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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Die todte Eva.
Historische Mittheilung aus dem Hofleben früherer Tage. Von George Hiltl.
(Schluß.)

Eva behielt das Holzbild ein paar Minuten in der Hand; dann gab sie ihm einen leichten Schlag auf die Wange. „Du sollst uns helfen,“ lachte sie.

„Was soll denn damit werden, Fräulein?“ fragte schüchtern die Dankwert.

„Tretet näher, ich will’s Euch verkünden,“ sagte Eva leise. Die Frauen steckten die Köpfe zusammen. „Wir müssen eine Leiche anfertigen.“

Entsetzt prallten Alle zurück. „Eine Leiche?“ lispelten sie voller Schrecken.

„Nur nicht ängstlich. Ihr habt geschworen, zu schweigen. Hier an dieses Holzbild soll ein Körper gesetzt werden. Braucht Ihr Eingeweide? da ist Stroh. Arme – Füße? da sind die Holzrollen. Wir kleiden das Ganze in jenes Gewand, darüber schlagen wir den Mantel, die Füße mit Strümpfen und Schuhen, die Enden der Rollen mit Handschuhen, das Gewand mit Trauerschleifen und dies Holzantlitz mit dem Schleier bedeckt, dann den nachgemachten Leib in den Todtenschrein gepackt, hochaufgestellt im Chore der Kirche, tüchtig Weihrauchwolken darum – und ich will sehen, wer es wittert, daß nur eine Puppe droben liegt.“

„Aber wen soll denn das Gebilde vorstellen?“ fragte die Mettel.

„Ihr habt dem Herzog geschworen, über Alles zu schweigen, was Ihr sehen werdet. Das gedenket,“ sagte Eva. „Also denn vernehmt: ich muß heute Nacht sterben.“

Die Frauen zuckten zusammen. „Guter Gott, welcher Frevel!“ stammelte die Amtsschreiberin leise.

„Was ist’s denn weiter?“ lachte das Edelfräulein, „lustig, lustig! Ich bereite meine Leiche. Seid munter und helft mir dabei, wir haben nur noch wenige Stunden, mit Tagesanbruch muß ich todt sein.“

Die Edeldame begann nun die Arbeit zu vertheilen, und als die vierte Morgenstunde anbricht, ist eine Gestalt an den von Meister Siemon geschnitzten Kopf gefügt. Sie liegt da gleich einer Todten. Die Weiber betrachten den Balg mit ängstlichen Blicken; es ist ihnen jetzt klar, welch’ ungeheurer Betrug gespielt werden soll – wird eine Strafe sie treffen? Bah – sie handeln im Interesse des Herzogs, sie haben geschworen in der Kapelle, nichts zu verrathen von dem, was sie sehen und hören, und – das Geld wartet ihrer, wenn der Streich gelingt.

Um fünf Uhr in der Frühe schickt Eva die Mettel hinaus, um Erde zu holen; damit die Puppe eine gewisse Schwere erhalte, soll sie mit Erde gefüllt werden. – – Als die Mettel heraustritt, sind die Mägde am Brunnen. „Wie steht es mit der schönen Frau?“ fragen sie.

„Schlecht, sehr schlecht,“ antwortet die Mettel. „Sie wird, fürcht’ ich, keine Stunde mehr leben.“

„Was wollet Ihr mit dem Sack voll Erde?“

Das Weib wird verlegen, sie faßt sich aber schnell. „Die Erde soll ihr aufgelegt werden, damit sie Kühlung habe – sie hat den schwarzen Tod im Leibe.“ – Mit furchtbarem Angstschrei flüchten die Mägde – im Amtshause der alten Burg ist die Pest.

Als die Mettel zurückkam, sagte sie Eva, was sie gesprochen. Da diese hörte, welche Angst die Mägde ergriffen, lachte sie laut auf. „Die Pest – gut so. Nun wird uns Niemand stören. Jetzt hinein in die Lade dort mit der Puppe. So – gieb mir das Töpfchen mit brauner Salbe aus dem Kästchen. Nun holt den Meister Bader. In zwei Stunden bin ich gestorben.“ – Sie schlüpfte hinter die Vorhänge ihres Bettes.

Die Mettel ging, den Bader zu holen. Schon hatte sich die schreckliche Neuigkeit im Hause verbreitet. Der Amtmann zitterte wie Espenlaub, die Diener kreuzten sich. Nur eine halbe Stunde blieb die Mettel aus. Die Verschwornen schwebten in einiger Unruhe. Schon kamen Leute in die Umgebung des Zimmers und holten Erkundigungen ein. Das Schlimmste war aber die Anwesenheit des Baders. In den damaligen Zeiten hatten die Bader den Ruf, höchst gelehrte Herren zu sein. Wenn er den Betrug merkte? Zwar benutzte Eva die Zeit bis zu seiner Ankunft, Gesicht und Hals, Arme und Hände mittels einer feinen Farbe braun zu streichen, aber auch das konnte der Bader leicht merken. Im letzten Falle hatte man Geld in Bereitschaft.

