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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 6.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Erkauft und Erkämpft.
Von Johannes Scherr.
(Fortsetzung.)


„Mein Fräulein,“ sagte der kecke Mann im Tone der tiefsten Ehrerbietung, „ich bitte Sie inständig um Verzeihung, wenn ich den Versuch wage, in dieser ungewöhnlichen Weise mich Ihnen vorzustellen. Ich heiße Sigfrid von Lindenberg, war vormals ein Stück von einem Juristen, item von einem Poeten, Revolutionär und Freischärler, bin aber jetzo ein solider Mann von anständiger Bildung, nebenbei auch falls sie, meine Gnädigste, das interessiren sollte, Besitzer eines freiherrlichen Wappens, das vor Alter ganz schimmelig geworden, item Schloßherr, Gutsbesitzer und so weiter.“

Sie warf die Lippen spöttisch auf, als wollte sie sagen: „Was geht denn das Alles mich an?“ Aber sie schwieg und gewann es mit gewaltsamer Bemühung sich ab, den Kühnen mit vornehmer Wegwerfung anzusehen. Er ließ sich jedoch nicht abschrecken, sondern begann wieder: „Mein Fräulein, ich bitte ehrfurchtsvoll, daß Sie geruhen mögen, mir Ihren Namen zu nennen. Ich bitte, bitte!“

Sie schüttelte den Kopf und versuchte es, das beispiellose Abenteuer, welches ihr zugestoßen, komisch und drollig zu finden; aber es wollte nicht gehen. Was war doch nur für ein seltsamer Klang in der Stimme dieses Mannes?

„Bitte, bitte!“ wiederholte er.

„Mein Herr, ich, heiße Brunhild von Hohenauf,“ sagte sie kurz und schneidend.

„Brunhild?“ entgegnete er mit einem Lächeln, von welchem, wie die Sage ging, schon mehr als eine Frau mit Grund gemeint hatte, daß es ein sehr verführerisches sei. „Brunhild? Das trifft sich ja ganz wunderbar! Brunhild und Sigfrid, urzeitlich-mythisch-heroische Namen, die so zu sagen gar nicht von einander getrennt gedacht werden können.“

Sie lächelte unwillkürlich, weil auch ihr die Beziehung auf die altgermanische Heldensage blitzschnell sich aufdrang.

„Und nicht nur Brunhild und Sigfrid stimmen zusammen,“ fuhr er fort, „sondern auch Hohenauf und Lindenberg. Beim Jupiter, der wunderbarste Schicksalswink! Brunhild von Hohenauf und Sigfrid von Lindenberg? Da wird Einem ja ganz literar-historisch-wundersam zu Muthe, ganz eddaisch und nibelungisch oder auch nikolaiisch und müllerisch.“[1]

Er lachte herzlich, und, mochte sie wollen oder nicht, sie mußte mitlachen.

Dadurch kühn gemacht, falls das überhaupt noch nöthig war, dämpfte er seine Stimme zu tiefem Ernst und sagte: „Ich weiß nicht recht, hab’ ich selbst oder hat ein Anderer ’mal gesagt: Wenn die Götter dir die Pforte zum Himmel aufthun, so zögere keinen Augenblick, hineinzuschlüpfen; sonst schlägt sie unwiederbringlich zu … Nun wohl, ich nehme mein Herz in beide Hände. Fräulein Brunhild von Hohenauf, wollen sie die Frau Sigfrid’s von Lindenberg werden?“

Sie wurde bleich, als wäre plötzlich ein Schuß ihr in’s Gesicht gefeuert worden. Dann stand sie langsam auf, schwang ihren Hut auf den Kopf, zog ihre Mantille auf die Schultern und mit dem Sonnenschirm spöttisch grüßend, rauschte sie an dem kecken Freiwerber vorüber mit den stolz hingeworfenen Worten: „Mein Herr, Sie sind entweder ein ausbündiger Narr oder der geckenhafteste aller Gecken!“

Mephisto Schwarzdorn setzte an, um in ein homerisches Gelächter auszubrechen. Als er jedoch den Freund ansah, wie dieser der rasch den Hügel hinabschreitenden Schönen nachblickte, die Brauen finster zusammengezogen, mit der Rechten im Barte wühlend, unterließ er das laute Lachen und sagte nur: „Lieber Junge, Du hast kein Glück in Römerrollen. Beim Heraufgehen kamst Du mir wie ein parodirter Scipio vor und hier oben war es Dir beschieden, einen travestirten Cäsar vorzustellen: – Veni, vidi, victus sum.“

„Du hast Recht: ich ward besiegt. Aber merke, was ich Dir sage. Diese stolze und spröde Walküre Brunhild wird mein Weib, oder … Genug! Laß uns den steileren, aber bedeutend kürzeren Pfad durch das Gehölz hinabgehen, weil ich vor der Dame im Orte drunten anlangen will.“

Fräulein Brunhild zügelte ihren Schritt, als sie am Fuße des Burghügels den Fahrweg erreicht hatte, sie fühlte sich wunderlich beklommen und es war ihr zu Sinne, als rollte eine Feuerkugel in ihrer Brust. Unwillkürlich mußte sie vor sich hinsagen: „Was war doch das? Wie konnte ein Mensch es wagen, mir einen solchen Schimpf anzuthun? … Und doch!“

Dieses „Und doch!“ war einer jener Naturlaute, in welche Menschenherzen mitunter ausbrechen ohne Wissen und Willen, und wie die stolze Schöne das Wort sprach, empfand sie zugleich das gebieterische Bedürfniß, stillzustehen und nach der Hügelhöhe zurückzublicken. Sie widerstand indessen und setzte ihren Weg fort. Wer

sie aber genau beobachtet hätte, mußte bemerken, daß ihr Gang die sanftabfallende Straße zum Strom hinab nicht ihr gewohntes elastisches Schweben war, sondern ein mattes Schlendern, als

  1. Der Herr Verfasser spielt zweifelsohne auf Nikolai’s „Sebaldus Nothanker“ (1773) an, in welchem eine Frau von Hohenauf vorkommt, und auf Gottwerth Müller’s dermaleinst hochberühmten „Sigfrid von Lindenberg“ (1779).      Anmerkung des Setzers.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_081.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2021)