Seite:Die Gartenlaube (1864) 718.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

verschiedensten Wegen ihm eine würdige Zukunft zu bereiten! Soll denn dieses Streben immer und immer noch nicht sein erhabenes Ziel erreichen? Dieser Mann hat nun zur Verherrlichung des Genius Deutschlands seinen eigenen Weg betreten. Kein Deutscher ist mit ihm gegangen, keiner ihm gefolgt; er hat es stets vermieden von sich reden zu machen. Still und geräuschlos hat er sein Ziel angestrebt, und es ist wahrlich ein schönes, echt deutsches gewesen. Soll denn das Alles nun vergebens gewesen sein? Sollen die angeschlagenen Töne verklingen und verhallen, ohne in einen vollen Chor einzuströmen? Gewiß nicht! Auch auf der Miltenburg, in Habel’s denkwürdigen Räumen hat sich meine alte Ueberzeugung befestigt, daß alle diese Strahlen des deutschen Geistes in einen Brennpunkt zusammenschießen werden, welcher die Flamme der höchsten allgemeinen Begeisterung für Deutschland entzünden wird.

Von seinem Vater, einem reich begüterten hochgebildeten Manne, erhielt unser 1793 in Idstein in Nassau geborner Habel die ersten Anregungen zum Studium des Alterthums, das bald genug von ihm mit glühender Begeisterung betrieben wurde. Neigte sich der Vater vorzüglich lebhaft zur classischen Römerwelt, so vertiefte sich der Sohn vorzugsweise mit deutschem Ernst und Nachhaltigkeit in das Mittelalter, und hier verlegte er sich besonders auf Kunst, Wissenschaft und Geschichte des deutschen Mittelalters. Dabei wurde er von einem nicht unbedeutenden, durch guten Unterricht ausgebildeten Talent zum Zeichnen unterstützt. Unablässiges tiefes Eindringen mit gesundem Sinn in den Geist des Mittelalters hielt ihn frei von jeder süßlichen falsch-sentimentalen Auffassung desselben, wie sie zu Anfang unseres Jahrhunderts in den Schöpfungen deutscher Dichter spukte. Sein jugendlicher, echt poetischer Hang trieb ihn auf die verfallenen Burgen seines Heimathlandes, und in ihren Trümmern empfing er früh den Weihekuß des deutschen Genius für die Erforschung jener wichtigen Culturstätten des mittelalterlichen deutschen Lebens. Die deutsche Burg in allen ihren Beziehungen, so genau als dies noch möglich, kennen zu lernen, wurde die Aufgabe seines Lebens. Und wie schön und vollständig hat er sie gelöst! Kein Mensch kennt die deutsche Burg in architektonischer, künstlerischer, kulturgeschichtlicher Hinsicht wie er.

Der Vater siedelte später auf das von ihm erworbene Gut Schierstein im Rheingau über, welches der Sohn jetzt noch besitzt. Hier hielt er sich auf, als er seine juristischen Studien in Heidelberg und Gießen absolvirt hatte, durchwanderte mit der Zeichenmappe sein geliebtes Rheinland von Burg zu Burg und gab sich mit begeisterter Liebe ihrer Erforschung hin. Er zeichnete nicht nur fast alle Burgen des Rheins, nahm ihren Grundriß auf und suchte aus ihren Resten ihre frühere Gestalt sich zu construiren, er strebte auch in den Archiven und Bibliotheken der Rheinstädte und Klöster, sich durch Urkunden und geschichtliche Documente so genau als möglich über ihre und ihrer frühern Bewohner Leben und Schicksale zu unterrichten. Da ging seinem regen Geiste eine ganze versunkene Welt auf, eine bedeutsame deutsche, meist falsch beurtheilte oder uns ganz fremd gewordene Welt, in die sich seine Phantasie mit immer steigender warmer Vorliebe mehr und mehr hineinlebte. Oft zauberte der alte Vater Rhein dem seltnen und geliebten Sohne das Spiegelbild der Burgen, wie es sich vor einem halben Jahrtausend und länger auf seiner Fläche dargestellt, und in stiller zauberischer Mondnacht weihten die sagenhaften Burggeister, umflüstert von der leiseren Welle des Stromes, den edlen Jüngling zum Kenner und Bewahrer ihres alten Glanzes.

„Ehret die deutschen Burgen! Erhaltet diese Denkmale der deutschen Vorzeit so viel ihr vermögt! Ehrt euch selbst in den Bauten der Vergangenheit!“ Das war Habel’s begeisterter Mahnruf meist an taube Ohren und Herzen. Das neuerwachte Deutschthum, das sich noch den Schlaf aus den Augen rieb und die französischen Bettfedern aus den Haaren zupfte, hatte dafür noch keinen Sinn. Da folgte Habel dem Drange seines Herzens und that wenigstens das Seine für seine Lieblinge. Zuerst kaufte er die Burg Eppstein im Taunus mit den zu ihr gehörigen Grundstücken an, baute sich darauf ein kleines romantisches Wohnhaus und sicherte das alte Bergschloß, das er wieder bewohnbar machte, mit großen Kosten vor dem gänzlichen Verfall. Dann kam Gutenfels bei Caub an die Reihe, das er nur mit Mühe und Opfern den Klauen einer prosaischen Gerberseele entreißen konnte, welche eben dran und drauf war in der poetischen Ruine eine Gerberei zu errichten. Auch diese Burg wurde durch kostspielige Bauten restaurirt. Ferner Thurnberg bei Welmich am Rhein, die dritte Burg, welcher Habel seine conservative Vorsorge zuwendete.

