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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Man wendete sich jetzt, als der Thalboden erreicht war, von dem gebahnten Wege rechts ab und gelangte, von nun an jede Spur eines betretenen Pfades missend, den untersten steinigen Hängen des Kleinen Rinderhorns entlang kriechend, nach jener engen Kluft, aus welcher das Gletscherwasser des Loch- oder Sagebaches heftig fluthend in tiefeingefressenem Bette aus dem verborgenen Thalbecken hervorströmt, das von den Eismassen des Sage-Gletschers ausgefüllt ist.

Sowie diesseits der Schlucht die schroffen Felshänge des Rinderhorns sich erhoben, stiegen jenseits derselben die steilen Wände des Altels empor, und die Wanderer hatten nur den wilden Bach zu überspringen, so war der Fuß des Berges erreicht. Dieses Bewußtsein spornte den Eifer, und als man den Bach glücklich hinter sich hatte, indem man, von Stein zu Stein zielend, ihn in Wirklichkeit übersprang, begann man munter und muthig die Erklimmung des Berges.

Begraste Halden, die als Schafweide benutzt werden, bildeten die untersten Hänge. Wenn auch das thaugetränkte Gras schlüpfrig war, so trat der genagelte Schuh sicher auf, und in der Steilheit des Gehänges erblickte der schwindelfreie Kopf keine Gefahr. Doch zusehends wurden die begrasten Stellen seltener. Rauhe, verwitterte Platten von nacktem Fels und lockeres Trümmergestein, das den Absturz bedeckte, nahmen stets überwiegender die Stelle des Rasenteppichs ein, und in dieser abschreckenden Nacktheit zogen sich die steilen Abstürze Über den Häuptern der Wanderer, allmählich zu einer schmalen Gebirgskante verlaufend, in weiter Strecke aufwärts. Man war inzwischen in seinem Eifer bald so hoch geklettert, daß sich der Abgrund zur Rechten immer tiefer, immer schreckbarer öffnete, während zur Linken der Blick auf schimmernde Schneemassen fiel, die als unterste Ausläufer des riesigen Firndaches die schattigen Verklüftungen des Berges bedeckten.

Aber der Tag brach glanzvoll heran. Ein wolkenloser Horizont that sich auf. Alpengipfel, Felshörner, Firnkuppen erglühten in der Sonne goldenem Strahl, die sich das nun erwachende Erdreich unterthänig machte. Immer neue Gestalten tauchten auf in dem weiten Rund. Das Auge blickte staunend und bewundernd umher. Das Gemüth ward ergriffen von der Erhabenheit der Scenerie. Es empfand schon jetzt in vollem Maße die Wonne des Genusses – jenes Hochgenusses, den die zauberhafte Gletscherwelt und die Erklimmung hoher Alpengipfel demjenigen bietet, dessen Sinn empfänglich ist für die hehren Eindrücke, die er auf solchen Wanderungen sammelt. Sind es doch jedesmal Genüsse, die zu den reinsten irdischen und zu den unvergänglichsten gehören. Nicht nur erhebt sich der Mensch dort im Tempel der Alpenwelt, entfesselt von dem Druck und der Einförmigkeit des alltäglichen prosaischen Lebens, entbunden von jedem Zwang spießbürgerlicher Formen, gleich dem stolzen Aar, im Gefühl vollster individueller Freiheit, aus den Dünsten der Tiefe hinauf zu den klaren Gebirgshöhen, wo er himmlische Luft zu athmen vermeint und eine neue, glanzvolle Welt um sich prangen sieht, die trotz ihren Trümmerwüsten, trotz ihrer Nacktheit, trotz ihrem starren Winterkleide durch ihre Majestät, durch ihre gewaltigen Formen, durch ihren riesigen Maßstab einen unbeschreiblichen Zauber auf ihn ausübt; nicht nur vergißt sein Geist hier alle die kleinlichen Plagen und Bekümmernisse des Lebens und fühlt sich in eine höhere Stimmung versetzt, indem er sich Angesichts einer großartigen Natur gleichsam dem Schöpfer näher wähnt; – sondern auch der physische Mensch trägt seinen Gewinn davon. Er übt seine Kraft und stärkt seine Gesundheit durch die ungewöhnten Anstrengungen des Marsches. Sein Auge gewöhnt sich an den Anblick der schauerlichen Abgründe, sein Kopf wird fest und sicher, und weit davon entfernt, daß die Ermüdung ihn zum Genusse unfähig machte, fühlt er sie schwinden, wie er die Höhe erreicht, und empfindet den Genuß doppelt, wenn er sich denselben mit Gefahr und Anstrengung erkauft hat!

