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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Freier athmete ich jedoch, als Lebas die Flurtreppe herab und mir entgegen kam. Sein edles Gesicht, seine Freundlichkeit zerstreuten die Besorgnisse.

„Mesnart,“ rief er, „Du hier – bei uns? Ah, das freut mich! Worin kann ich dienen? Willst Du einen Posten, etwa beim Lieferungswesen? Gut, Du sollst ihn haben; o, Du bist ehrlicher Bürger Sohn. Wir müssen solche Leute haben, Unterschleife sind den Patrioten ein Gräuel. Erst vorgestern haben wir zwei Betrüger unter die Guillotine befördert. Sie müssen Alle sterben.“

Er hielt mir seine Hand hin, ich schauderte zusammen. Immer Blut – immer das Eisen des Fallbeils! Ich mußte mich kurz fassen, zog Lebas in eine Ecke und theilte ihm schnell den Zweck meiner Anwesenheit in Paris mit.

Er schlug die Augen empor – sie blickten ernst. Bevor er zu sprechen begann, sah er mich lange scharf an. „Anatole,“ sagte er mit halber Stimme, „man merkt, daß Du lange nicht in Paris warst. Weißt Du, was es sagen will, zwei Menschen unter dem Messer der Guillotine hervorzuziehen? Du kennst ihre Vergehen gegen die Nation nicht.“

„Aber Lebas – ein Weib, ein schuldloser sechzehnjähriger Schüler des Collège!“

„Schuldlos? Die Republik ist gefährdet; wer in diesem Augenblicke nur einen Schimmer von Schuld auf sich zieht, muß vernichtet werden. Ich gebe zu, daß vielleicht Mancher unschuldig leidet, aber das kümmert uns nicht. Besser Tausend geopfert, als Millionen in’s Elend gestürzt!“

Lebas’ Aussehen veränderte sich auffallend; seine Züge nahmen einen wilden Ausdruck an, seine Gesticulationen waren heftig und drohend.

„Wenn nun aber,“ warf ich ein, „ein Unschuldiger gerettet werden kann? Wenn es sich herausstellt, daß ein Franzose, ein Bürger nur durch Umstände verdächtigt wurde? Ist es nicht Pflicht, ein Leben zu retten, nicht Pflicht, dem Staate einen Bürger zu erhalten? Lebas – gedenke Deines Weibes, Deiner Mutter – gedenke des Wechsels im Leben. Vielleicht erbarmt sich auch einst ein Mitleidiger Deines jungen Kindes, das jetzt an der Brust Deiner Gattin ruht – vielleicht bist in wenigen Tagen auch Du nicht mehr. Lebas, die Tage rauschen jetzt an uns vorüber wie Stunden, der Sturmwind der Revolution treibt sie, und Danton hat gerufen: ,Meine Feinde werden mich nicht lange überleben!‘“

Lebas senkte sein Haupt. Er drückte mir die Hand, und sein Mund verzog sich zu schmerzlichem Lächeln. „Was kommen soll – komme. Wir sind einig mit uns,“ sagte er. „Deine Schützlinge betreffend – ich will Alles versuchen; Du mußt Robespierre sprechen. Saint Just ist gerade bei ihm, sie haben die Nacht gearbeitet. Warte, bis Robespierre angekleidet ist, im Hofe da, bis ich Dich rufen lasse. Dort oben auf der Galerie sitzt er und läßt sich frisiren; ist er fertig, kommst Du vor. Ich will nur erst die Listen durchsehen, um das Vergehen der Lepelletiers zu kennen, dann spreche ich mit Robespierre.“

Lebas ging. Ich trat voll ängstlicher Erwartung in den Hof. Auf demselben waren Breter, Zimmerbalken und dergleichen Vorräthe aufgestapelt. Ein Arbeiter sägte Breter auseinander. In der Ecke des Hofes befand sich ein kleiner Brunnen, Weinreben rankten sich an den Mauern empor, Tauben flogen umher, tiefe Stille, nur das Gelächter der Wachen und das Kreischen der Säge unterbrachen die Ruhe. Ich hatte mich an die Mauer gelehnt und meine Blicke auf die Person gerichtet, welche Lebas mir gezeigt. Es war Robespierre. Rings um das Haus lief eine Galerie. Auf diese öffneten sich die Zimmer des ersten Stockes, auch das Robespierre’s. Er ließ sich stets, wenn das Wetter günstig war, in der Galerie frisiren; so auch heute.

Er hatte einen Pudermantel umgehängt, neben ihm stand ein kleiner Sessel, auf demselben ein Teller mit Früchten, einigen Brodschnitten und einem kleinen Glase Wein. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, denn während des Frisirens las er Journale. Nicht weit von ihm ruhte ein ungeheuer großer Hund, eine Dogge. Sie führte den Namen Bronet und war Robespierre’s Liebling. Der Friseur trug eine Jacobinermütze, war aber sonst sehr sauber. Die Thür zu Robespierre’s Zimmer stand offen, zuweilen blickte der Lesende auf und schien die Frühlingsluft einzufangen.

