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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

des Vaters ist der Berg unter die drei Kinder vertheilt worden, und daher stammt der Name der Alp Elsigen von Elisabeth, Metsch von Melchior oder Melle und Bonder von Peter. Einer der Söhne aber hat den Frevel verübt, die Marke zwischen Metsch und Bonder heimlich zu seinem Vortheil zu versetzen. Nach seinem Tode hörte man oft in der Nacht ein klägliches Wimmern und Rufen: Hier ist die Marke vom Metschberge! Einmal jedoch soll ein unerschrockener Mann das Herz gehabt haben, den Geist aufzufordern, die rechte Marke mittelst eines Seiles zu bezeichnen, und am darauffolgenden Morgen ist wirklich längs der wahren Marklinie eine Reihe von schwarz angebrannten Seilen hingelegt gewesen. Möglich ist’s nun schon, mein Herr, daß der Benennung Altels der weibliche Taufname Elsa oder Elisabeth zum Grunde liegt, möglich aber auch, daß das Wort Els und Elsigen eine veraltete Bezeichnung für Fluh oder Fels ist.“ –

Der Schafbraten war verzehrt, der rothe Walliser hatte die Runde gemacht und die Karawane setzte sich wieder in Bewegung, um den Eisberg zu erklimmen, der nun in blendender Weiße vor ihr emporstieg. Man hielt sich ausschließlich an die äußerste, südliche, Kante des ungeheuern Firndaches, weil man hier keinen Eisbrüchen ausgesetzt war und hoffen durfte, der aufgestaute Firn, den die Sonne so lieblich bestrahlte, werde an dieser Stelle am ersten den Einfluß der Wärme empfinden und durch Aufthauen dem Fuße besseren Halt geben. An den tieferen Hängen des mächtigen Firndaches zeigte sich blaues Gletscher-Eis von Klüften durchzogen, die oberen Partieen aber, über die man emporschritt, bestanden ausschließlich aus Firn oder ewigem Schnee, der aber noch hart gefroren war und dessen krystallisirte Masse in tausend Brillanten funkelte.

Indem die Gesellschaft so mit frischem Eifer der Kante entlang hinanstieg, hatte sie zu ihrer Rechten zwei Schritte entfernt den tiefen Abgrund, der gähnend seinen Schooß öffnete. Der Blick glitt an den glatten Eiswänden und Felsen fast lothrecht hinunter in das vergletscherte Thalbecken, in das sich die Abstürze versenkten und das beinahe kreisförmig von den Kämmen eingewandet war, die den Altelsgipfel mit dem Balmhorn und dieses mit dem Großen und Kleinen Rinderhorn verbinden. Eine Grabesstille ruhte in der einsamen Tiefe dieses Abgrundes. Zur Linken flog das Auge über die blendende Weite des Firngehänges, dessen Saum der Fuß betreten hatte und das sich von der Altelsspitze einige Tausend Fuß tief hinunterzog, je mehr und mehr in seiner vollen Ausdehnung und reinen Pracht sich entfaltend.

Gilgian, der erfahrene Gletschermann, war an der Spitze des Zuges und da, wo die Firnkante steiler anstieg, nahm er die Axt zur Hand, um durch Einhauen von Stufen in die glatte und feste Firndecke den Weg zu bahnen. Munter und kräftig hieb er auf den harten Firn los, so daß die Splitter davon flogen und wie silberner Staub in der Sonne funkelten. Es war eine Lust, diesem Spiele zuzusehen. Doch war die Arbeit mit einigem Zeitaufwand verbunden und seine Gefährten benutzten die kleinen Pausen, die den Marsch unterbrachen, um den grausigen Abgrund zu betrachten, an dessen Rande sie hinschritten, oder ihre Augen umherschweifen zu lassen über die Welt von Bergen, die in stets reicherer Zahl am Horizonte emportauchten. Einen Gruß Euch dort, Ihr strahlenden Zinnen der Mischabel! Dir, Du königliches Haupt des Monte Rosa! Dir, Du weiße Kuppe des Lyskamms! Dir, Du blendender Schneeball des Strubels! Aber auch Dir, Du friedliche Herberge im Schwarenbach, die Du Dich inmitten öder Felstrümmer des sonnigen Lichtes erfreust! –

Die Wanderer waren jetzt an die Stelle gelangt, wo ihre Vorgänger es nicht gewagt hatten, die jäh ansteigende Firnkante weiter zu verfolgen, sondern es vorzogen, sich dem Felsen anzuvertrauen, der am mittäglichen Absturz zu Tage kommt, und an dem brüchigen Gestein der furchtbar steilen Wand gegen eine höhere Stufe der Firnkante emporzuklettern. Es war dies immerhin eine schwierige und gefahrvolle Aufgabe, und es soll einem der Männer, der die Partie mitmachte, vor diesem Gang so sehr gegraut haben, daß er zurückblieb.

Unter Gilgian’s besonnener Leitung machte die Gesellschaft diesmal den Versuch, die Firnkante trotz ihrer Steilheit unausgesetzt zu verfolgen, und siehe! er gelang.

