeit, Frieden und Wohlfahrt handhabte und förderte. Und dieses Bild, das die Sehnsucht des deutschen Volkes nach der allen Größe und Herrlichkeit des Vaterlandes vom Kaiser Friedrich dem Ersten sich machte, war kein erdichtetes, sondern ein wahres; es ruhte auf dem Boden der Wirklichkeit, auf geschichtlichen Thatsachen.

Unter dem Kaiser Rothbart war die deutsche Nation nicht blos durch Kriegsruhm, durch große Kämpfe und Thaten nach außen herrlich, sondern Europa anerkannte den deutschen Kaiser als seinen Herrn und Schiedsrichter; die Könige Englands, Dänemarks und Böhmens waren und nannten sich des deutschen Reiches Vasallen; der Dänenkönig Sweno, der Böhmenkönig Wratislaw trugen bei öffentlichen Aufzügen, selbst mit goldenen Kronen auf dem Haupte, das Kaiserschwert dem Rothbart vor; Polens Herzoge und Ungarns Fürsten und alle Großen an der Loire und Rhone bis in’s Herz des heutigen Frankreichs hinein waren thatsächlich unter dem Rothbart Lehensträger der deutschen Krone; und Italien war theils deutsches Reichsland von jeher, theils, wie Neapel und Sicilien, Erbreich der Hohenstauffen geworden. Auf deutschem Boden blühte der Handel, eine Stadt um die andere wurde frei und reich, der ritterliche Minnegesang erklang, große Nationalfeste wurden gefeiert, wie das zu Constanz am Bodensee, wie das zu Mainz am Rhein, und der Mittelpunkt von Allem war der Kaiser, des Rothbarts mächtige, edle Fürstengestalt. Mit dem Kaiserthum seiner Persönlichkeit hing in Wahrheit das Geschick der deutschen Nation engst zusammen, so lange er waltete auf Erden, und mit seiner Person flocht, lange nach seinem Heimgange noch, in bösen Tagen des Verfalls, die Hoffnung des deutschen Volkes die deutsche Zukunft eng zusammen; an die Wiederkehr des Rothbarts knüpfte die Volkssage die Wiederkehr deutscher Herrlichkeit.

Greifen wir aus dem thatenreichen Leben dieses Kaisers einen Auftritt heraus, zur Veranschaulichung, wie der Rothbart in Deutschland Recht und Ordnung handhabte, wie er die Fürsten im Zaum hielt und diejenigen strafte, welche Recht und Ordnung mit Füßen traten und thaten, als ob sie Herren und Meister auf deutschem Boden wären. Unter den gezüchtigten Häuptern waren überdies zwei, welche zu den mächtigsten Fürsten des Reiches gehörten: der Erzbischof von Mainz, unter den geistlichen Herren einer der vornehmsten, und der Pfalzgraf bei Rhein, einer der ersten unter den weltlichen Herren des Reiches.

Im Sommer 1155 war Kaiser Friedrich zur Kaiserkrönung nach Rom und zur Herstellung der Reichsmacht auf dem Boden Italiens über die Alpen gezogen. Während er jenseits des Gebirges weilte, hatten diejenigen Fürsten, Herren und Ritter, welche die Römerfahrt nicht mitmachten, die Abwesenheit des Herrschers benutzt, sich ungebunden ihrer Rauf- und Raublust zu überlassen. Durch die Kreuzzüge hatten zwar auch die deutschen Adeligen den feineren Rittergeist der Saracenen im Morgenlande kennen gelernt, welcher auch im Westen Europas unter den Saracenen Spaniens blühte und durch das südliche Frankreich herüber sogar die deutschen Reichslande an der Rhone berührte, das schöne Burgund und die Provence; aber die große Mehrheit der deutschen Edelleute war damals noch weit entfernt von feiner Rittersitte. Selbst von denen, welche in der Fremde etwas davon angenommen hatten, sank mancher, bald nach der Rückkehr in die Heimath, unter den gewaltthätigen Standesgenossen wieder in die Feudalrohheit zurück, in den Urgeist des alten Junkerthums, welchem es als adelig galt, dem Gesetz und der bürgerlichen Gesellschaft Trotz zu bieten, in muthwilligen Fehden unter sich zu raufen, die Schwachen zu unterdrücken, den Kaufmann, den Bürger, den Landmann zu überfallen und auszuplündern. So litt der Schwache auch jetzt fast aller Orten in Deutschland unter dieser bösen Art der Herren auf den Schlössern, als diese den Kaiser weitab im südlichen Italien wußten. Besonders schrecklich aber wütheten sie mit Feuer und Schwert in einer der fruchtbarsten Landschaften Deutschlands, am schönen Rhein, im Bisthum Worms, in einer Natur, die dazu gemacht ist, daß alle Menschen, die dort wohnen, wenigstens äußerlich glücklich sind.

