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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

nicht blos von der Spielbank geplündert, sondern auch von dem Spiel-Professor. Desto schneller ging es mit ihm den Berg hinunter, und wie einst der Stelzfuß und der rothe Säuschnitter sich von dem Vetter Anton zurückgezogen, so zog sich nun das „Ziegen-Herzchen“ von Peter zurück. Haus und Hof waren ihm verkauft, und die unbarmherzigen Gläubiger hatten ihm nichts gelassen, als einen Büchsenranzen und den Bettelstab. Den nahm er und zog in das Land. Die landwirthschaftlichen Arbeiten hatte er verlernt. Dazu fehlten ihm jene Ausdauer und Andacht, die der Bauer nöthig hat, der Herr wie der Knecht. Er hatte kein Obdach mehr. Er wurde ein Stromer.

In der Umgebung der Badeorte, wo er sich ruinirt hat, sieht man ihn bis auf den heutigen Tag umherstreichen, bekannt unter dem Namen der „Ranzen-Peter“. „Aber wovon lebt er denn?“ fragt der Leser. Je nun, wovon leben die „verfehlten Existenzen“? Von Allem, nur nicht von der Arbeit. Das Unglück, sogar das selbstverschuldete, giebt eine Art Nimbus. Peter war durch sein Spiel, durch seine Finanzen, durch seine Streitigkeiten, seine Processe, seinen Concurs mit allen möglichen Menschen und Behörden in Berührung gekommen. Er hatte allerlei erfahren und gelernt, was sonst dem Bauern fremd bleibt. Er, der sich selbst nicht zu helfen gewußt hatte, verlegte sich nun darauf, Andern zu rathen. Wenn ein Bauer in Nöthen war, wenn er sich in Finanznoth oder Gewissensangst befand, wenn ihm Strafe drohte, oder er einen Proceß hatte, dann fragte er heimlich den Ranzen-Peter. Denn der war in den nämlichen Schuhen krank gewesen und mußte es wissen. Die Sachen, worin Peter rieth, waren meistens mißlicher und verdächtiger Natur. Einige Meineidscomplote, darauf gerichtet, durch falsches Zeugniß bei Gericht Processe zu gewinnen, waren kürzlich zur Aburtheilung gekommen. In den Verhandlungen figurirte auch Peter, jedoch nicht als Angeklagter. –

Während ich Ihnen diesen seinen wahrhaftigen Lebenslauf erzähle, hat Peter seine Unterredung mit den zwei Bauern beendigt. Jeder derselben legt ihm ein Sechskreuzerstück auf den Tisch und geht. Peter bleibt in tiefes Sinnen versenkt sitzen. Auch wir verlassen den Wirthsgarten. Auf der Chaussee begegnet uns ein elegantes Fuhrwerk. Eine geputzte schöne Frau und ein schwarzes häßliches Männlein, letzteres wo möglich noch mehr geputzt, sitzen darin. Wer ist es? Die Prima-Donna vom Theater und das vormalige Ziegen-Herzchen, jetzt Herr Häuserbesitzer und Rentier Fays in Wiesbaden. Sie fahren nach der Fasanerie, einem Vergnügungsort in der Nähe von Wiesbaden.




Der letzte Schirmherr deutscher Burgen.
Von Ludwig Storch.

Wenn die Wahrheit des ästhetischen Lehrsatzes, daß die krumme Linie die Trägerin der Schönheit ist, sich an irgend einem deutschen Landschaftsbilde recht klar und eindringlich offenbart, so ist es an der reizenden Stelle, wo der Main seinen prächtigen Bogen um die südliche Spitze des Spessart schlingt und, eben von Nordost gekommen, nun nach Nordwest weiter wallt. Dieser Bogen ist von allen landschaftlichen Reizen umlagert, welche ein deutsches Gemüth entzücken und in die süßeste Befriedigung harmonischer Beschaulichkeit des äußern und innern Sinnes versetzen. An das linke (südliche) Ufer des Stroms tritt ein Halbkreis von malerisch geformten, üppig bewaldeten Bergen heran, die geographisch nicht mehr zum Odenwald gezählt werden, aber doch eigentlich dazu gehören, und an ihrem Fuße hat sich dicht an das Ufer, der Biegung des Flusses auf der einen Seite und jener der Berge auf der andern folgend, das uralte freundliche Städtchen Miltenberg gelagert, das, wie fast alle diese kleinen Mainuferstädte, kaum aus mehr als einer sehr lang gestreckten Straße besteht. Aus seinen hellen Fenstern schaut es über den blaugrünen Main hinüber an die nicht minder schönen Spessartberge, die ihre trotzigen Stirnen im Strome spiegeln. An einer dieser bewaldeten Stirnen hängt, wie ein großes Schwalbennest, das stattliche Kloster Engelberg, dessen Mönche eine der köstlichsten Aussichten genießen.

