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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

nach ungezählten Millionen von Schlägen mit dem schweren Fäustel das große Wert zu Stande gebracht zum bleibenden Zeugniß der Thatkraft des Bergbewohners.

Daß das Ziel, wenn auch mit größeren Kosten, welche die so viel früher möglich gemachte Benutzung des Stollens reichlich ausgeglichen, so bald erreicht wurde, ist zweierlei Umständen zu verdanken: der höchsten Genauigkeit und Sicherheit der markscheiderischen Messungen und der anerkannt vortrefflichen Ausführung der bergmännischen Arbeiten. Daß auf einer so ungeheuren Strecke genau der oben erwähnte Fall der Stollensohle von 5,4 Zoll auf 100 Lachter eingehalten ist, daß bei den neun verschiedenen Durchschlägen Sohle und Wangen fast ohne Differenz aufeinander trafen, daß man in der geraden Linie vor dem Mundloch auf 5925 Fuß Entfernung das Tageslicht erblickt – alles dieses ist Beweis sowohl der wissenschaftlichen Begabung des Markscheiders, wie des kunstfertigen bergmännischen Betriebes. Jenen haben selbsterfundene Instrumente, so auch die Anwendung starker Magnete bei der Durchschlagsrichtung unterstützt; diese ist planmäßig und klug geleitet und unter treuester Benutzung der Arbeitskräfte so rasch zu Ende gebracht. –

Der oberharzische Beamte, der mir diese Angaben machte, sprach eben noch von den Verunglückungen beim Bau und den Erzgangaufschlüssen, welche der Betrieb zu Wege gebracht, da bewegte sich drängend die Volksmasse vor dem mit Thürmen und Zinnen geschmückten, aus Sandstein-Quadern erbauten Portal des Mundlochs, und tief ergreifend erklang ein „Nun danket Alle Gott!“ welches die eigentliche feierliche Einweihung des großen Baues einleitete.

Aus Aller Augen sprach die Freude, und auch die nicht unmittelbar bei dem Stollenbetriebe betheiligten Bergleute und sonstigen Bergbewohner waren, weil sie die Bedeutung des Werkes zu würdigen verstanden, froh bewegt im Hinblick auf eine für den Grubenbetrieb hoffnungsreiche Zukunft. Die frohe Stimmung der Festgenossen, die Vereinigung von frommem Ernst und reiner Freude, wie sie selten so harmonisch gefunden werden, bestimmten mich, der ich eigentlich nur zufälliger Zuschauer der Feier war, schnell dem weitern Verlauf der Festlichkeiten beizuwohnen. Fand ich auch in der Volksmenge keinen Bekannten – am Oberharze fühlt man sich bald heimisch, und wenn irgendwo im lieben deutschen Vaterlande, so kommt man hier offen und treuherzig dem Fremden entgegen.

Wir gingen über die Berge nach Grund, während eine Menge bereitstehender Equipagen auf die Mitglieder der Behörden harrte, die in einem neben dem Mundloche aufgestellten Zelte die während der Stollenfahrt getragene bergmännische Kleidung ab- und den Beamtenrock anlegten. Ein Grubenbursche, der seinem Herrn Geschwornen Grubenlicht und Anzug getragen, mußte mir von der Fahrt erzählen. In einem Zechenhause in der Nähe des Elisabether Schachtes waren Morgens sechs Uhr die Fremden aus Hannover, Braunschweig, Oesterreich und Preußen, das Bergamt und sonstige oberharzische Beamte mit einem Choral empfangen worden. Nachdem die Bedeutung des Stollens und an einem Grubenrisse dessen Richtung und Verbindung mit den weit verzweigten Grubenrevieren erläutert war, wurden die 70 Personen, welche die Fahrt unter Vorauftritt eines Bergmeisters und des Berghauptmanns mitzumachen beabsichtigten, verlesen. Für gefahrlose Einfahrt in den erleuchteten bis zum Stollen über 1200 Fuß tiefen Schacht war möglichst Sorge getragen. Bei dem ungewohnten Niedersteigen an so langen, senkrecht stehenden Leitern wird Mancher an das Loos des alternden Bergmanns gedacht haben, der nach zwölfstündiger saurer Schicht aus der nassen Tiefe und dem Pulverdampfe mit kurzem Athem und zitternden Knieen hinaufsteigt, um am Abend mit den Seinigen eine kärgliche Mahlzeit zu halten, einige Stunden auszuruhen und früh Morgens vielleicht zum letzten Male hinunterzufahren. Doch bei dieser Fahrt am 5. August fehlte es an Erquickung und Stärkung nicht. Auge und Ohr empfingen bleibende Eindrücke. Bemerkenswerthe Stellen waren durch transparente Inschriften bezeichnet. Acht Schiffe, mit Guirlanden und Tannenzweigen geschmückt, nahmen die unterirdischen Reisenden auf. Zuvor aber ward ein Imbiß und ein Glas Portwein gereicht. Im vordersten Schiffe hatte ein Musikchor, im letzten eine Sängerschaar Platz genommen. Auch ein Kanonenboot deckte den Rücken und die donnernden 21 Kanonenschläge am Herzog Wilhelm-Schachte machten gewiß manches Herz erbeben, denn in diesen verschlossenen Tiefen findet die Schallwelle keinen Ausweg und schlägt um so mächtiger in’s Gehör. Drei neuen Durchschlagspunkten war durch gußeiserne Tafeln bleibende Erinnerung gegeben. Man hatte dann die Schiffe verlassen und ging auf dem gedielten Fußboden (Tretwerk) des Stollens fort. In einem weiten schön decorirten Raume unterhalb der Bergstadt Wildemann wurde gefrühstückt. Endlich war das Mundloch erreicht, wo beklommenen Herzen bei dem fröhlichen „Glück auf!“ im Sonnenlichte wieder leicht wurde.

