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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

reichte ihm die tröstende Hand und richtete seine leidende Seele mit den Worten empor: „Nun hört es auf mit deinen Klagen!“

Dies geschah aber erst, nachdem noch drei Stürme des Bösen mit dem Beten vieler Lieder des Zittauer Gesangbuchs abgeschlagen waren. Wir kommen nun aber zum Ueberraschendsten aller dieser Wunder.

„Daß (so fährt wieder der Herr Doctor fort) diese Gebete wenigstens nicht alle in der Seele und dem Gedächtniß geschlummert, erhellt deutlich aus folgendem Umstande. Nachdem sie unendlich viele Lieder laut gebetet, die im Zittauer Gesangbuche stehen, das in Herwigsdorf eingeführt ist, erkannten die Umstehenden aus dem Zwiegespräch des Mädchens mit dem Heiland, daß dieser ihm ein zwölf Strophen langes Lied vorsagte, das es beten solle. Verwundert sagte Louise zu dem Herrn: „Dieses Lied finde ich ja nicht in dem Gesangbuch,“ worauf er ihr das Grabebüchlein[1] andeutete, worin sie es auch fand und laut betete. Die fromme Mutter Louisen’s, welche mir dieses Alles erzählte, konnte sich leider nicht entsinnen, ob sie dieses lange Lied mit offenen oder geschlossenen Augen gelesen. Letzteres wäre nicht unmöglich, da, wie bekannt, hellsehende Personen nicht allein offene Bücher, sondern selbst verschlossene Briefe, zumal, wenn diese in die Gegend ihres Herzens gelegt werden, lesen können. Es giebt zwar immer noch Aerzte, z. B. Prof. Dr. Bock in seinem „Buch vom gesunden und kranken Menschen“, welche dies für Fabel halten, weil sie es nicht selbst erlebt haben, allein die Thatsache ist denn doch schon durch zu glaubwürdige Zeugen bestätigt worden, als daß sie sich von Gelehrten bestreiten läßt. Da einmal heute noch Wunder geschehen, d. h. Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit entweder gar nichts träumen läßt, oder die sie nicht ergründen kann, so wird sie es auch bleiben lassen müssen, zu bestimmen, wo die Natur aufhört, wo das Wunder anfängt. Der Herr läßt sich darüber so wenig Vorschriften machen, wie damals, wo Petrus auf Johannes deutend ihn fragte: „Herr, was soll aber dieser?“ und er antwortete ihm: „So ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was gehet es dich an? Folge du mir nach! –“

Nach diesem kühnen Citat des Herrn Doctor würden unsere Leser uns wohl gestatten, ihn und den traurigen Gegenstand seiner „wissenschaftlichen“ Ereiferung hier zu verlassen. Wir glauben jedoch, das Thatsächliche kurz zu Ende führen und der haarsträubenden Art, wie der Verfasser die Berechtigung des Geister- und Teufelsglaubeus „wissenschaftlich“ belegt, einigen Raum gönnen zu müssen.

Das Klopfen und Kratzen, Rumoren und Steinwerfen hörte nach jener „Krisis“ auf. Dagegen sah man jetzt Thüren, Tische, Stühle, Bänke, Fensterladen mit Kreide beschrieben, in leserlicher deutscher Handschrift, aber meist so unsaubern Inhalts, daß der Herr Doctor „sich wohl denken kann, daß sie eines Geistes würdig sind, der eben im Pfuhl der Hölle sich wälzt.“ – Noch die sauberste dieser Inschriften lautete: „August Steudner, wenn Du das Luder (nämlich das Mädchen Louise) nicht aus dem Hause schaffst, so zünde ich Dir heute noch das Stroh an der Stallthür an und in der Scheune soll es auch lodern!“ – Diese Kreideschriften sollen sich an einem Tag über zweihundert Male nach jedem Abwischen erneuert und vervielfältigt haben, Alles von unsichtbarer Hand und selbst in streng verschlossenen Gemächern. Nachdem jedoch ein Nachbar eine dieser Inschriften abgeschrieben und dem königl. Gerichtsamte mitgetheilt hatte, – athmeten sie plötzlich einen versöhnlichen Geist und hörten endlich ganz auf. Kurze Zeit nachher (am 13. April) wurde das Mädchen zur Untersuchungshaft gebracht, nach vier Wochen, während welcher es erkrankte und namentlich Krämpfe bekam, zwar straffrei entlassen, jedoch mit der Drohung, daß man es körperlich züchtigen, ja sogar zwei Jahre lang in Hubertusburg einsperren werde, falls der Spuk nach ihrer Heimkehr sich wiederholen sollte. –

Der Spuk in den Häusern hat sich nicht wiederholt; desto ärger tobt er im Kopfe des Herrn Doctor fort und trieb ihn zur Veröffentlichung der vorliegenden Schrift. Wir begnügen uns damit, aus derselben noch folgende Blumenlese mitzutheilen.

