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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Haus, in welchem er sich befand, wurden ihm mit ihrer todten Oede so unheimlich, so unaussprechlich drückend, daß er es nicht in ihnen aushielt. Er machte Pläne, durchzugehen, sich zu flüchten aus dieser Welt, die ihn zurückwies, seine Herrschaft dem Zufalle zu überlassen, sie zu Grunde gehen zu lassen, wenn sie zu Grunde gehen wollte, nur um fortzukommen! Und dann … dann hielt ihn doch etwas hier; dann war doch etwas da, was ihn fesselte an diese stille, für ihn so freundlose Gegend … etwas, das er selber sich nicht nannte und das ihn doch zog, in die Wälder hinauszuschweifen, durch seine Wälder und zuletzt durch den Wald, der zu Falkenrieth gehörte.

So war er an die Stelle über dem Flusse, wo Eugenie die Rasenbank anlegen lassen, wo man Haus Schollbeck nur ein paar Büchsenschüsse entfernt unter sich daliegen sah, gekommen. Er hatte sich da niedergelassen, hatte das Haus, die Gärten mit seinem Perspectiv überschaut und hatte geharrt, ob er nicht Eugenie vielleicht erscheinen sehe… er hätte sie so gern einmal noch gesehen, ehe er sich zum Scheiden rüste! Und dann war es dunkel geworden, ohne daß er sie gesehen, und er hatte sich wieder in die Wälder verloren mit dem schmerzlichen Gefühl einer verlorenen Hoffnung, eines zusammengebrochenen Lebensplans. Ein lasciate ogni speranza stand in seiner Seele … und doch war die Hoffnung so schön gewesen, dies Mädchen so bezaubernd, und daß man so feindlich ihn zurückwies, hatte das Verlangen nach ihr, das schon durch seine Einsamkeit so genährt worden, so unermeßlich gesteigert!

Er hatte sich wieder in die Wälder verloren, und ohne sich um Bürsch und Wild zu kümmern, hatte er ein entlegenes Forsthaus erreicht, und sein Förster hatte sich nicht nehmen lassen, ihm eine Abendmahlzeit aufzutragen, von der er nichts genoß. Und dann war er heimgekehrt, ohne die Begleitung des Försters anzunehmen, den nächsten Weg, durch das Flußthal, durch die Wiesenniederungen, durch die Grundstücke, die zu Haus Schollbeck gehörten, und so war er in den Park dicht am Hause gerathen, und im Schatten der Parkgebüsche, als er betroffen und scheu einen Ausweg gesucht, der ihn weiter führe, ohne ihn von Augen erblicken zu lassen, die in Haus Schollbeck noch wach sein konnten, im Schatten der Parkgebüsche umherirrend, hatte er Eugenie erblickt, zuerst auf-[WS 1] und abschreitend in ihrem Zimmer, an den erleuchteten Fenstern vorüber; dann ihre ganze schlanke, reizende Gestalt, wie sie an die Brüstung ihrer Veranda trat, und die Lampe im Innern des Hauses und der helle Vollmond draußen wetteiferten, sie mit einem eigenthümlichen Lichte zu übergießen, in welchem sie zehnmal hinreißender, verführerischer erschien. Und dann, nach langem Hinüberstarren, war er wie aus einem wachen Traume auffahrend geflohen, viel, viel Schmerz und Verzweiflung in der Seele! Und am andern Tage, in den Morgenstunden nach einer unruhigen, langsam hinschleichenden Nacht, hatte er seine Auswanderungspläne wieder aufgenommen. Er wollte fort. Ja, er hatte es beschlossen. Er war es sich schuldig. Es litt ihn nicht hier. Er wollte nicht verkommen in der Einsamkeit, lächerlich in seinen eigenen Augen, zehrend an einem unseligen Gedanken, über dem er, das fühlte er lebendig, zum Thoren, zum Wahnwitzigen werden konnte!

(Fortsetzung folgt.)




Der Meister und der Jünger.
Erinnerung von J. C. Lobe.

Wer Du auch sein magst, lieber Leser, soviel weiß ich von Dir – es wohnen Erinnerungen in Deiner Seele, an geliebte Personen, an freudige Ereignisse, die, wenn irgend ein Anlaß sie in spätern Jahren Dir wieder auffrischt, Dich mit jener Art von Glück durchwehen, das, aus Wehmuth und Sehnsucht gewebt, dem Heimweh zu vergleichen ist. Ein solches Gefühl und solche Erinnerungen ergriffen mich, als ich unlängst das vortreffliche Portrait Carl Maria v. Weber’s erblickte, das den kürzlich erschienenen ersten Band der Biographie schmückt, mit welcher ein geistvoller Sohn dem großen Vater ein würdiges Denkmal setzt. Ich habe ihn noch gesehen von Angesicht zu Angesicht, den schon so lange dahingeschiedenen großen Tonmeister, ich habe ihn noch spielen hören, ja, einige Jahre vor seinem Tode das Glück genossen, ihn besuchen und sprechen zu dürfen. Auch einen Brief von ihm besaß ich einst. Den haben aber die gottvergessenen Autographensammler meiner Gutmüthigkeit längst, fast zeilenweise, abgeschwatzt und den Schluß desselben mit der Unterschrift zuletzt gestohlen. Wer theilt nicht gern mit, was ihm in seinem Leben vorzüglich theuer und wichtig erschienen ist? Zu den theuersten und wichtigsten Erinnerungen meines Lebens aber gehören mir die an Carl Maria von Weber.

