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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 10. 1865.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Das Geheimniß des Indianers.
Nach Mittheilungen eines deutsch-amerikanischen Arztes.

Es war an einem hellen, sonnigen Tage des Monats Juni, als der mächtige Dampfer Saratoga, nachdem er sich mühsam durch die rauschenden Stromschnellen und die massiv gemauerten Schleusen des St. Marienflusses gearbeitet hatte, unter dem Donner der Böller und der schmetternden Blechmusik einer deutschen Musikbande in den östlichen Zipfel des oberen Sees einlief. Hohe, grünliche Wellen, deren zerrissene Kämme wie flüssiges Silber leuchteten, wälzte die frische Brise dem stattlichen Schiffe entgegen, dessen scharfer Bug wie ein Rennpferd das Wasser theilte und den glänzenden Schaum zu beiden Seiten weit hinauswarf, während das heftigere Puffen und Keuchen der Maschine anzeigte, daß die Feuerleute ihre Thätigkeit verdoppelten. Die Zahl der Passagiere war außerordentlich groß, denn die glänzenden Berichte über die Ausgiebigkeit der vielen neuentdeckten Kupfermimen und die großartigen Naturschönheiten an den weitgestreckten Küsten des Sees hatten dieses Jahr eine Menge Speculanten und Touristen aus allen Theilen der Union angezogen, die begierig waren, das nordische Eldorado kennen zu lernen, oder sich überhaupt mit der Absicht trugen, dort Niederlassungen oder lucrative Bergwerke zu gründen. Die Gesellschaft in den mit dem höchsten Luxus ausgestatteten weitläufigen Kajüten bestand zum, größten Theile aus Herren, die noch nie in dieser erst durch den riesenhaften Bau des St. Marien-Kanals zugänglich gewordenen Gegend gewesen waren und sich daher ganz gegen die sonst schweigsame Natur des Amerikaners die größte Mühe gaben, mit denjenigen Gentlemen, welche schon längere Zeit an den Ufern des Oberen Sees gewohnt hatten, Gespräche anzuknüpfen, um ausführliche Mittheilungen über die Natur und die Producte des Landes zu erhalten. Namentlich bildete der Ertrag der kolossalen Kupferminen, welche sich von Keweena-Point bis zum Ontonagonflusse längs der südlichen Küste hinziehen, das Hauptgespräch der Gesellschaft, und ein Agent, der im Auftrage einer großen östlichen Actiencompagnie dort längere Zeit beschäftigt gewesen war, konnte kaum Worte genug finden, um alle die Fragen zu beantworten, mit welchen er bestürmt wurde.

„Ja, meine Herren,“ rief er aus. „wenn wir so mit unserer Ausbeute fortfahren, wie voriges Jahr, so brauchen wir die Leute in Californien nicht zu beneiden. Wir münzen aus unserm Kupfer eben so viel Gold, wie diese aus ihrem Quarz. Bedenken Sie, die Cliffmine gab das letzte Mal dreißig Procent Dividende, und die Preise des Metalls steigen noch immer!“

„Der Ertrag muß wirklich ein außerordentlicher sein,“ fuhr ein anderer Herr fort, „wenn die Blöcke reinen Kupfers, die drei- bis viertausend Pfund wiegen und wie ich sie in Pittsburg vor den Schmelzöfen haben liegen sehen, häufig vorkommen.“

„Dazu kommt noch,“ setzte der Agent hinzu, „daß der Verbrauch dieses Metalls durch die moderne Industrie enorm zugenommen hat. Alle Compagnien haben sich deshalb entschlossen, den Bergbau auf wissenschaftlichere Weise betreiben zu lassen, weil der oberflächliche Betrieb nicht mehr genügt. Sie werden, meine Herren, unten im Zwischendeck eine Menge cornische Bergleute bemerkt haben, welche wir zu diesem Zwecke aus England verschrieben haben. Auch haben wir als Betriebsdirector einen deutschen Gentleman engagirt, der früher seine Studien auf der berühmten Bergschule zu Freiberg in Sachsen gemacht bat und uns von Professor Agassiz empfohlen worden ist. Sehen Sie den Herrn, der dort auf der Galerie sitzt und so emsig nach der Küste schaut. Das ist er!“

Die neugierigen Blicke der Amerikaner richteten sich jetzt durch die offenstehende Seitenthür der Kajüte auf den Fremden, der nun aufgestanden war und ruhig auf dem langen Gangwege des Dampfers auf- und abschritt, während er von Zeit zu Zeit mit Hülfe eines kurzen Fernrohrs die südliche Küste des Sees musterte, an der sich hier die berühmten Sandsteingebilde, gewöhnlich die pictured rocks genannt, in schroffen Formen erheben und durch eine wunderbare Zeichnung mit kolossalen rothen Streifen eine angenehme Abwechselung dem Auge bereiten, welches durch die meilenlange weißschimmernde Düne gleich am Eingänge des großen Wasserbeckens ermüdet ist. Der Deutsche schien dieses geologische Räthsel mit dem größten Interesse zu betrachten, zog eine Brieftasche heraus und versuchte, ohne sich von dem Schaukeln des Schiffes stören zu lassen, eine flüchtige Zeichnung jener malerischen Felsen zu entwerfen, deren Entstehung die Naturkundigen zu den gewagtesten Hypothesen verführt bat.

„Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie störe, mein Herr,“ sagte hinzutretend einer der Passagiere, „ich habe soeben von Mr. Tomkins, dem Agenten, gehört, daß Sie ein Mineraloge aus dem alten Lande sind und daß seine Compagnie sich von Ihrer Thätigkeit viel verspricht. Da ich nun selbst ein wenig in den Kupferminen speculiren möchte, so erlaube ich mir, mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Jones und ich bin am Michigan-See zu Haus.“

„Der meinige ist Werner,“ erwiderte der Deutsche, indem er dem Amerikaner seine Karte überreichte, „und es sollte mich freuen, wenn ich Ihnen nützlich sein könnte, Ich gehe nach Ontonagon. Wo werden Sie aussteigen?“

„Ebendaselbst,“ entgegnete Mr. Jones, „aber lassen Sie sich bei Ihrer Zeichnung nicht stören, Ich hoffe, daß Sie hier im fernen Nordwesten noch manche Scenerie finden werden, die Ihren europäischen Augen interessant erscheint. Schauen Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_145.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)