Weiter folgte die Burg Reichenberg, in einem Nebenthale des Rheins bei St. Goarshausen, das Stammschloß der Dynasten von Katzenellnbogen, die er vor Verfall bewahrte und mit freundlichen Anlagen versah. Nach Umfang, Kunstwerth und Geschichte ist sie höchst bedeutend und die merkwürdigste der Besitzungen Habel’s.

Die jüngste seiner Erwerbungen und das älteste seiner Bergschlösser ist die Miltenburg, die er vor fünf Jahren von einem Magdeburger Kaufmann für achttausend Gulden an sich brachte. Sie wurde ihm die liebste, sie wurde sein Wohnsitz, und sie bestimmte er zu einem Zwecke, mit dem sich seine patriotische Begeisterung schon lange getragen hatte. Ein köstlicher Plan, wie ihn nur ein edler deutscher Mann, wie Habel, fassen kann, soll hier zur schönen Ausführung kommen.

Schon vom Vater war eine umfangreiche und sehr werthvolle Sammlung von Büchern, Urkunden und Alterthümern aller Art auf Habel gekommen, die er im Laufe seines thätigen Lebens unablässig sehr vermehrt und vergrößert hat. Besonders reich und großartig ist seine Urkundensammlung für deutsche Geschichte. Ein fast wunderbarer Zufall, über welchen Habel jedoch ein geheimnißvolles Schweigen beobachtet, setzte ihn in den rechtlichen Besitz von geschichtlichen Urkunden von höchster Wichtigkeit, die über manche Partien der deutschen Geschichte ein ganz neues Licht verbreiten. Dadurch erhalten seine Sammlungen einen unschätzbaren Werth. Bei der Ansammlung und Vermehrung dieser großen Schätze kam unserm Patrioten seine Stellung als herzoglich nassauischer Archivrath sehr zu Hülfe. Er hatte inzwischen in seinem Lieblingsfache, worin er bewandert war, wie wenig Mitlebende, Anstellung im Staatsdienste gefunden.

Die Habel’schen Sammlungen sind ungemein groß, reich, vielseitig und können sich mit fürstlichen dieser Art ohne Scheu messen. Außer der großen Bibliothek, die, zumeist historischen und archäologischen Inhalts, doch auch alle übrigen Fächer des menschlichen Wissens umfaßt, und der bereits erwähnten wichtigen Urkundensammlung sind es Kunstgegenstände aller Art, als Oelbilder aus allen Zeiten und Schulen, darunter Werke der berühmtesten Meister; Skulpturen in Marmor, Elfenbein, Holz, Erzgüsse. Sehr bedeutend ist die Sammlung der Alterthümer, vorzüglich der christlich mittelaltrigen; ebenso die mineralogische, botanische etc. Der Reichthum und die Vielseitigkeit sind so groß, daß ich Manches übersehen habe, zumal die Sammlungen noch nicht aufgestellt sind.

Die Miltenburg ist nämlich zu einem großartigen deutschen Museum bestimmt, in welchem alle diese Sammlungen in wissenschaftlicher Ordnung zur allgemeinen Benutzung der Jünger der Wissenschaft aufgestellt werden sollen, und zu diesem Zwecke eben im Umbau begriffen. Die weiten Räume der Burg, die sonst von Waffengeklirr und Kriegsgeschrei, von Jagdlärm und Geräusch der Zechgelage widerhallten, welche die Flamme der Zerstörungswuth durchleuchtete und die Blutspur der Mordgier zeichnete, werden nun ein Emporium der Wissens- und Kunstschätze des deutschen Forschergeistes werden und dem sanften Ringer nach Erkenntniß zum erwünschten Aufenthalt dienen.

Statt des grellen Scheins der Kriegsfackel wird Minerva’s süßes Lampenlicht diese Hallen durchdämmern, wo die Zeichen trotziger Gewalt und widriger Unsittlichkeit den Siegesfahnen des geistigen Aufschwungs, der Sitte und Humanität, der Würde und wahren Bestimmung des Menschen Platz gemacht haben. Die Stätte der Rohheit der „guten alten Zeit“ wandelt sich sanft in eine Stätte der edelsten und höchsten Güter der bessern neuen Zeit. Sehet da in dieser Wandlung den Prototyp des deutschen Bildungsganges überhaupt! Die Habelburg wird ein leuchtendes Vorbild der „festen Burg“ des Vaterlandes sein. Heil der schönen Wandlung! Heil dem edlen Vorbildner! Denn das muß ich zuletzt noch mit klaren Worten aussprechen, was ich bis jetzt nur ahnen ließ, daß unser Burgenfreund und Museumstifter mit Geist und Seele ein Mann der deutschen Zukunft ist.

Eben weil er das Mittelalter kennt, wie Wenige, weiß er, daß es eine Leiche ist, deren Exuvien wir ehren und erhalten sollen, um sie möglichst zu Schmuck und Zierde der Neuzeit zu verwenden, die aber selbst durch Galvanisation nicht zu einem widrigen Scheinleben zu bringen ist. Gerade weil seine Liebe die untergegangene Welt umfaßt, hat sie das volle warme Verständniß für

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_718.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)