Unter diesen Mittheilungen hatte ich Grund erreicht. Die Angehörigen des Bergfaches fanden dort im größten Speisaale des Curorts eine gute Tafel, und erst nach Mitternacht passirten die Gäste auf ihrem Wege nach Clausthal das Spalier von Hüttenleuten mit Fackeln auf der Frankenscharner Silberhütte.

Der folgende Morgen brachte neue Ansichten. Eine ungeheuere Schaar von Bergleuten aus allen sieben Bergstädten folgte, festlich geschmückt mit grünen Schachthüten und schwarzem Hinterleder, den Bergfahnen und Musikchören, um zur Kirche zu gehen. Ich sage nichts von der Predigt, aber die gewaltigen Tonmassen möchte ich schildern können, die sich aus so vielen sonoren Männerstimmen entwickelten. Trotz der umfangreichen Orgel und der fünfzig Blechinstrumente war der Gesang vorherrschend. Auf den Bergen ist der Gesang zu Hause, und zumal in Kirchenmelodieen ist der Bergmann sicher. Eben so wie die Tonmasse imponirie daher das klangreiche Metall der Stimmen. – Nicht weniger interessant war am Abend die bergmännische Aufwartung, bei welcher wieder in bester Ordnung alle Berg-, Poch- und Hüttenleute, letztere, wie die Fuhrleute, in weißen Kitteln, ferner Turner und Singvereine im Scheine unzähliger Grubenlichter und Fackeln, mit Fahnen und Emblemen vor dem Amtsgebäude des Ortes erschienen. Etwas ganz Originelles bot ein wie Kartätschenfeuer knatterndes Peitschenconcert der Harzer Fuhrherren und ihrer Knechte, die auf ein mit einer Laterne am Dache des Amthauses gegebenes Zeichen präcise einsetzten und eben so gut pausirten, wenn das Licht verschwand. Imposant war auch der Eindruck, welchen die von den Bergleuten bei den Festgesängen emporgehobenen Grubenlichter machten: der große Platz wurde zu einem Lichtmeere. Der Schluß der großartigen Scene zeigte, wie ihr Beginn und Verlauf, die beste Ordnung, und bald waren die letzten Grubenlichter in der dunklen Ferne verschwunden. Man ahnte auf den stillgewordenen Straßen nicht, welche Lebenslust und Munterkeit dem Harzer innewohnt, aber sie kam am folgenden Tage zum Durchbruch. Das Bergamt war bedacht gewesen dem großen Ereigniß schließlich durch ein großartiges Volksfest Erinnerung zu geben. Zu dem Ende war auf dem geräumigen Schützenplatze ein Zelt gebaut, wie es in solchen Dimensionen und solchem Schmuck niemals auf dem Oberharze gestanden. Das Zelt bedeckte einen Raum von 36,000 Quadratfuß und enthielt vier Tanzsäle, und muntere Pochknaben credenzten unablässig Lager- und Süßbier aus nicht versiechender Quelle. Ein unerschöpfliches Büffet lieferte Speisen. Es mögen mehr als 8000 Personen hier Platz gefunden, oder vielmehr sich im buntesten Gemisch gedrängt und geschoben haben. So eng aber auch der große Raum wurde – Tausende standen noch auf dem Schützenplatz, oder hörten in einem andern Zelte auf die vortreffliche Concertmusik der braunschweigschen Regimentsmusiker – nirgend vernahm man doch Zank und Streit. Man hatte weislich den Bergleuten die Aufrechterhaltung der Ordnung selbst überlassen, die nun durch zahlreiche Festordner, an weißen Armbinden kenntlich, trefflich überwacht wurde. Nirgend war in der ungeheuren Menge Polizei zu sehen, und die gute Disciplin, die überall bei dem Bergwesen herrscht, prägte sich unverkennbar auch im Feste aus. An Witz- und Scherzworten, Trinksprüchen und Reden, Gesang und Gelächter suchten die Festgenossen einander zu übertreffen. – Die Scheidewand der Stände war auf zehn Stunden gefallen. Die höchsten Beamten traten einmal dem Untergebenen in einer ihm wohlthuenden Weise nahe, und wie Bürger in seinen „Weibern von Weinsberg“ launig berichtet, so wurde auch hier „durchgetanzt mit Allen“, bis am Morgen dem Feste durch einen „Kehraus“ ein heiteres Ende gegeben ward. So herrschte im Innern des mit Lampions und Kronleuchtern erhellten Zeltes „reine Freude und Glück“; außen aber konnte sich die Menge nicht satt sehen an der feenhaften Erleuchtung des in allen Farben prangenden Portals. In Transparenten brannten die Wappen der sieben Bergstädte und ein weithin leuchtendes „Glück auf!“ –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_575.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)