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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

aber Pordenone, Bassano, Tintorett und Veronese helfen darüber hinweg), folgte ich dem Führer in den großen Salon.

Die Herzogin hat hier eine Anzahl schöner Büsten aus der französischen Schule aufgestellt. Es sind Bronze- und Marmorbilder von Heinrich IV., dem Minister Sully, Ludwig XIV., dem Herzoge von Angoulême und dem durch Louvel’s Mörderhand gefallenen Herzoge von Berri. Ueber jenem kostbar verzierten Eckschranke ein Bild Ludwig’s XV. Wir haben hier drei Bourbonen vor uns, die theils unter Mörderhänden ihr Leben aushauchten, oder doch das Eisen des Vernichters an ihrem Herzen fühlten: Heinrich IV. und Ravaillac, Ludwig XV. und Damiens, den Herzog von Berri und Louvel. Drei Jahrhunderte hintereinander sah die Familie den Dolch über den Scheiteln ihrer vornehmsten Häupter schweben oder den Weg zu deren Herzen finden.

Wiederum durchschreiten wir einen Corridor, der zu dem Arbeitszimmer der Herzogin führt. Wiederum spricht das Unglück, die Einsamkeit, die Verlassenheit auf Thronen oder die Stimme des Verbannten von den Wänden herab in Bildern zu uns. Ludwig XIV., XV., dann das große, in einem Menschen verkörperte königliche Märtyrerthum Ludwig XVI., endlich Ludwig XVIII., Carl X. und neben diesen Bildern das der Zerstörerin Frankreichs, das Bildniß des schönen, bösen Wurmes, der sich zuerst hineinfraß in das Mark des mächtigen Baumes, das Bild der Marquise von Maintenon.

Ich konnte mich nicht enthalten, meine Bemerkung darüber zu machen, daß diesen Herrscherbildern gegenüber das Portrait des deutschen Kaisers Joseph II. aufgehangen worden sei, dessen Charakter und Ansichten so unendlich verschieden von denen der Originale aller neben ihm befindlichen Portraits gewesen.

„Ja,“ sagte der Führer, ein Diener im herzoglichen Palaste, „sehen Sie, er ist doch einmal ein Verwandter des Hauses, weil seine Schwester einen Bourbon geheirathet hat. Er war auch, glaube ich, einmal in Paris, aber er hat sich da sehr gefreut, daß es so viele unruhige Köpfe dort gebe. Denn mit denen verkehrte er gern.“ Wir schritten in das Arbeitscabinet der Herzogin – wenn der Leser jemals die Räume des Palastes Vendramin zu Venedig betreten sollte, so verweile er in diesem Gemache und versenke sich, gleich mir, in die Betrachtung der zahlreichen kleinen Miniaturportraits, welche die Wände schmücken, sie fast bedeckend.

Ich ging sie der Reihe nach durch. Sie sind reizend gefertigt, sie tragen den Stempel des vergangenen Jahrhunderts in Auffassung, Ausführung, Form und Tracht. Fast alle stellen Genossen dar jenes großen Unglücks eines hochgestellten Hauses, jener Leidenszeit des sechzehnten Ludwig und seiner mitleidenswerthen Gattin, die so viel erduldet, so viel ertragen und so viel fremde Schuld auf sich genommen haben. Ich kannte sie bald wieder: die schöne Lamballe, die Polignac, Madame Elisabeth, diesen Engel an Tugend, die schuldlose Dauphine, den armen Dauphin. Wer nennt sie Alle, die von jenes Zimmers Wänden herabschauen? Denn so Mancher ist dem Beschauer unbekannt, aber tief eingeschrieben vielleicht in die Herzen der Familie Bourbon. Heiter und lachend, noch nicht am Rande des Verderbens stehend, zeigt sich Maria Antoinette hier im Bilde. Ihr schönes Haar ist ohne Puder und fällt in herrlichen Locken blond und üppig auf den Nacken. Es war noch nicht die Zeit gekommen, in der sie eine Locke ihres weiß gewordenen, greisenhaften Haares für Frau von Campan abschnitt und auf das die Locke umhüllende Papier die Worte schrieb: „Gebleicht durch Unglück.“

Eilen wir jedoch nun in den Saal, welcher die Erinnerungen an die jüngsten Sprossen der Familie Bourbon einschließt. Wir sind der Herzogin, der muthigen Frau, der heroischen Mutter, Caroline Maria von Berri, eine längere Betrachtung ihres Wirkens schuldig. Hinunter in das Meer der Vergangenheit tauchen die Gestalten Derer aus dem Geschlechte der Bourbonen, welche geziert waren mit Purpur und der Krone Ludwig’s des Heiligen, die in ihren Händen das Scepter und die goldne Hand Carl’s des Großen hielten. Vor uns auf steigt das Geschlecht wieder, aber nur Die aus seiner Mitte, die da ringen mit dem Geschicke und die bis jetzt unterlagen.

