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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

In diesem Augenblick schmetterte die Retraite in lang gezogenen Tönen durch den Wald und mahnte die Besucher des Bivouaks an die Rückkehr nach der Heimath. Man verabschiedete sich mit Herzlichkeit, wobei manches schöne Auge feucht wurde, weil neben der allgemeinen Theilnahme, die man dem von tausend Gefahren bedrohten Detachement schenkte, mancher Jäger noch ein besonderes Interesse erregt hatte.

Bald darauf verstummte auch das fröhliche Treiben, welches das Bivouak belebt hatte. Die durch einen anstrengenden Marsch ermüdeten Jäger warfen sich, in ihre Mantel gehüllt, an das Feuer und überließen sich der Ruhe. Der Rittmeister zog sich in eine Strauchhütte zurück, die er mit den beiden Officieren der Abtheilung, den Lieutenants von Katte und Eckart, theilte. Auf den weichen Pferdedecken, die den Rasen bedeckten, verfiel er bald in einen tiefen Schlaf.

Mehrere Stunden vergingen in der vollständigsten Ruhe. Um Mitternacht wurde der Rittmeister aber von dem Oberjäger, der die Lagerwache befehligte, geweckt. Eine Patrouille hatte einen Menschen eingebracht, der sich bei den Vedetten mit der Bitte gemeldet, ihn sogleich zum Commandeur zu führen. Er wollte demselben eine höchst dringliche und unaufschiebbare Mittheilung zu machen haben. Der Gefangene war noch sehr jung und kaum dem Knabenalter entwachsen. Leicht und beinahe zart gebaut, konnte er für ein verkleidetes Mädchen gehalten werden, wenn nicht der blonde Flaum auf seiner Oberlippe sein Geschlecht verrathen hätte. Er war gut beritten und mit einem Husarensäbel und zwei Reiterpistolen bewaffnet. Die Patrouille hatte ihn entwaffnet und an die Lagerwache abgegeben, die den Vorfall zur Kenntniß des Rittmeisters brachte.

Dieser schüttelte den Schlaf von sich ab und trat, ohne daß sich in seinem Gesicht irgend eine Verdrießlichkeit über die unangenehme Störung bemerkbar machte, vor die Hütte, wo der Jüngling, roth übergossen von dem Schein des sorgfältig unterhaltenen Feuers, zwischen zwei Jägern stand, die ihn mit aufgenommenem Gewehr bewachten.

„Ich bin der Commandeur dieses Detachements, Sie wünschen mich zu sprechen? Was haben Sie vorzubringen?“ fragte der Rittmeister in seiner kurzen Redeweise, während seine Augen prüfend über die Gestalt des jungen Mannes flogen und sich zuletzt auf dessen Gesicht festbohrten.

„Ich wünsche Ihnen eine Mittheilung zu machen,“ entgegnete dieser ohne jede Verlegenheit, „die den Herren Preußen eine gewünschte Gelegenheit bieten wird, den Franzosen eine empfindliche Schlappe beizubringen?’

„Wie heißen Sie und was sind Sie?“

„Ich heiße Bömann und arbeitete bis heute in dem Bureau des Bürgermeisters von Zwickau, Hofrath Ferber. Der Haß gegen Napoleon, der in den Herzen aller deutschen Patrioten brennt, führt mich in Ihr Bivouak und erweckte in mir das unabweisbare Verlangen, Theil zu haben an der Befreiung Deutschlands von der schmach- und jammervollen fränkischen Zwingherrschaft.“

„Sie wollten mir eine Mittheilung machen,“ unterbrach ihn der Rittmeister, „aus der den Franzosen Nachtheile erwachsen könnten; ich bitte Sie, dieselbe ohne Umschweif abzugeben, dabei aber wohl zu bedenken, daß Sie für die Richtigkeit Ihrer Eröffnungen mit Ihrem Leben einstehen müssen.“

„Ich kenne die Verantwortlichkeit, der ich mich aussetze,“ entgegnete Bömann mit einem leichten Lächeln, „befinde mich aber in der glücklichen Lage, dieselbe nicht fürchten zu dürfen. Kann ich meine Auslassungen in Gegenwart der Wache abgeben?“

„Sprechen Sie ohne Furcht; in den Reihen meiner braven Freiwilligen giebt es keine Verräther.“

Nach einem kurzen Nachdenken hob Bömann an: „In Zwickau übernachtet heute ein französischer Artillerie-Train, der mit Anbruch des Tages über Chemnitz nach Dresden zur großen Armee marschiren wird. Ich bin überzeugt, daß sich derselbe in den Defileen der nach Chemnitz führenden Straße überfallen und wegnehmen läßt.“

„Aus wie viel Fahrzeugen besteht der Train, und wie stark ist die Bedeckung, die ihn begleitet?“ fragte der Rittmeister, indem eine lebhafte Bewegung durch seine Züge ging.

