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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Graf Adlersparre hatte Alma für meinen Vater, der als geistig sehr bedeutend galt, ausbilden und erziehen lassen, während die heitere Ulrike Eleonore alles Wissen nur für Plunder erklärte, der frühzeitig alt mache. Sie war seit Kurzem heimlich, ohne Vorwissen ihres Vaters, mit einem armen dänischen Officier verlobt, der aber Aussicht auf die Erbschaft eines reichen Onkels besaß. Trotz dieser Verlobung nahm Ulrike Eleonore mit Freuden die Huldigungen meines Vaters an, der sich ihr anstatt der ernsten Schwester zuwandte. Es stachelte ihre Eitelkeit, einen solchen Triumph zu erringen und einen Mann zu besiegen, dessen Name ein so geachteter, dessen Ruf tadellos und der mit Reichthum und Schönheit Liebenswürdigkeit und Herzensgüte einte. Sie feierte diesen Triumph. Mein Vater liebte, vergötterte sie, und an dem Tage, wo sie sein Weib wurde, bat sie ihre Schwester Alma, die ebenfalls nichts von ihrer heimlichen Verlobung wußte, den ihr ursprünglich bestimmten Bräutigam davon in Kenntniß zu setzen, daß sie Baron Fordenskiöld geheirathet habe. Alma that Alles für die Schwester. Sie beschwichtigte den Zorn des Verrathenen und bewog ihn, Abstand zu nehmen von dem unglücklichen Gedanken, den jungen Ehemann über die Thaten und den Charakter der angebeteten Gemahlin aufzuklären. – Ein Jahr ging Alles gut; da starb der reiche Onkel des Officiers, dieser kam nach Schweden und trat seiner frühern Braut überall entgegen. Sie schwach, er leichtsinnig, verriethen Beide meinen armen Vater. Wenige Monate nach meiner Geburt verließ meine verblendete Mutter Gatten und Kind, um sich in die Arme dessen zu werfen, den sie einst aufgegeben. Von dem Schmerz und Jammer, den ihre Untreue, ihr schmählicher Verrath über meinen unglücklichen Vater gebracht, brauche ich Dir wohl nichts zu sagen, Du hast ja die Spuren seiner Leiden in den gramdurchfurchten Zügen gesehen! Nach der erfolgten Scheidung verließ er sein Heimathland und kam nach Sylt; ihm folgte Alma Adlersparre, die ihn angefleht, mir Mutter, ihm Freundin sein zu dürfen. Beider Leben kennst Du auch. Du weißt, welch ein Engel meine Tante war und wie sie treu ausgeharrt an der Seite des unglücklichen Einsiedlers.“

„Sie hat Deinen Vater geliebt?“ rief Erich.

„Ja, seit dem Tage, wo sie ihn zuerst gesehen, bis zur letzten Stunde ihres Lebens! Diese treue, tiefe Liebe hätte wohl andern Lohn verdient, als fort und fort zu sehen, wie seine Liebe fest an die gekettet blieb, die ihn verrathen und verlassen.“

„So liebte er Deine Mutter noch?“

„Ja, trotz des Hasses, mit der er stets von ihr gesprochen. Und hätt’ er sie nicht geliebt, würde er dann nicht ein neues Leben an Tante Almas Seite begonnen haben? Sein Bruder, auch Graf Adlersparre beschwor ihn, Alma’s Treue mit Liebe zu lohnen, vergebens! In starrem, unbeugsamem Willen hat er dabei beharrt, der die Treue zu halten, die sie ihm gebrochen, mit eben solcher Starrheit verharrte er auch in seinem Groll über ihren Verrath, und kein Flehensbrief, kein Flehenswort hat ihm Vergebung abgerungen.“

Erich Larsson dachte an eine Scene aus seiner Kindheit und sprach nachdenklich:

„Ich höre noch immer sein hartes ,Nie‘, als Deine Tante ihm einmal sagte, er würde vergeben und vergessen.“

„Und es hat sich erfüllt, denn noch auf dem Sterbebette hat er Tante Alma die Bitte abgeschlagen, endlich der zu verzeihen, die so bitter bereut.“

„So hat sie also bereut?“ fragte Erich leise.