Und diese Bewohner, mindestens auf dem flachen Lande, waren damals gerade die unglücklichsten in Deutschland, so sehr wurde ihnen Haus und Hof, Feld und Weinberg verwüstet. Die erste Schuld daran aber fällt auf einen geistlichen Großwürdenträger, auf den Erzbischof Arnold von Mainz.

Dieser Arnold war des Kaisers Geheimschreiber gewesen und dann durch dessen Einfluß zum Erzbischof von Mainz gemacht worden. Er stammte aus dem alten Mainzer Dienstadel, aus dem angesehenen Hause der Selenhofer. Ein Stockaristokrat und ein Reactionär, liebte Arnold Ueppigkeit und Pracht, ein glänzendes fürstliches Auftreten. Die Mittel, welche ihm sein rechtmäßiges Einkommen abwarfen, reichten dazu nicht. Er suchte sie sich durch gewaltthätiges Zugreifen zu verschaffen. Was frühere Erzbischöfe an die Stadt oder an Lehenträger zur Belohnung treuer Dienste gegeben hatten und worüber tadellose Urkunden vorlagen, das forderte Arnold zurück, um die alte Oberherrschaft, wie er sagte, und den alten Glanz dem Erzstuhle wieder zu verschaffen. Alle früher dem Volke von Mainz gewährten Rechte setzte er außer Kraft. Auf die Einsprache der Mainzer Bürgerschaft sagte er, „dieses starrsinnige Volk, das dem Volk Israel unter Rehabeam gleiche, müsse mit Scorpionen gezüchtigt werden; da, wo insgesammt die Treue des Gehorsams wanke, thue ein Tyrann noth.“

Wie er den Mainzer Bürgern alle Schenkungen an Gut mit Gewalt abnahm, so dehnte er diese Reunionen auch auf alle die Ländereien aus, in deren Besitz die großen Lehenträger des Mainzer Erzstuhls durch rechtskräftig gewordene alte Schenkungen oder Verleihungen sich befanden. Er erklärte das als „ungültige Verschleuderung“ des Kirchengutes. Zugleich forderte er von dem Dienstadel des Erzstiftes Leistungen, wie sie gegen das Herkommen und über die Kräfte des Einzelnen waren. In seinem ganzen Erzbisthum machte er eine wahre Jagd auf Rechtstitel, unter welchen er überhaupt alles Gut, was vor langer Zeit zum Stuhle von Mainz gehört hatte, wieder zurück haben wollte, und damit er seine Ansprüche und Forderungen auch auf dem Rechtsweg durchsetze, brachte er seine Verwandten in die entscheidenden Stellen. Durch diese ließ er dem Erzstuhl, das heißt, sich selbst, weite Ländereien zusprechen. Damit machte er sich Alle, welche mit diesen Gütern begabt waren, zu schwerverletzten Feinden. Darunter waren die vornehmsten Herren des Rheingaus, der Pfalzgraf Hermann bei Rhein, der auf Schloß Stahleck saß, die Grafen Emich von Leiningen, Gottfried von Sponheim, Heinrich von Katzenellenbogen, Conrad, der Graf von Kyrberg an der Nahe, Heinrich, der Graf von Deidesheim und viele Edelleute. Sie alle wollten die beanspruchten Güter nicht herausgeben.

Der Erzbischof sprach den Bannfluch über sie aus, und um diese Widerspenstigen, die sich mit den Waffen wider seine Ansprüche setzten, seinerseits allesammt mit den Waffen zu zwingen, griff Arnold sogar die Kirchenschätze an. So sehr Geistlichkeit und Volk zu Mainz sich gegen die Kirchenplünderung wehrten, so verkaufte er doch selbst ein „Stück vom heiligen Kreuz“ im Martinstift, und gleichzeitig brandschatzte er ganz willkürlich Domcapitel und Volk von Mainz. Mit dem so zusammengebrachten Gelde warb er Söldner und zog zu Felde, den Herren das von ihm Angesprochene mit Gewalt abzunehmen. Weit umher wüthete er mit Raub, Mord und Brand in den Besitzungen seiner Gegner, und diese thaten das Gleiche in den seinen. So wurde namentlich das Bisthum Worms verheert. Das Volk war es, auf dessen Kosten diese Herren ihre wildesten Leidenschaften rasen ließen. Es war ja nur das Volk, der große Haufen der armen Leute auf dem offenen Lande, dem seine Reben abgeschnitten, dem seine Kornäckerlein und seine Hütten angezündet und niedergebrannt, seine Ochsen und Schafe weggetrieben oder niedergestochen wurden!

Da tritt der Rothbart plötzlich mitten hinein unter die hochadeligen Raufer und Räuber. Ein böses Gewissen durchschauert einen großen Theil von Deutschland. Plötzlich ruhen die Leidenschaften und die Schwerter in dem Rheingau. Er ist unverhofft wieder auf deutschem Boden erschienen, der Kaiser, den sie noch lange jenseits festgehalten wähnten. Ihm voraus eilt die Sage, er komme, ein strenges Gericht zu halten. Und die Sage spricht diesmal Wahrheit.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_214.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)