„Sehr verbreitet war die Ansicht, daß ein böser Mensch, der etwas von der sogenannten schwarzen Kunst verstehen müsse, es dem Mädchen angethan habe. Insbesondere hatte man einen armen reisenden Handwerksburschen im Verdacht, diesen Zauber an der Louise ausgeübt zu haben, da sie noch bei Biehayn diente. Als dessen Frau ihm Brod statt Geld geboten, habe er dies, wie das oft vorkommt, verschmäht und ihr mit spöttischer Ironie durch die Wirkmagd einen Dreier darreichen lassen, weil sie ärmer zu sein scheine, als er. Da nun Frau Biehayn zu stolz gewesen, von dem Bettler diese Münze anzunehmen, so habe die Magd dieselbe behalten und sei mit diesem behexten Dreier der Spuk und Zauber an ihr haften geblieben. Bestärkt wird dieser Verdacht durch den Umstand, daß jener Mensch beim Fortgehen eine bedeutende Drohung ausgesprochen haben soll. – Obgleich nun das Mädchen mir versichert hat, daß es weder diesen Handwerksburschen gesehen, noch von ihm Geld empfangen habe, so kann ich doch jene Landleute, welche diesen Argwohn hegen, deshalb nicht abergläubisch nennen, wie dies von aufgeklärten Männern geschehen ist, welche geradezu behaupten, die Oderwitzer und Herwigsdorfer müßten trotzdem, daß sie an einer Eisenbahn wohnen, in der Bildung noch um dreihundert Jahre zurück sein. Daß Zauberei eine Kunst ist, die schon im hohen Alterthum von den Heiden geübt worden, sollte doch jeder Christ aus der Bibel wissen. – Daß aber die Kunst der Zauberei auch heute noch nicht ganz ausgestorben ist, sondern selbst in der Christenheit noch ein wenn auch heimliches und kümmerliches Leben fristet, davon habe ich mich in meiner ärztlichen Praxis zu überzeugen oft Gelegenheit gehabt und muß es deshalb aufrichtig beklagen, daß christliche Gesetzgeber neuerer Zeit von dem Vorurtheil befangen, daß eine solche Kunst gar nicht existire, die Strafen der Zaubereisündeu gänzlich aufgehoben haben.“

Mit großer Verehrung citirt er Richard Baxter, „der bis zu seinem Tode (1691) als presbyterianischer Geistlicher in England segensreich gewirkt“ und aus dessen Buch über die „Gewißheit der Geister“ er den zwölffachen Nutzen, den wir aus dem rechten Gebrauch von Geistergeschichten schöpfen können, mittheilt. Uns genügt Nr. 1. „Wir sehen darin eine bewundernswürdige Anordnung Gottes, welcher die verschiedenartigsten Geschöpfe unter seiner Obhut hat und alle zu seinen Zwecken verwendet. Wie Kröten und Schlangen oder Raubthiere nicht umsonst da sind, so sind auch Teufel oder verdammte Seelen nicht umsonst da, sondern Gott verwendet sie zu seinen Zwecken, wenn er gleich nicht will, daß Jemand in diesen Zustand gerathe.“

Und, als ein neuer Beitrag zur Meteorologie, Nr. 8. „Wenn wir durch den Luftraum, der von Teufeln und bösen Geistern bewohnt ist, dahinfahren, werden Engel uns geleiten und Christus wird uns aufnehmen.“

Nachdem der Verfasser endlich nach Baxter „verschiedene geschichtliche Beispiele von Geistererscheinungen, Hexen und wunderbaren überzeugenden Werken der Vorsehung Gottes“ mitgetheilt hat, setzt er seinem Werk die Krone auf durch die Schlußbemerkung:

„Diese alten Geschichten nun werden unsern heutigen Teufelsleugnern, deren Partei in der Christenheit so groß ist (zumal in Norddeutschland, z. B. in Hannover, wo es den Leuten an Phantasie zu fehlen scheint, um sich einen persönlichen Teufel vorstellen zu können), daß ein christlich Familienvater kaum drei Zeugen zu der Taufe eines Kindes auffinden kann, welche unser christliches Glaubensbekenntniß mit einem aufrichtigen ,Ja’ angeloben möchten, sehr anstößig und ein wahrer Gräuel sein. Deshalb halte ich es für nöthig, sie daran zu erinnern, daß die letzte Geschichte (vom Citiren und Erscheinen des Teufels) gerade ebenso im Leben des Dr. Faust wirklich vorgekommen ist und den großen Freigeist, die höchste Blüthe der Aufklärung, unsern Lessing, zu dem Entwurf eines Schauspieles begeistert hat, der nur leider nicht ausgeführt, aber von Goethe neu aufgenommen und durchgeführt worden ist. Würden wohl diese beiden Geister sich mit dem Teufel so befaßt haben, würde auch wohl ein feinfühlendes und gebildetes Publicum Goethe’s Faust heute noch ohne Ekel auf der Bühne sehen können, wenn nicht in dieser Dichtung die tiefste Wahrheit läge, die aber sowohl Lessing als Goethe aus der Bibel, nämlich aus der Geschichte des Hiob geschöpft haben? Da sich aber heutzutage viele in dem Wahne wiegen, als ob jene Dichter uns das Princip des Bösen nur deshalb persönlich dargestellt, weil sie es sonst überhaupt nicht sinnlich darstellen gekonnt hätten, so muß ich diesen Männern es denn doch einmal recht ordentlich zu Gemüthe führen, daß in der ganzen heiligen Schrift die Hauptperson eigentlich der Teufel ist. Dies hat uns ganz


  1. So nennen die Landleute dort die „Sammlung alter und neuer Lieder an den Gräbern unsrer Entschlafenen“ von M. K. G. Willkomm, weiland Pfarrer zu Herwigsdorf, herausgegeben. Zittau u. Leipzig 1819.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_666.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)