Unnütze Sorge! Das betrügerische Vorhaben ward auffällig begünstigt. Die Mettel kam zurück – ohne den Bader. Er ist aufs Land gerufen, aber sie bringt des Baders Frau mit. In jener Zeit verstanden die Badersfrauen auch eine Ader zu schlagen.

Die Baderin tritt an das Lager. Der schwache Frührothsschimmer, vereint mit dem Lichtglanze, färbt das braune Antlitz der Kranken noch erdfahler. Die Baderin schüttelt den Kopf. Sie hat schon manchen Leidenden gesehen, besonders viele Pilger, die aus dem Morgenlande zurückkehren mit seltnen Uebeln behaftet, aber die Dulderin vor ihr sieht gar zu elend aus. Während sie ihre Lancette bereit hält, das Becken zum Fangen des Blutes hervorsucht, räuchern die Frauen mit Wermuth, daß die furchtbare Krankheit nicht die Luft durchfahre.

„Wenn das nicht rettet, so ist sie bald hinüber,“ sagt die Baderin, nachdem ihr Geschäft beendet ist. „Das Blut kam noch gut genug. Armes Fräule! Armes Fräule!“

Lautes Gekreisch von Weiberstimmen – Laufen durch alle Gänge des weiten Hauses – Helles Geklingel – Schluchzen und Rufen.

Um 7 Uhr des Morgens ist die schöne Eva im Zimmer der alten Burg verschieden. Christoph Schmidt ließ die Thüre des Gemaches fest schließen, ebenso wurden die Thore zum Hinterhofe, wo das Zimmer lag, gesperrt. An den Fenstern, in den Stuben da hinaus soll Niemand weilen – damit er nicht auch ergriffen werde von dem schwarzen Tode. So blieben die Räume wie ausgestorben.

Schmidt winkte einem der Knechte des Amtmannes. „Koch, sattle ein Pferd. Reite zum gnädigen Herrn nach Schloß Fürstenberg und melde in meinem Namen, ich sei in Verzweiflung. Die er mir anvertraut, die Trottin, sei plötzlich gestorben.“

Heinrich Koch galoppirte davon. –

In dem Gehölze, welches sich zwischen dem Amtshause und der Mauer hinzog, hielt ein Wagen. Auf dem Bocke desselben saß ein Kutscher, der sein Gesicht sorgfältig unter einem breitkrämpigen Hute verborgen hatte.

Leise und geräuschlos öffnet sich das Fenster des Sterbezimmers. Eine weibliche Gestalt, in einen schwarzen Mantel gehüllt, tritt auf den Sims. Unten steht der Küchenschreiber und hält eine Leiter. Die Dame klimmt hinab, eine zweite Frau folgt ihr.

Eva und die Kippenberg sind es. Sie eilen über die kleine herabgelassene Zugbrücke, sie schlüpfen in das Gehölz, dort ist der Wagen, hinein – auf und davon. Der Kutscher peitscht die Rosse, sie fahren an der alten Stadtmauer hin bis zum Hagenthor, dort müssen sie anhalten, dichte Gruppen von Landleuten ziehen in die Stadt, aber Niemand kümmert sich um sie; sie hören nur rechts und links neben sich die grausige Neuigkeit erzählen: das Fräulein Eva von Trott sei vor einigen Stunden an der Pest verschieden. „Gottes Gericht über die Ehebrecherin!“ ruft ein alter Landmann. Das Edelfräulein senkt ihr schuldbeladenes Haupt. Der Wagen fährt weiter und hinaus geht’s in das Freie, durch den grünen Wald, hin zu den Bergen des Harzes. – Eva athmet auf. Der Kutscher schlug seine Krempe zurück und bot seinen unterthänigen guten Morgen. Es war Eberhard Dedeken, der Castellan der Staufenburg. „Glück zu, gnädiges Fräulein!“ lachte der Castellan. „Der Streich ist gelungen – horch!“ er hielt die Pferde an. Der Wind trug von den Thürmen Gandersheims die Töne eines dumpfen Geläutes herüber.

„Das sind Todtenglocken,“ sagte die Kippenberg ernsthaft.

„Man läutet auf allen Thürmen, auch die hellen Glocken des Klosters unterscheide ich deutlich. Es muß also eine vornehme Leiche sein,“ sagte der Castellan. „Ohne Frage, Gnaden, ist es Ihr Absterben, das sie da drinnen einläuten. Da Sie der schwarze Tod erfaßt, muß die Trauer eilig vor sich gehen.“ Er lachte hell und lange.

Der schönen Eva fröstelte. „Fahrt zu!“ rief sie.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_505.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)