Stromaufwärts hat sich das Thal zu einer kleinen lieblichen Ebene gestaltet, in welcher am linken Ufer der freundliche Ort Bürgstadt liegt; stromab tritt man aus dem Thore in einen großartigen lieblichen Park, auf dessen breiten saubern Sandwegen wir in einer halben Stunde das imposante fürstlich Löwensteinsche Residenzschloß dicht am Ufer des Mains und dabei das schmucke Dorf Kleinheubach mit den fürstlichen Dienstgebäuden erreichen. Am gegenüberliegenden Ufer breitet sich das große Dorf Großheubach mit seinen umfangreichen Weinbergen an den Wänden der letzten Spessartberge aus. Am untern Stadtthore haben wir die Mud überschritten, welche links aus einem sehr anmuthigen Thale ihr klares Gebirgswasser dem Main zuführt. Durch dieses Thal zieht sich der Weg nach dem nahen Amorbach, der Residenz des Fürsten von Leiningen, empor, welche in jüngster Zeit durch die Königin Victoria von England ein neues Interesse erhalten hat. Hier lebten ihre Eltern, und hätte die Herzogin von Kent sich nicht beeilt, ihre Niederkunft auf englischem Boden zu halten, so dürfte das Töchterlein schwerlich den Thron bestiegen haben. Das Thal der Mud wird von der malerischen Ruine des einst wichtigen Klosters Gotthardsberg auf einem Bergscheitel geschmückt.

Oberhalb der Stadt zieht sich ein andres nicht minder idyllisch schönes Thal, aus welchem die helle Erf dem Maine zuströmt, in die Berge empor. Ueberall, wohin sich das Auge wendet, wird es vom lieblichsten Wechsel von Berg und Thal, Wald und Rebenpflanzung, Wiese und Garten, Strom und Bach, Stadt und Dorf, Schloß und Kloster ergötzt. Aber so anmuthig und reich die Umgebung, die Stadt selbst ist dennoch der reizendste Punkt in diesem Bilde. Denn in ihr erhebt sich das schöne deutsche Landschaftsgedicht zur Romantik, und zwar sind mittelaltrige und moderne Romantik hier auf’s Innigste verwebt und verbunden. Wie sie in der Stadt selbst überall, wohin man blickt, Arm in Arm auftreten, so werden sie ganz besonders noch in zwei die Stadt malerisch überragenden Schlössern repräsentirt, in der uralten Miltenburg, vorzugsweise das Schloß genannt, und in der benachbarten neuen Woldecksburg, einer großen prächtigen Villa im neudeutschen Styl. Beide Bauten liegen auf Bergstufen, die letztere etwas höher als die erstere, und sind durch eine tiefe, den Berghalbring theilende Schlucht geschieden; dicht hinter ihnen erheben sich majestätisch die brüderlichen Waldberge. Diese beiden Schlösser sind die Kronen der Stadt und die Perlen des ganzen Landschaftsbildes. Die Woldecksburg, ein Kind der neuesten Zeit, wurde von einem preußischen hohen Officier Namens von Woldeck erbaut. Wir haben es hier blos mit der Miltenburg, dem in mehrfacher Hinsicht interessantesten Gebäude der Stadt und der Umgegend, zu thun.

Ursprünglich ein römisches Castell und zwar die letzte jener Flußvesten, welche die Römer zur Ueberwachung des Mains gegen die germanischen Volksstämme an den Ufern des Stromes von Mainz herauf in großer Anzahl erbauten (Aschaffenburg, Obernburg, Niedernburg, Dieburg, Großkotzenburg, Bürgel u. a.), dann unter den fränkischen Kaisern Sitz eines Gaugrafen (Ministerialen), kam sie zu Ende des zehnten Jahrhunderts als Geschenk der Kaiserin Theophania, Mutter und Vormündin Otto’s III., an den schlauen Kurfürsten Willigis von Mainz, mit ihr die Stadt und die Umgegend. Beim Mainzer Erzstift blieb sie bis zur Auflösung desselben durch den Lüneviller Frieden 1801 und den Reichsdeputationshauptschluß von 1803.

Nunmehr gelangte sie in den Besitz des eben mediatisirten Fürsten von Leiningen, der sie als Kaserne seiner Truppen benutzte und 1807 an einen Privatmann verkaufte. Ihr Besitz hat bis heute einigemale gewechselt. Der Hauch der Vergänglichkeit hat sie stark gestreift und der Zahn der Zeit und der Kriegsstürme, die sie heimgesucht, tief angenagt. Besonders ist dies mit dem umfangreichen Burghause der Fall, welches, 1552 von den wilden Kriegssöldnern des pfaffenfeindlichen Markgrafen Albrecht von Brandenburg, unter Anführung des Grafen von Oldenburg, zerstört (nachdem Albrecht vom kaiserlich-bischöflichen Heere bei Mainz geschlagen worden), noch jetzt Ruine ist und als solche nicht wenig zum malerischen Ansehen der Burg beiträgt.

Die Stadt Miltenberg ist die Tochter der Burg, und die Schicksale der Einen sind immer von maßgebendem Einfluß auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_716.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2020)