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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

ich gehört und gesehen hatte, stand dann um so schrecklicher vor mir: der Graf mit dem weißen Gesichte und den blutigen Händen, das Stöhnen, das ich deutlich gehört hatte, das Wimmern, das ich geglaubt hatte zu hören. Und ich hatte die Gräfin nicht gesehen, die an dem Corridor wohnte, und auch den Grafen Curt nicht, der zwar einen Stock höher, aber in demselben Flügel wohnte, und daher den Schuß hatte hören müssen, und dennoch nicht da war. Wo waren die Beiden? Und wie war der Graf Moritz aus dem Park zurückgekommen? Und warum jedenfalls so heimlich? Ich mußte wieder hinaus und faßte mir ein Herz. Ich ging wieder auf den Hof. Es war noch hell draußen, die Sonne war soeben untergegangen, es war still auf dem Hofe. Von den Leuten hatte sich Niemand wieder sehen lassen. Ich wollte zu dem Thurme gehen, wurde aber auf meinem Wege aufgehalten. Ich bekam etwas vor Augen, was ich von Allem, das ich an jenem Abende sah, am allerwenigsten werde vergessen können. Es war so freundlich, so überaus lieblich. Hinter dem Thurme her kamen in den Hof der junge Herr Graf Adolph und die Comtesse Caroline. Der junge Herr war damals vierzehn, beinahe fünfzehn Jahre alt; die Comtesse war in ihrem zwölften Jahre. Sie waren ein paar bildschöne Kinder. Der Graf Adolph sah dabei so stolz und vornehm aus, mit seinen großen, blitzenden Augen und den vollen braunen Locken, und die Comtesse mit den blauen Augen, der durchsichtigen feinen Haut und ihren langen hellblonden Haarzöpfen war wie ein wahrer Engel anzusehen. Sie kamen aus dem Park, wo sie in dem Blumengarten gewesen waren. Die Comtesse trug in ihrem Haar eine rothe und eine weiße Rose, und in der Hand hielt sie einen Fliederstrauß. Der junge Herr hatte eine rothe Rose auf der Brust in dem Knopfloche stecken. Sie hatten die Blumen wohl einander gepflückt und geschenkt und sich gegenseitig damit geschmückt. So kamen sie daher, Hand in Hand, sorglos, glücklich; mit den schönen Augen lachten sie einander still an und dachten wohl nur daran, wie sie so glücklich beisammen waren.

Herr Pater, es war das schönste Bild, das ich in meinem Leben gesehen hatte, und nachher – was hätten meine Augen hier in diesem Schlosse noch Schönes sehen können? Aber die Thränen wollten mir in die Augen kommen, wie ich die armen, schönen Kinder so sah. Sie waren so arglos, so sorglos, so glücklich. Sie dachten an kein Unglück, keine Gefahr, an kein Verbrechen, an keine Entehrung. – Die armen Kinder wollten zu dem Vater, zu der Mutter, wollten ihnen die Blumen zeigen, wollten ihnen erzählen von ihrer Freude, ihrem Glück! Und vorher der Schuß!

Da öffnete sich ganz leise die Thür des runden Thurmes.

Der Graf Moritz stand darin, er trug eine große Peitsche in der Hand, eine Hetzpeitsche, mit der die Hunde gehauen wurden, wenn sie nicht gehorchen wollten. Die Hände des Grafen waren nicht mehr blutig; sein Gesicht war nicht mehr weiß; es hatte eine dunkle Farbe, als wenn alles Blut seines Körpers ihm zum Kopfe gestiegen sei. In der Abendröthe sah es kupfrig aus. Ein wilder Zorn mußte ihm das Blut in das Gesicht getrieben haben, und in diesem Zorn, in Haß und Rache stand er da, mit der großen Peitsche, wartend, lauernd. Er hatte von dem Thurme aus die Kinder sehen können, wie sie aus dem Garten zurückkamen. Er hatte sie gesehen, wie sie Hand in Hand gingen, wie sie sich mit den Blumen geschmückt hatten, wie sie mit den Augen sich anlachten, wie sie so glücklich beisammen waren. Und sie sollten nicht beisammen sein, die Kinder. Der verhaßte Sohn des verhaßten Bruders, der künftige Herr hier, der dies nur durch einen Raub gegen ihn, gegen sein Kind wurde, sollte seine Tochter gar nicht einmal ansehen dürfen; er hatte ihn so oft von ihrer Seite gerissen. Und gerade heute, gerade jetzt, gerade in diesem Augenblicke, unmittelbar nach dem Schrecklichen, was soeben geschehen war, mußte er ihn wieder bei ihr sehen, mußte er ihn so glücklich an ihrer Seite sehen, sie Beide so glücklich, so vertraulich, mit den umschlungenen Händen.

Er stand wartend, lauernd mit der großen Peitsche da. Die Kinder konnten ihn nicht sehen; sie waren noch hinter dem Thurme. In fünf Secunden mußten sie hinter dem Thurme hervorkommen. Ich wollte ihnen, ich wollte ihm zurufen. Aber es war das Alles nur ein paar, nur ein einziger Augenblick gewesen, und der Athem war mir vor plötzlichem Schreck ausgegangen und das Herz schnürte sich mir zusammen. Als ich rufen wollte, war es zu spät. Die beiden Kinder waren hervorgekommen. Wie der Graf sie sah, sprang er auf sie zu. ,Hund!’ schrie er. Und nun – Aber ich kann nicht weiter erzählen –“

Der alte Diener konnte nicht weiter erzählen. Er konnte es nicht vor Weinen, vor Schluchzen. Dabei sah er den Mönch wieder so sonderbar an und wurde unruhiger, aufgeregter.