Bevor wir die sprechendsten bekannten Bilder und Reliquien betrachten, müssen wir ein Portrait besichtigen, das, fast in den Winkel des Saales gehängt, doch gleichsam hervorleuchtet aus seinem Versteck. Es stellt einen jungen Mann in einer beinahe mittelalterlichen Tracht dar, aber man sieht dem Bilde an, daß diese Tracht nur beigegeben wurde, daß sie nicht zu dem modernen Kopfe paßt, ja – es hat fast den Anschein, als sollte eine Art von Verwirrung, eine Ungewißheit absichtlich erzeugt werden, denn dieses Bild ist ohne Zweifel mit einem Familiengeheimniß, möglicherweise der zartesten Art, verknüpft. Der Ausdruck des Gesichts ist ein wenig theatralisch. Im ersten Augenblicke glaubt man das Bild irgend eines Schauspielers von Bedeutung vor sich zu sehen. Schaut man es aber länger an, so findet man leicht, daß ein tiefer Schmerz sich um den Mund lagert, daß die Augen fast übergehen wollen von andrängenden Thränen. Dabei ist das Bild nur in zwei Farben ausgeführt und die Lichter sind alle recht grell aufgesetzt; dadurch tritt es besonders hervor und macht eine eigenthümliche Wirkung. „Wen stellt dieses Bild vor?“ fragte ich den Führer.

„Ich weiß es nicht. Ueberhaupt weiß es Niemand. Nur so viel ist uns bekannt, daß es von den Angehörigen sehr hoch gehalten wird, und es beweist dies schon der Umstand, daß ihm sein Platz unter den Bildern der Familie angewiesen wurde. Die Herzogin wird es wohl wissen.“

Das Geheimnißvolle reizt. Mit doppeltem Interesse schauen wir auf diese edlen Züge, diese wehmüthig blickenden Augen. Wen mag das Bild vorstellen? Das Haus Bourbon ist stets reich an mystischen Vorgängen und Persönlichkeiten gewesen. – Hoch zu Pferde zeigt sich im Bilde der Herzog von Bordeaux. Er ist es, der Frankreichs Krone als Heinrich V. sich auf das Haupt setzen sollte. Er ist es, um dessenwillen seine Mutter das Ungeheuerste wagte, was eine zarte Frau wagen kann; er ist es, um den sie zur Heldin, zur Gefangenen, zur Verbannten wurde; indem wir bis zu ihm gelangt sind, kommen wir auf das bewegte Leben Maria Carolina’s, die von seiner Geburt an mit Beaumarchais ausrufen kann: „Ma vie est un combat.

Die Betrachtung der merkwürdigen Frau soll uns länger beschäftigen. Im Februar des Jahres 1820 hatte Louvel’s Mörderhand dem Leben des Herzogs von Berri durch den Stoß seines Messers ein Ende gemacht. Damals trug Maria Caroline den Herzog von Bordeaux unter ihrem Herzen. Am 15. Sept. 1820 ward die Herzogin von einem Sohne entbunden. Die Geburtsstunde des Herzogs von Bordeaux ist thatsächlich einer der merkwürdigsten Eintritte in das Leben. Bekanntlich findet bei den Geburten hoher Persönlichkeiten, welche bestimmt sind, eine Krone zu tragen, eine Art von Zeugenversammlung statt, um die Echtheit der Geburt zu constatiren. Da im entscheidenden Augenblicke nur Personen aus der nächsten Umgebung zugegen waren, so rief man eine Wache des Dauphins herbei, damit Zeugen unverdächtiger Art in der Nähe seien. Maria Caroline aber dachte in dieser schweren Stunde, während dieses Schwebens zwischen Leben und Tod, an die Zukunft des Kindes, welches erst das Licht der Welt erblicken sollte. „Die Wache des Dauphins,“ rief sie mitten in den Wehen, „gehört zum Hause, sie ist nicht unverdächtig. Nationalgarden herbei, sie sollen zeugen.“

Zehn Minuten später traten die Nationalgardisten Lainé, Dauphinot und Ladong ein. „Sehen Sie, meine Herren,“ sagte die Herzogin, „da ist ein Prinz von Frankreich.“

Englische Blätter brachten bald darauf einen Protest gegen die Echtheit der Geburt, ein Manoeuvre, welches das Herz der Mutter tief verwundete. Die Erziehung des jungen Herzogs sollte nach dem Willen der Mutter in einem dem Volke zusagenden Sinne stattfinden. Allein eine höhere Macht hatte es anders beschlossen. Die Kugeln der Julirevolution zerrissen das Band, welches die Bourbonen mit Frankreich verknüpfte. Maria Caroline war bald die Begleiterin des flüchtenden Königs. Carl X. saß in der Kutsche, welche ihn aus den erregten Umgebungen der Hauptstadt hinwegtrug, neben der Herzogin von Angoulême, der Tochter Ludwig’s XVI. Zum zweiten Male flüchtete die unglückliche Prinzessin vor den heranwogenden Fluthen der Empörung. Man erzählt, der Zug der Flüchtlinge sei wieder über Varennes gegangen und wieder sei vor der verhängnißvollen Brücke, bei welcher einst Ludwig’s XVI. Wagen angehalten wurde, ein Rad an der königlichen Kutsche gebrochen. Carl X. habe halten wollen, allein die Herzogin von Angoulême habe es nicht zugegeben, sondern darauf gedrungen, daß die ganze Familie zu Fuß den Weg fortsetze, bis man Varennes im Rücken hatte.

In Schottland angekommen, wo das Schloß Holy Rood die Entthronten aufnahm, hatte die Herzogin Maria Caroline von Berri nur einen Plan: die Krone Frankreichs für ihren Sohn

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