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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Freunde“ – im Gegensatz gegen die lebhaften Rheinlande wenig für die Kunst erwartete. „Inzwischen,“ sagte er, „viel kann ein Fürst mit energischem Wollen erreichen.“ Endlich kam er auf sein Lieblingsthema, die Farben, deren Anwendung, Zusammenstellung, Stärke, Mischung, Behandlung und selbst auf die verschiedenen Farbstoffe.

Nach Tische führte er mich noch zu verschiedenen seiner Sammlungen, namentlich den schönen antiken und mittelalterlichen Münzen. Plötzlich sagte er: „Ich will Sie doch noch was zeigen,“ (wirklich, so hat er’s gesagt!) und damit zog er aus einem Fach einige Blätter Radirungen nach Zeichnungen von Carstens. Ich weiß nicht, hatte er mir damit eine Freude machen oder blos wissen wollen, was ich dazu sagen würde, – sie blieben nicht lange Gegenstand der Unterhaltung, da ich sie zu wenig in Uebereinstimmung mit den Originalen fand.

Ich wollte nun Abschied nehmen; da aber Goethe hörte, daß ich den folgenden Tag noch in Weimar bleiben und erst am 15. abreisen würde, forderte er mich auf das Freundlichste auf, ihn noch einmal zu besuchen. Das that ich denn am 14. und ward von ihm mit der gleichen Herzlichkeit, wie bisher, empfangen. Es schien bei ihm Bedürfniß, dem Besuchenden entweder eine Freude zu machen, oder einen wo möglich sichtbaren Stoff der Unterhaltung zu bieten, und so hatte er denn eine Anzahl sehr kunstreicher Papier-Ausschneidereien von der Hand des Fräulein Adele Schopenhauer bereitgelegt und ging sie einzeln, unter Beachtung jeder Kleinigkeit daran, mit mir durch.

Unvergeßlich ist mir der Abschied, bei dem ich noch einmal die ganze Größe des Glücks empfand, in die unmittelbare Nähe dieses Genius gekommen zu sein. Als wäre er der Beschenkte, Bereicherte, sprach er zu mir; er forderte mich auf, ihm von Zeit zu Zeit zu schreiben, und indem er wie bei dem ersten Willkommen, aber noch viel herzlicher, meine Hand mit beiden Händen faßte, gab er mir nebst vielen freundlichen Grüßen seinen väterlichen Reisesegen.

Am 15. November war ich in Jena, am 17. schickte ich ihm das Bildniß seines Freundes Knebel, das ich für ihn gezeichnet. Mir war, als wäre ich vom Gipfel des Montblanc und der weitesten Umschau wieder herabgestiegen in engumgrenzte Thalgründe. Die Erinnerung aber an die Tage in der Höhe hat mein ganzes Leben durchleuchtet.




Auf der Glarner Landsgemeinde.
Ein Bild aus dem Schweizer Staatsleben.

Unsere Zeit ist mannigfachen Freiheitsdranges voll; mit steigendem Erfolge ringt sie nach Lösung der beengenden Fesseln des Mittelalters und nach Geltendmachung der nach Natur und Vernunft dem Menschen angestammten Rechte. Allein wie ein Zaubermärchen kommt es uns vor, wenn wir aus alter Vorzeit hören, wie die freien germanischen Volksstämme in offener Volksversammlung zusammentraten, um Rath und Gericht zu halten, wie sie Schild und Schwert zusammenschlugen, um ihren beifälligen Sinn zu offenbaren, wie sie unter Waffengetöse den selbstgewählten Herzog auf den Schild erhoben und in den Reihen umhertrugen. Das waren, so denkt man, noch urkräftige Zeiten, da galt der freie Mann noch etwas und der Name Volk hatte seine Bedeutung in Recht und That; allein diese Zeiten sind vorüber, kommen nie wieder und sind für uns auf immer unmöglich geworden.

Und doch treten noch heutzutage, wie je vor Alters, Nachkommen der Alemannen in sechs schweizerischen Cantonen zu offener Landsgemeinde zusammen, Rath und Beschluß über den Landeshaushalt zu fassen und ihren obersten Vorstand, den Landamman, sammt Regierung zu wählen. „Zwar die Ritter sind verschwunden, nimmer tönet Speer noch Schild“, aber doch tragen die Appenzeller noch ihr Seitengewehr mit zur Gemeinde, und in den übrigen Ländern stützt sich der Landamman auf das mächtige Landesschwert; noch schwören die versammelten Tausende zum freien Himmel den Landeseid, das Vaterland über Alles zu halten und zu schirmen. Und was die Hauptsache ist, der Wille des Volkes und seine Geltung sind geblieben; schlägt man nicht mehr die Waffen zusammen, so erheben sich doch, feierlich still in Appenzell, mit rauschendem Hoch in Glarus, die Hände, und ihre Mehrheit ist Gesetz.

