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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Kaum die Thür ist geöffnet zu den Hallen dieses Reichthums – und dennoch zieht es die große Masse unserer Künstler vor, ihre Vorwürfe auf fremden Gebieten der Geschichte, der Mythologie, der Legende zu suchen, anstatt da, wo das volle Leben ihnen winkt. Was anders verursacht es, daß das Volk vor den meisten ihrer Bilder kalt bleibt, als der Umstand, daß sie für des Volkes Herz nichts bieten? Auf Gegenseitigkeit beruhen auch in der Kunst Wirkung und Geschäft.




Das Werk eines deutschen Bürgers.
Von Ludwig Walesrode.
I.
Herzog August und seine kostspieligen Tollheiten. – Seine Schulden bei den Bürgern Gotha’s und die Insolvenz seines Nachlasses. – Herzog Friedrich IV. wird von seinen „Unterthanen“ in englische Lebensversicherungen eingekauft. – Sein Tod. – Ein englischer Gerichtshof in Gotha. – Kings Bench. – Lord Brougham, Advocat für die gothaischen Kläger. – Englische Proceßkosten. – E. W. Arnoldi. – Stiftung der Gothaischen Lebensversicherungsbank.

Im Jahre 1804 gelangte Herzog August von Gotha-Altenburg zur Regierung, sicherlich einer der bizarrsten Fürsten, welche jemals die Geschicke eines deutschen Landes oder Ländchens geleitet haben. Die wunderlichen Einfälle dieses Mannes grenzten an eine Tollheit, in welcher selbst der weiland königlich dänische Kammerherr von Polonius schwerlich eine „Methode“ zu entdecken im Stande gewesen wäre. Ich verweise auf einen von kundiger Hand im Jahrgange 1857 der „Gartenlaube“ mitgetheilten Artikel über diesen Fürsten und auf die Illustration dazu, welche besagten Herzog August (nach einem in Gotha befindlichen Gemälde) darstellt, im Gewände einer Griechin, auf einem antiken Ruhebette hingestreckt, einen King-Charles-Hund auf dem Schooße. Ueberhaupt liebte es der Herzog auf den weitgestreckten Corridors und dem großen Hofe seines Residenzschlosses Friedenstein in den verschiedensten Verkleidungen, als indischer Priester, als jüdischer Rabbi etc., umher zu wandeln. Selbst mit der Farbe seiner Perrücke wechselte er in einem fort – das Gesicht war geschminkt und mit Schönpflästerchen beklebt. Bei alledem war er ein Mann von Geist, der sich sogar schriftstellerisch versuchte. „Kyllenion oder auch ich war in Arkadien“ lautet der Titel eines von ihm in der Manier der Wieland’schen „Grazien“ verfaßten Buches. Es wird ihm auch noch ein anderes Werk „Vierzehn Briefe eines Karthäusers“ zugeschrieben. Ein Zeitgenosse Carl August’s und gewissermaßen dessen Wandnachbar, besuchte der Herzog häufig den weimarischen Hof, zum großen Verdrusse Goethes, dessen in classischer Ruhe gesammeltem Wesen die Bizarrerieen des Herzogs, besonders dessen frivole wortspielende Witzelei, wenig behagten. So oft Herzog August in Weimar war, blieb Goethe von der Tafel seines fürstlichen Freundes fort.

Trotz dieser souverainen Absonderlichkeiten oder, wenn man will – Narrheiten, gehörte Herzog August, hinsichtlich seiner Regierung, zu den besten deutschen Fürsten seiner Zeit. Er verstand es sein kleines Land glücklich durch die Stürme zu lootsen, mit welchen der Napoleonische Siegeszug die Staaten Europas in ihren Grundvesten erschütterte. Dem freundschaftlichen Verhältniß; in das er zum französischen Kaiser trat und an welchem eine ungeheuchelte Bewunderung vor dem Genie Napoleon’s den größten Antheil halte, verdankten die Einwohner des Gothaisch-Altenburg’schen Herzogtums, daß die Noth jener Zeit, welche schwer auf den andern deutschen Staaten lastete, mit keinem merklichen Ungemach sie berührte. Wer etwa heute dieses intime Verhältniß des Herzogs zu Napoleon ein undeutsches schelten wollte, den möchten wir an das „Parterre von Königen“ erinnern, auf das Napoleon aus seiner kaiserlichen Loge im Erfurter Theater hinabsah. – Aber auch als nach dem Sturze Napoleon’s die Karte von Deutschland revidirt wurde, wußte Herzog August sein Ländchen vor dem Verschlingungsgelüste der benachbarten Großmächte zu schützen. Auch kann man ihm nicht nachsagen, daß sein Land unter dem Drucke einer verstärkten absolutistischen Reaction die Befreiungsthat des deutschen Volkes abbüßen mußte, wie das fast im ganzen deutschen Vaterlande geschah. Noch heute hört man von älteren Leuten in Gotha, die sich jener Zeit erinnern, seine humane und milde Regierung rühmen. Eben so wenig wurde die Steuerkraft des Landes besonders scharf angezogen. Die Abgaben waren äußerst mäßig, obgleich der Herzog Geld und zwar sehr viel Geld brauchte für die oft kostbare Inscenesetzung seiner barocken Einfälle, besonders aber für eine verschwenderische Hofhaltung, bei welcher natürlich die keiner Controle unterworfenen Hofbediensteten, in auf- und absteigender Linie, ihr Schäfchen in’s Trockne zu bringen wußten. So berechnete z. B. das Hofmarschallamt die jährlich für die herzogliche Tafel verbrauchte – Petersilie mit fünfhundert Thalern.[1]