Es war Ende Januars des Jahres 1812, als Weber mit seinem Freunde, dem berühmten Clarinettisten Bärmann, nach Weimar kam, um, von gewichtiger Seite empfohlen, am Hofe Karl August’s ein Concert zu geben. Beide Künstler wurden von der Großfürstin Maria Paulowna mit der ihr eigenen fesselnden Huld empfangen und brachten bei anmuthigster Unterhaltung und Musik, zwanglos wie im Familienkreise, mehrere Abende bei ihr zu. An einem dieser Abende, als Weber gerade mit Bärmann die für den letztern componirte Variation über ein Thema aus „Sylvana“ spielte, stand an der äußern halb geöffneten Thür des großfürstlichen Gemachs ein junger Mann von etwa achtzehn Jahren und lauschte in trunkenem Entzücken der Composition und dem Spiel der genannten Musiker.

Der junge Mann war der noch heute in Weimar lebende ausgezeichnete Orgelspieler Professor Töpfer, welchen die Großfürstin vom damaligen Capellmeister Müller ausbilden ließ. Töpfer besuchte am andern Tage ein anderer Kunstjünger, der Schreiber dieser Zeilen, und wie ward er von diesem wegen des gestrigen Hochgenusses beneidet, den zu schildern er keine Worte hatte! Weber’s Compositionen wichen ja ab von Allem, was wir von unsern sonstigen Tonmeistern kannten, sie erinnerten weder an Haydn, noch Mozart, noch Beethoven und waren doch in einem so überaus effectvollen, von den lieblichsten Melodien durchwebten Style gehalten.

Monate vergingen inzwischen. „Was ist das?“ rief mir Töpfer mit freudefunkelnden Augen entgegen, als ich im Herbste desselben Jahres wieder in das Stüblein meines Genossen eintrat und auf dessen Pianofortepulte ein in Saffian gebundenes ziemlich dickleibiges Notenheft liegen sah.

„Eine Sonate von C. M. von Weber.“

Die Großfürstin hatte Weber dringend um seine Sonate in C dur gebeten, die dieser denn auch im September nach Weimar sandte. Wie aber kam das Exemplar der Fürstin so bald in die Hände des armen Musiklehrers? Maria Paulowna hatte es dem Capellmeister, wahrscheinlich um sein Urtheil darüber zu vernehmen, zur Ansicht mit nach Hause gegeben, und von diesem war es dem Schüler auf dessen dringende Bitte auf kurze Zeit überlassen worden. Töpfer hatte die Sonate, als ich zu ihm kam, schon vollständig in seinen Fingern. Daß er mir sie gleich vorspielen mußte, versteht sich. Ach, das Leben, wie schön war es doch in dieser Periode des jugendlichen Kunstenthusiasmus! Wie schwelgten wir in dieser neuen eigenthümlichen Tonidee, die, wie man in späteren kühlern und kritischer gebildeten Jahren wohl erkannte, in ihrem architektonischen Bau der einheitlicheren Form der Beethovenschen Sonaten zwar nicht entsprach, aber durch ihre deutliche und ungemein energische Gefühlssprache uns fesselte und einer unserer bevorzugtesten Lieblinge ward. Von diesem Augenblick an trat Weber in die erste Reihe unserer Tongötter ein, und er ist es geblieben bis auf den heutigen Tag und wird es bleiben bis zu unserem letzten. Ich glaube nicht, daß uns eine seiner Noten, die überhaupt in die Öffentlichkeit gelangt, unbekannt und ungenossen geblieben ist. Aber diese Sonate, die noch ungedruckt war, wieder aus den Händen geben? Uns nach kaum gewonnener Bekanntschaft schon wieder losreißen von dem Meisterwerke? Das war unmöglich, das hätte uns in’s Herz geschnitten, unser Leben auf’s Bitterste vergällt! Ohne Zaudern, ohne die geringste moralische Regung zu empfinden, wurde ein Verbrechen, ein Diebstahl beschlossen und ausgeführt – die Sonate wurde zum Theil unter dem langen Deckmantel der Nacht abgeschrieben. Doch betrachteten und hegten wir die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_676.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)