Auch der alte Mönch hatte ein paar Augenblicke lang eine tiefe innere Unruhe gezeigt. In sein blasses Gesicht war eine helle Röthe gestiegen; es war dann wieder weiß geworden, wie die weiße Gypsdecke des Zimmers. Er hatte mit der Hand über die Augen fahren müssen, und dann war er wieder ruhig, und seine Ruhe war zugleich die einer erhabenen, einer heiligen Ergebung.

Der alte Diener aber konnte nicht wieder Herr über sich werden. Es lag ihm zu schwer auf dem Herzen; er mußte es herunter haben. Er ging durch das Zimmer, kehrte zu dem Mönche zurück und wandte sich wieder zu dem Fenster; er kam nochmals zu dem Mönche.

„Herr Pater,“ sagte er, „kann ich es Ihnen erzählen, was dem braven Grafen Adolph geschah, dem jungen Herrn, den ich mehr liebte, als mich selbst, was Ihnen geschah, lieber Herr Graf Adolph? Denn sind Sie es nicht? Sind Sie es nicht?“

Er hatte sich vor dem Mönche zur Erde geworfen und die mageren, weißen Hände des alten Geistlichen ergriffen; er küßte sie und ließ seine Thränen darauf fallen.

Der Mönch erhob sich; er erhob den alten Diener. Ein wunderbar stiller Friede lag auf seinem blassen Gesichte. Er war anzusehen wie ein Friedensapostel, den der Himmel auf die Erde heruntergesandt hat. So sprach er: „Ja, alter Conrad, ich bin der Graf Adolph, den Du mehr liebst, als Dein Leben, für den Du Dein Leben hingeben wolltest, der Dir durch sein ganzes Leben dafür seinen Dank bewahrt hat. Stehe auf, mein Freund, mein alter, treuer Conrad.“

Der alte Mönch umarmte den alten Diener. Dann mußte er ihn zu einem Stuhle führen. Schreck, Freude, Aufregung, Furcht und Angst hatten den alten, fast achtzigjährigen Diener des Hauses zu heftig angegriffen; er konnte sich nicht mehr aufrechthalten; er konnte mit seiner matten Stimme nur noch sagen: „Es war mir gleich so, daß Sie es sein mußten, gleich als ich Sie sah. Aber ich wagte nicht, es Ihnen zu sagen. Ich mußte erst meiner Sache gewiß sein. Aber erzählen mußte ich Ihnen, dadurch mußte ich ja auch erfahren, ob ich Recht hatte. Und wie ich nun nicht mehr weiter erzählen konnte, da sah ich, daß ich Recht hatte.“ .

„So will ich Dir jetzt weiter erzählen, Du treue Seele,“ sagte der Mönch. „Der Graf, mein Oheim, sprang auf mich zu.

,Hund!’ schrie er. Mit dem Worte hatte er mich gefaßt und zu Boden geworfen, sein eigenes Kind zur Seite geschleudert. Dann hatte er seine große Peitsche erhoben, um auf mich loszuhauen. ,Onkel,’ rief ich, ,entehren Sie mich nicht! Sie entehren Ihr eigenes Blut, sich selbst.’ ,Bube!’ rief er noch zorniger. Er schwang die Peitsche. Da warst Du da, Du treuer Conrad. Du fielst ihm in den Arm, Du ergriffst die Peitsche und entrangst sie ihm. Aber es half mir nicht. Er lachte, und ich vergesse nie das Lachen. Er rief mit lauter Stimme in den Hof hinein, die Bedienten, die Jäger, die Kutscher, die Reit- und Stallknechte. Sie kamen gehorsam herbei; sie waren die Diener. Er hatte mich festgehalten an der Erde, mit seinen Füßen. Wie einen Hund trat er mich. ,Gieb die Peitsche ab!’ befahl er Dir. Du wolltest es nicht. ,Bindet ihn,’ befahl er den Andern. Du wurdest überwältigt, die Peitsche wurde Dir abgenommen. Er gab sie einem Stallknechte. ,Der Hund bekomme die Hundepeitsche.’ Der Hund war ich. Und nun – Aber nein, auch ich will nicht weiter erzählen. Und doch eins noch. ,Gnädigster Herr,’ riefest, batest, flehetest Du, ,lassen Sie mich für den Grafen Adolph schlagen. Verschonen Sie ihn. Thuen Sie dem jungen Herrn die Schmach nicht an. Lassen Sie mich todtschlagen, wenn es nicht anders sein kann.’ Auch das half nicht.

Der Wille des schrecklichen Mannes mußte geschehen, mußte sich ganz erfüllen. Es war vielleicht gut so. Ich hatte ein stolzes, ein trotziges Herz und wäre vielleicht auch so geworden, wie der Oheim, vielleicht schlimmer als er, wenn der Herr im Himmel, ohne dessen Willen kein Haar von unserem Haupte fällt, nicht Jenes über mich verhängt und mich dadurch zur Erkenntniß meiner selbst und auf die Bahn der Demuth und der Ergebung in seinen Willen geleitet hätte. Und es bedurfte noch lange Zeit und noch

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