Endlich empfahl sich der Friseur, und fast zu gleicher Zeit trat Lebas auf die Galerie. Mein Hals verlängerte sich, die Augen bohrten sich fest an den Beiden, mein Blut stockte. Jetzt ward mein Anliegen verhandelt. Ich konnte jedoch nur abgerissene Worte verstehen; ich sah, wie Robespierre heftig wurde, wie Lebas ebenfalls lebhaft gesticulirte, auf Papiere wies, die er in der Hand hielt; dann wandte Robespierre den Kopf gegen die Thür des Zimmers und sprach etwas. Es schien mir, als antworte eine Stimme aus dem Zimmer. Endlich stand er auf, ging in das Zimmer und warf die Thür hinter sich zu. Wenige Minuten später war Lebas bei mir. „Deine Sachen stehen so weit gut,“ sagte er hastig, „nur glaube ich nicht, daß Du Beide retten kannst. Die Frau schwerlich. Sie ist arg compromittirt. Ihr Wirth, ein Schneider, hat sie in das Verderben gebracht, denn er hat sie verleitet, Briefe an die Coblenzer Emigrirten in ihrem Zimmer aufzubewahren; indem er sich für einen Volksvertreter ausgab, hat er viele Bürger verleitet. Der junge Mann François hat Briefe verrätherischen Inhaltes zu einem gewissen Agenten der Coblenzer getragen, doch ist seine Schuld geringer, da er ohne Vorwissen gehandelt. Stelle Dich bei Robespierre, als wüßtest Du von nichts. Komm.“

Wir stiegen die Treppe hinauf. Wie ich in Robespierre’s Zimmer gekommen bin, weiß ich nicht zu sagen. Ehe ich meine Gedanken gesammelt hatte, stand ich dem Gefürchteten gegenüber. Nichts wirkte hier erschreckend auf die Sinne. Einfach weißgetünchte Wände, ein Bett aus Nußbaumholz, darüber eine Decke von weißem Damast mit rosa Blumen durchwirkt, ein Tisch mit Wachstuch bezogen, einige Binsenstühle – dies war des kleinen Zimmers Ausstattung. Links vom Eingange stand ein Bücherrepositorium, auf dessen Bretern viele Papiere, einige Bände und Zeitschriften lagen. Das Fenster ging auf das Dach hinaus; auf dem Fenster standen schöne, blühende Blumen in Töpfen, umschwirrt von Käfern, die in der Frühjahrssonne auf- und niederflogen. Am Tische saß ein Mann und las. Robespierre stand an dem Ende seines Bettes und stützte die rechte Hand auf die Lehne der Ruhestätte.

Die Leidenschaft, der Haß, welchen seine Gewaltmaßregeln gegen ihn aufstachelten, haben es vielfach versucht, die Erscheinung des Mannes, sein Gesicht, seine Stimme mit den blutigen Befehlen, die er ertheilte, in Einklang zu bringen, d. h. der Gefürchtete mußte auch das Aussehen einer Hyäne oder eines Tigers haben, seine Stimme mußte gleich dem Gekrächze des Raben tönen etc. Dies Alles ist nicht wahr. Robespierre’s Gesicht hatte im Gegentheil einen sanftmüthigen Ausdruck; seine Stirn war hoch und trug einige Falten, seine Augen, etwas verschleiert, waren feurig, wenn er sie aufschlug, die Nase, gut geformt, zeigte große Nüstern, die sich bewegten, wenn er sprach. Er war hager im Gesicht und eine elfenbeinfarbige Blässe überzog dasselbe; die Mundwinkel umspielte, wen er wohlwollend sprach, eine gewinnende Freundlichkeit, sonst lagen sie festgekniffen aufeinander. Er hatte besonders schöne Zähne und Haare. Seine Figur war schlank und wohlgebaut, seine Brust breit und die Stimme keineswegs kreischend, sondern nur in Momenten des Affectes scharf, sonst sanft, sogar schleppend. Er gesticulirte sehr wenig während des Sprechens. Seine Kleidung war äußerst sauber: ein hechtgrauer Frack mit blanken Knöpfen, eine buntgeblümte Weste, dunkle Beinkleider und Halbstiefeln. Ein sorgfältig gekräuseltes Jabot schloß sich an die schmale, schneeweiße Halsbinde.

„Anatole Mesnard, ich erkenne Dich wieder,“ das waren Robespierre’s erste Worte zu mir.

„Ich freue mich, Bürger Repräsentant, daß Du Dich meiner erinnerst.“

„Deine Familie ist mir wohlbekannt. Ihr seid lau, aber nicht feindlich. Man kann nicht von Jedem Selbstaufopferung erwarten; um so mehr wundere ich mich, wie Du zu dem Entschlusse gekommen bist, eine Bitte für die Vertächtigen zu wagen.“

„Eben weil ich der Selbstaufopferung fähig bin, Bürger Repräsentant.“

„Was heißt das?“ fragte Robespierre lauernd.

„Ich war mir bewußt, mein Leben auf’s Spiel zu setzen, indem ich ein Wort zu Gunsten meiner compromittirren Freunde wagte. Glaubst Du nicht, Bürger Repräsentant, daß es heutzutage ebensoviel Muth erfordert, für einen Verurtheilten bei Dir Gnade zu erflehen, als eine mit Kanonen besetzte Schanze zu stürmen, hinter welche sich die Feinde der Nation versteckt haben?“

Ein Blitz fuhr aus Robespierre’s Augen. „Das ist wahr,“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_090.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)