Als die kleine Gesellschaft das höchste Gestein jener Felsenkante erreicht hatte, da wo dasselbe unter die Decken des ewigen Firnes sich verläuft, wurden die letzten trockenen Steinplatten benutzt, um auf denselben, gelagert und angehaucht von den wärmenden Strahlen der Morgensonne, in kurzer Rast mit dem Inhalt des Proviantsackes sich zu stärken und mit neuen Kräften sich auszurüsten. Denn während drei Stunden war man unausgesetzt marschirt und hatte erst die Hälfte des Weges zurückgelegt.

(Schluß folgt.)




Märkische Geschichtsbilder
Nr. 1. Der Kampf Friedrichs des Eisernen mit dem Stadtadel.


Auf der langen Brücke, welche die Schwesterstädte Berlin und Köln verbindet, wogten am 24. Februar des Jahres 1442 die Volksmassen unruhig auf und nieder, sie drängten sich nach dem gemeinsamen Rathhaus beider Städte. Das aber stand inmitten der langen Brücke; jetzt ist von demselben freilich keine Spur mehr vorhanden.

Die lange Brücke verdiente in jener Zeit ihren Namen mit Recht, denn lang genug war sie; von Köln aus führte sie über die Spree und eine morastige Insel, welche an der Stelle lag, wo heute die Brücke an der Burgstraße endet, dann ging sie noch über einen Spreearm, der längst verschwunden ist und der durch die heutige Heilige Geiststraße floß. Das gemeinschaftliche Rathhaus der beiden Schwesterstädte stand auf der Brücke auf jener morastigen Insel, welche wir schon erwähnten. Der tiefe Sumpf hatte den Aufbau eines großen Steinhauses nicht erlaubt, und so war denn nur der Untergeschoß von Backsteinen aufgerichtet, die Obergeschosse aber strebten in luftigem Holzbau kühn und stolz in die Höhe. Die Eckthürme erhoben sich so prächtig und zierlich, daß es eine Freude war sie zu schauen; die reichen Patrizier hatten einen Stolz darein gesetzt, ihr Rathhaus herrlich auszuschmücken. So waren denn die Balkenköpfe gar kunstreich verziert mit Schnitzereien und bunten Farben, und der viel ausgezackte Giebel, der unparteiisch weder nach Berlin noch nach Köln, sondern nach der Spree hinausschaute, prangte in den schönsten Malereien.

Vom Giebel und von den Thürmen herab flatterten die prächtigen Fahnen lustig im Winde; da sah man die Zeichen aller der befreundeten Städte, welche zum märkischen Städtebund gehörten, da prangte die herrliche Fahne des mächtigen Hansabundes; aber das kurfürstliche Banner der Hohenzollern war unter der Menge der übrigen kaum zu bemerken, die stolzen Herren von den Geschlechtern in Berlin und Köln hatten es ziemlich versteckt aufgehängt, sie wollten nicht gern durch die hohenzollerischen Farben an den Landesherrn erinnert werden.

Vor dreißig Jahren hatten wohl die Rathmannen der Schwesterstädte dem ersten Hohenzoller zugejauchzt, denn er kam ihnen als ein wahrer Retter aus der Noth, der sie befreite von ihrem mächtigsten Feinde, dem wilden Dietrich von Quitzow; damals hatten sie die Bürgerschaft aufgeboten, und das Volk war freudig dem Rufe gefolgt, es hatte mit gekämpft in der unglücklichen Schlacht am Kremmer Damm, und gar mancher Bürgerssohn hatte dort in den Sümpfen sein Leben gelassen. Auch vor Friesenk und Plaue waren die Fähnlein der Bürger erschienen, und gerade ihrer bereitwilligen Hülfe verdankte Friedrich zum großen Theil seinen Sieg über die Quitzows und ihren Anhang.

Seit jenen Tagen hatten sich indeß die Zeiten mächtig geändert. Das Volk der Städte, die Gewerke und die Gemeinen, hing wohl noch immer mit treuer Liebe an dem Landesfürsten. Es hatte demselben nicht vergessen, daß er durch die Demüthigung des übermüthigen Landadels Handel und Gewerbe befreit, Recht und Gesetz wieder hergestellt hatte in den Marken, anders aber dachten die Herren von den Geschlechtern, der Stadtadel, der in Berlin und Köln allein das Regiment führte.

Die Bürger waren längst nicht mehr die Herren in der Stadt, ein eigennütziger und übermüthiger Adel hatte die Herrschaft an sich gerissen. In den Zeiten des wilden Faustrechts waren gar manche der minder mächtigen Edelleute in die Städte gezogen und hatten ihre Wappen am Stadtthor angeschlagen. Hinter den festen Mauern und den tiefen Gräben, welche Berlin und Köln umgürteten,

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