Jetzt war das ersehnte Ziel, das sich eine Zeitlang hinter den vorspringenden Stufen des Berges selbst den Blicken entzogen hatte, in geringer Entfernung wieder sichtbar. Man konnte das im Glanz der Sonne schimmernde Signal deutlich unterscheiden. Diese Erscheinung, das Bewußtsein, dem Ziele nahe zu sein, befeuerten den Muth der Männer. Das letzte steile Firngehänge stand vor ihnen. Unter der Firndecke kam das glatte Eis zum Vorschein. Aber der wackere Gilgian hieb mit unverwüstlicher Kraft drauf los, und endlich nach einer siebenstündigen Wanderung setzten die kühnen Männer den Fuß auf den Gipfel des Berges, – mit Stolz und Wonnegefühl in das weite Rund hinausblickend, das sich ihnen unter dem klarsten Himmel und in unbegrenzten Fernen erschloß.

Es war so entzückend schön, daß man hätte ausrufen mögen: Hier laßt uns Hütten bauen! Freilich hätte die Verwirklichung dieses Wunsches schon an der mangelnden Räumlichkeit scheitern müssen, denn – der Gipfel war nur etwa zwei Schritte breit und einige Schritte lang und ringsum der Abgrund der Tiefe geöffnet, in die sich der steile Abfall des Berges, hier als glattes Eis- und Schneegehänge, dort als lothrechte Felswand, mehrere Tausend Fuß tief versenkte. Nur nach Südosten hin zog sich der verlängerte, durch eine kleine Einsattelung mit dem Altelsgipfel verbundene Grat als ein blendendweißer Firndamm, theils scharf und schmal wie ein Messerrücken, theils zur überhängenden, luftigen Schneewehe aufgeblasen, unübersteigbar nach der höheren Spitze des Balmhorns empor.

So lagerte sich die Gesellschaft, so gut es gehen konnte, auf den glitzernden Firnteppich nieder, der den Gipfel überkleidete. Die Temperatur war mild, ja so mild, daß Gilgian sich seines warmen Oberkleides entledigte und dasselbe dem Reisenden als Sitzkissen zurechtlegte, während er selbst, den Rücken der Sonne zugekehrt, sich seiner ganzen Länge nach auf den Boden hinstreckte und bald in einen sanften Schlummer verfiel. Unser städtischer Tourist aber fand nicht Zeit zum Schlafen, sondern vertiefte sich in den Anblick und in das Studium des herrlichen Panoramas, das in vollkommener Klarheit unter dem dunkelblauen Himmelsdom um ihn ausgebreitet war und sich sowohl durch Großartigkeit und malerische Schönheit, wie durch den Reiz freundlicher Landschaftsbilder auszeichnete. Laßt auch uns im Geiste an seine Seite emporfliegen und die wunderbare Welt von Firnen und Gletschern, von Kämmen und Gipfeln, von Thälern und Seen, von öden Felsenwüsten und reich angebauten, im Schmucke der Fruchtbarkeit prangenden Gefilden in ihrer immensen Ausdehnung betrachten! Die Sonne überfluthet dieses schöne Stück Erde mit ihren Lichtwellen, und die Luft ist von seltener Durchsichtigkeit.

Dort im Südwesten schimmert, die tiefgebeugte Firnkuppe des nahen Rinderhorns mächtig überragend, zur Seite das Buet hoch und hehr des Montblancs Haupt, im Kreise seiner riesigen Nachbarn. Diesseits dieser gewaltigen Scheidewand gegen Savoyen glänzt dem Auge aus ferner Tiefe das glitzernde Silberband der Rhone entgegen, da wo dieselbe die heiße, zum Theil versumpfte Thalebene zwischen Sitten und Martinach durchzieht. Aber das Auge fliegt weiter! Dem südlichen Horizonte entlang entsteigen die zahllosen Hörner und Spitzen dem Gletscherwall, der die mächtige Bergwelt krönt, die in breiter Zone, mannigfach gegliedert, durch tiefe Thalspalten zerschnitten, das Wallis von den Thälern der Dora und Sesia scheidet. Das trunkene Auge überhüpft die Bergwelt niederen Ranges und ruht wohlgefällig auf den schönen Formen und imposanten Gruppen und Massen eines Combin, einer Pigne de l’Arolla, einer Dent Blanche, eines Matterhorns, dessen kühnaufragender Gipfel bis jetzt der Anstrengungen des Londoner Alpen-Clubs zu seiner Bewältigung gespottet hat, – eines Moming, eines Weißhorns, dessen prachtvolle Eisspitze den gewaltigen Turtmann-Gletscher beherrscht, eines Lyskamms und Monte Rosa, dessen in Wirklichkeit dominirende Majestät jedoch durch die nähergestellten, in kühneren Formen aufstrebenden Gebilde der Mischabel beeinträchtigt wird. Da wo die Gipfel des Simplon dem Kamme der Alpen entragen, wird die Ansicht derselben durch die nahe Gestalt des Balmhorngipfels unterbrochen, aber gerade dieses schöne Gebilde selbst erscheint in seinem blendendweißen Atlaskleide, in dem es in das Azurblau des Himmels hinaufragt, als eine Zierde des Gemäldes.

Allmählich den östlichen Horizont einnehmend ist dem Blicke wiederum eine Scenerie erschlossen, die an Großartigkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Es sind die reich umgletscherten Gruppen der Lötschthalgebirge und der Aletschhörner, die da in riesenhaften Gestalten in einander verschlungen sind und deren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_607.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)