„Ja, doch spät! Lange Jahre war sie glücklich und lebte ohne Reue und Buße, und Du wirst Dich noch der Worte meines Vaters gegen Nanna Hansen erinnern, als er sagte: ,Am Schuldigen rächt sich nicht immer das Unrecht!‘ Damals lebte meine Mutter noch in Glanz und Freuden, erst später sollen Armuth, Tod ihrer Kinder und anderes Mißgeschick sie einsichtsvoller und besser gemacht haben.“

„Lebt sie noch?“

„Nein!“

„Wie verlassen und allein Du in der Welt stehst!“

„Standest!“ sagte Ingeborg sanft; „denn im Kloster hab’ ich mir Viele zu Freunden gewonnen.“

Sie sah ihn mild an und gab ihm das Schreiben ihres Vaters. Es enthielt nur folgende Worte:

„Führt Euch die Gnade eines Gottes noch einmal zusammen, so laßt die Fügung des Geschicks nicht vergebens an Euch herantreten! Laßt ab von Haß und Groll – eint Euch in Liebe – wahrt Euch die Treue und seid meines Segens gewiß.“

Tief erschüttert las Erich die ernste Mahnung. Er gab sie Ingeborg zurück und sprach mit feuchtem Auge: „O Ingeborg, Ingeborg, hättest Du nicht gewaltsam in das Walten des Schicksals eingegriffen, wir konnten auf Erden noch glücklich sein!“

Sie las den Brief, sie hörte die Worte des Geliebten, Gluth und Blässe wechselten in ihrem Antlitz, und kaum hörbar waren ihre Worte, als sie sagte:

„Ich gelobte meinem Vater, nicht eher mein Noviziat im Kloster zu beenden, bis ich Dich noch einmal gesprochen hätte, und Erich – ich habe Wort gehalten!“

„So bist Du noch nicht Nonne?“

„Nein!“

Wie war dies eine „Nein“ ein tausendfaches „Ja“ für die Bestätigung des heißersehnten Wunsches – der lang genährten Hoffnung! – Kurz, nur sehr kurz war für jetzt das Glück der endlich Vereinigten, es war aber so groß, daß seine Momente ihnen die Jahre des Leids aufwogen. Wie schwer, wie bitter auch jetzt die unvermeidliche Trennung, nicht den tausendsten Theil so schwer, so bitter, wie einst, denn Beide schieden in Glück und in Hoffnung!

Diese Hoffnung, die mit Sonnenglanze Ingeborg’s Zukunft durchwob und selbst verklärend über dem Dunkel ihrer Vergangenheit zitterte – dieses Licht, dieses neue Leben, das mächtig ihr ganzes Sein durchströmte, umnachtete sich noch einmal. Es war in jenen verhängnißvollen Tagen, wo der Donner der Kanonen nicht nur vernichtend über dem festen Bollwerk der Düppler Schanzen dahinrollte, sondern auch vernichtend in das Leben von Tausenden eingriff, um den schwarzen Boden, auf dem das goldene Banner der Freiheit sich erheben sollte, erst mit dem rothen Blute Derer zu weihen, deren Loos es war, für diese Befreiung, für die heiligen Rechte eines Bruderstammes zu sterben.

Mit Tausenden zitterte Ingeborg in diesen Stunden der Gefahr, in diesen Stunden der Entscheidung; ihre Gebete einten sich mit tausend und aber tausend heißen Gebeten zagender, hoffender Herzen. Wie sie aber auch zu Gott flehte und vertrauend aufblickte zu seiner unendlichen Gnade, in die Hoffnung mischte sich stets von Neuem die Furcht, daß all ihr Bitten vergebens sein, daß sie verlieren könnte, was sie kaum erst gefunden. –

Der Sieg war errungen. Angsterfüllt harrte Ingeborg der vom Geliebten verheißenen Kunde und stand täglich am Fenster – die Straße hinausschauend, auf der er kommen mußte, wenn das Glück mit ihr war. Und eines Nachmittags – schon in der Dämmerungsstunde – rollte ein Wagen dem Städtchen zu, ein weißes Tuch winkte heraus, ein Schrei des Jubels und der Freude entrang sich Ingeborg’s Brust – er kommt – er ist mein, so stürzte sie nach der Thür – –

Wo ist die Feder, die diesen Augenblick schildern möchte!

M. von Humbracht.




Naturrechtliche Jagd.
(Mit Abbildung.)

Sollen wir unserm Bilde noch eine besondere Erklärung beifügen?

„Halt auf! Brrrr! Ach Gott, meine Milch!“ – So hören wir den Jungen von seinem Karren herunter schreien. Aber – hurre hurre hopp hopp hopp – geht’s fort in sausendem Galopp! Der gewaltige Zug der Natur erringt einen fröhlichen Sieg über das eingepeitschte Gefühl der Pflicht.

Die Tücke ist groß, mit der hier von der gepriesenen Waidmannslust das Milchgeschäft heimgesucht wird. Sie verließen so harmlos und so zufrieden mit dem Morgenfutter die heimische Hundehütte; sie gingen in’s Joch mit einer deutschen Geduld, die einen Clavierlehrer entzückt hätte; sie zogen ihre Tageslast unverdrossen jenseits den Berg hinauf und wedelten auf der Hochebene mit den Schwänzen beglückwünschend einander an, weil in ihnen

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