Vor Allem aber war der Herzog freigebig bis zum Exceß. Er beschenkte mit vollen Händen nicht blos seine Höflinge und Günstlinge, sondern Jeden, der seiner Laune gerade in den Wurf kam. Natürlich, daß die Bijouterie- und Modewaarenläden in Gotha, wo der Herzog seine Einkäufe stets in eigener Person besorgte, diesen Zug fürstlicher Freigebigkeit sich besonders zinsbar zu machen wußten. So erzählt man noch heute in Gotha, daß sämmtliche goldene Tabatieren, die der Herzog nach und nach als Präsente für irgend einen Günstling seiner Umgebung in der dortigen P.’schen Handlung, das Stück zu vierhundert Thalern ein kaufte, im Gründe nur aus einer einzigen und zwar immer aus einer und derselben goldenen Dose bestanden, welche der jeweilig Beschenkte regelmäßig gedachtem Handlungshause für hundert Thaler wieder überließ. Noch weit bedeutender waren die Einkäufe, welche der Herzog viele Jahre hindurch in dem damals ersten Putz- und Modewaaren-Geschäft von Madam Schenk in Gotha machte, wo er nicht selten ganze und kostbare Aussteuern für Bräute aus der Stadt Gotha anfertigen ließ. Da der Herzog nicht gleich bezahlte, so stieg sein Conto bei den Handels- und Gewerbsleuten Gotha’s, die ihm ihre Waaren lieferten, auf enorme Ziffern, abgesehen von den baaren Summen, welche ihm begüterte Einwohner Gotha’s zur Bestreitung seiner laufenden Ausgaben und der Geldunterstützungen, um die er selten vergebens angesprochen wurde, vorgeschossen hatten. Die Bürger der kleinen Residenzstadt rechneten sich’s zur hohen Ehre an, in das vertrauliche Verhältniß als Gläubiger zu Serenissimus getreten zu sein. Hielt doch Jeder sich der prompten Wiederbezahlung mit Zinsen und sonstiger allergnädigster Berücksichtigung für sicher.

Da starb Herzog August im Mai 1822, und zur nicht geringen Bestürzung seiner zahlreichen Gläubiger in Gotha ergab die gerichtliche Aufnahme der Erbschaftsmasse, daß der Herzog schon längst insolvent gewesen. Mit dem Manuskripte eines unvollendeten Romanes, betitelt „Panedone“ (All-Lust), das sich unter seinem Nachlasse fand, konnte seinen Gläubigern wenig gedient sein. Diese All-Lust erschien fast als ein posthumer Witz des Verstorbenen über seine nicht sonderlich all-lustig gestimmten Creditoren. Die Forderungen wurden jetzt gegen den als Friedrich der Vierte zur Regierung gelangten Bruder des verstorbenen Herzogs ungestüm geltend gemacht. Es hätte über den unzulänglichen Nachlaß des „Hochseligen“ der Concurs erkannt werden müssen, wenn nicht das Ministerium des neuen Landesfürsten, zur Vermeidung des Scandals, eine Abkunft mit den Gläubigern dahin getroffen hätte, daß ihnen ihre Forderungen in fünfjährigen Raten, vom 1. Februar 1824 bis zum 1. Februar 1829 bezahlt werden sollten, falls der nunmehr regierende Herzog Friedrich der Vierte so lange am Leben bleiben würde. Diese etwas bedenkliche Clausel veranlaßte die gemeinsam handelnden Gläubiger zu dem Entschluß, das ihnen so kostbare Leben des Herzogs Friedrich des Vierten bei der Londoner Lebensversicherungs-Compagnie „Union“ auf fünf Jahre und auf den Betrag der summirten Forderungen zu versichern.

Aber die „Union“ ließ sich sehr schwierig herbei, den durch ihre Generalagentur für Deutschland, das Handlungshaus Corty und Compagnie in Hamburg, ihr zugegangenen hohen Versicherungsantrag anzunehmen, und das nicht ohne Grund. Es war nämlich

  1. Ich habe diese Notiz aus dem Munde eines angesehenen und glaubwürdigen Bürgers von Gotha, der sich noch lebhaft jener Zeit zu erinnern weiß.
    D. B.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_012.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)