„Der Zug besteht aus vierundzwanzig funkelnagelneuen Geschützen und achtundvierzig Munitionswagen und Fahrzeugen,“ antwortete Bömann. Die Bedeckung zählt 360 Infanteristen und 120 Cavalleristen und wird von dem Capitain Bizot und sechs französischen Officieren befehligt.“

„Aus welcher Quelle, junger Herr, schöpfen Sie diese genauen Zahlen?“

„Aus den Listen der Franzosen, Herr Rittmeister, die mir vorlagen, als ich gestern für dieselben die Quartierzettel schrieb.“

„Dann sind Ihre Angaben freilich nicht zu bezweifeln. Sie meinen also, daß wir in den Hohlpässen der Chemnitzer Straße unbemerkt an die Franzosen herankommen können?“

„Es ist dies keinem Zweifel unterworfen, wenn man die Vortheile, welche die Gegend zwischen Zwickau und Chemnitz für einen Ueberfall darbietet, wahrzunehmen weiß.“

„Kennen Sie die Gegend?“

„Ich bin in Zwickau geboren, und es giebt in der ganzen Umgegend keine Terrainfalte, die mir unbekannt wäre.“

„Prächtig!“ rief der Rittmeister, indem er sich vergnügt die Hände rieb. „Ich werde den Zug unternehmen, Sie sollen uns führen; ich vertraue Ihnen vollständig.“

„Ich werde dies Vertrauen zu verdienen wissen,“ versetzte Bömann, während ein Zug freudigen Stolzes über sein Gesicht glitt. „Ich habe Ihnen aber noch mitzutheilen, daß der französische Commandant durch den Hofrath Ferber von der Nähe der preußischen Streifpartei in Kenntniß gesetzt worden ist.“

„Verdammt!“ fluchte der Rittmeister unwillkürlich. „Wie nahm der Franzose diese Mittheilung des deutschen Hofraths auf?“

„Sie schien ihn wenig zu berühren,“ erwiderte Bömann. ,Das macht mir keine Sorge!’ äußerte er. ,Wenn die Briganden sich blicken lassen sollten, so werde ich sie von meinen Leuten mit dem Säbel in der Scheide einfangen und den der Schule entlaufenen Buben die Ruthe geben lassen. Einen Schuß Pulver sind solche Burschen nicht werth.’“

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Der Herr Commandant. In dem lärmenden, meist von Arbeitern bewohnten Pariser Stadtviertel Popincourt, wo Hammer und Ambos gewaltig in Bewegung gesetzt werden, erblickt man am Ende eines schmalen, düstern Durchganges, der in einen großen Garten ausmündet, ein kleines, altes Haus aus dem vorigen Jahrhundert. Dieses Haus, das ehemals der berühmten und galanten Tänzerin Duthé angehört hat, wird heute von einen, alten, braven Soldaten, einem Officier der Ehrenlegion, bewohnt.

Dieser alte Officier, der Herr Commandant, wie die Nachbarn ihn nennen, ist ein höchst sonderbarer Kauz, ein Original, wie man deren heutzutage nur selten noch findet. Er hat weder Kind noch Kegel, und um der traurigen Vereinsamung, mit welcher die Vorsehung ihn heimgesucht hat, einigermaßen abzuhelfen, ist er auf den sonderbaren Einfall gerathen, sich mit sämmtlichen herumirrenden Hunden zu umgeben, die der Zufall auf seinen Weg führte. Sowie er eines dieser armen, magern, ausgehungerten Thiere ansichtig wird, nimmt er es auf, pflegt es, giebt ihm zu fressen und erringt sich sehr bald sein Vertrauen und seine Freundschaft. Von diesem Augenblicke an ist das Schicksal des Vierfüßlers gesichert, er wird als Hausgenosse betrachtet, gehört zur Familie, hat Wohnung und Kost bis an’s Ende seiner Tage und kann somit getrost der Zukunft entgegenblicken.

Die Erscheinung des alten Commandanten hat etwas höchst Eigenthümliches und Charakteristisches. Er ist ein langer, hagerer Mann; sein starker, grauer Schnurrbart verleiht seinem scharf ausgeprägten Gesicht einen noch markigeren Ausdruck; seine spärlichen, schlohweißen Haare sind sorgfältig über die Schläfe gebürstet; er trägt einen langen, eng anliegenden blauen Ueberrock, der bis an den Hals zugeknöpft ist, und in der rechten Hand schwingt er ein spanisches Rohr, das die Stelle des Säbels vertritt, den er einst mit Ehren geführt hat. So schreitet er dahin, immer reinlich und nett, geschniegelt und gebügelt, umgeben von seiner Schwadron keuchender und hinkender Hunde, und kümmert sich weder um das laute Gelächter der Straßenbuben, denen sein Erscheinen ein Fest ist, noch um das Geflüster der erstaunten Spaziergänger.

Des Morgens, Punkt fünf Uhr im Sommer und Punkt sechs Uhr während des Winters, schlägt der Commandant die Reveille und mustert seine Truppe, die aus vierzig Hunden besteht, in allen Größen und allen Farben, und von denen der eine immer häßlicher ist, als der andere. Nach beendeter Musterung stellt sich die Schwadron in zwei Gliedern auf und wird vom Commandanten an den benachbarten Canal geführt, wo die tägliche Morgenwaschung vorgenommen wird. Die beiden ältesten Hunde galoppiren an der Spitze und springen zuerst in’s Wasser, um den Uebrigen ein gutes Beispiel zu geben; etwaige Widerspenstige oder Wasserscheue werden vom Commandanten eigenhändig in die reinigenden Fluthen geschleudert. Der Befehl besagt, daß dreimal nach einem Stück Holz geschwommen werden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_767.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)