Diese Landsgemeinde – der uralte Volksthing – ist keine veraltete Ruine, keine geborstene Säule, die über Nacht etwa stürzen kann – sie ist vielmehr ein lebensvolles Staats- und Volksinstitut, das durch seine Dauer bis auf den heutigen Tag seine Existenzfähigkeit bewiesen hat, das aber nicht alt geworden, sondern erst jetzt bestimmt ist, neu erkannt zu werden und, wenigstens in analogen Formen, um sich zu greifen und Eroberungen zu machen. Denn die Freiheit wird nicht alt, sondern nur die Menschen, welche sie nicht begreifen und ertragen, und wenn sich dieselbe im Hochgebirge, in kräftig geschirmtem und zugleich vom Schicksal begünstigtem Asyle, erhalten hat, unerkannt von den blöden Augen und unerspäht von ihren Feinden, so ist sie damit kein heiliger Rock von Trier geworden, sondern vielmehr einem classischen Kunstdenkmale zu vergleichen, das verdient, hervorgegraben zu werden und den Künftigen im Geiste und nicht im Aber- und Wunderglauben zum Beispiel und zur Lehre zu dienen.

Wie schon bemerkt, haben noch sechs Cantone der Schweiz das Institut der Landsgemeinde: Appenzell Außer-Rhoden und Inner-Rhoden, Glarus, Uri, Obwalden und Nidwalden. In dem kleinen Zug ist die Landsgemeinde abgeschafft, in Schwyz mit Bezirkslandsgemeinden vertauscht. Von den erstgenannten Cantonen sind Appenzell Inner-Rhoden, Uri, Obwalden und Nidwalden nicht in allen Stücken geeignet, uns als Vorbild zu dienen, denn in ihnen zeigt sich der demokratische Volksstaat mit starker katholisch-hierarchischer Beimischung versetzt, so daß nicht nur seine Reinheit darunter leidet, sondern daß er überhaupt einer uns hier ferner liegenden ganz besondern Darstellung und Würdigung bedürfte; dagegen sind Appenzell Außer-Rhoden und Glarus ungemischte und unverfälschte Beispiele auf die offene Landsgemeinde gegründeter Volksstaaten und um so mehr geeignet, ihre constitutionelle Organisation als lebensfähige und bemerkenswerthe Verfassungsformen zu vertreten, weil sie alle Errungenschaften der liberalen Schweiz theilen und in Bildung und Wohlstand keinem ihrer eidgenössischen Mitstände nachstehen. Von beiden aber ist wiederum die Glarner Landsgemeinde die lebendigere, dramatischere. Da dieselbe in diesem Jahre außerdem einen sehr interessanten Verlauf nahm, so wähle ich sie, um den Lesern der Gartenlaube ein möglichst anschauliches Bild eines zu Rath und Beschluß versammelten freien Volkes zu zeichnen.

Auf 22. Mai d. J. war das Glarner Volk zur diesjährigen Landsgemeinde entboten. Frühmorgens fuhren in rasch aufeinander folgenden Reihen die Wagen der Hinter- und Unterländer in die Straßen des im engen Alpenthale am Fuße des drohend hereinragenden Glärnisch gelegenen Hauptortes Glarus, und schon vor der angesetzten Zeit wimmelte derselbe von Landleuten, welche sich diesmal besonders zahlreich eingestellt hatten, weil die Tractandenliste der Landsgemeinde höchst wichtige Fragen aufwies. Der Versammlungsplatz in Mitte des Fleckens war zum Empfang der freien Landleute bestens hergerichtet. In weitem Halbkreise zeigten sich die amphitheatralisch angeordneten Bänke des „Ringes“, in dessen Mitte sich die Tribüne des Landammans erhob. Um zehn Uhr hatte sich der Ring schon bis zum Brechen gefüllt. Man zählte 5–6000 Stimmfähige. Nur die vorderste Bank harrte noch der Ankunft sämmtlicher Behörden, welche sie aufzunehmen bestimmt war. Versammlungsort der Behörden war diesmal das Gerichtshaus, weil das Rathhaus, im furchtbaren Brande des Jahres 1862 zerstört, noch seines innern Ausbaues entbehrt. Punkt zehn Uhr setzte sich von dort aus der feierliche Zug der Behörden nach dem Ring in Bewegung. An der Spitze bewegten sich unter den Klängen von Musik zwei Pelotons Scharfschützen und Infanterie in einem gravitätisch langsamen Parademarsch, welcher, dem reglementarischen Schritt der preußischen Regimenter nicht unähnlich, dennoch einen sehr verschiedenen, eigentlich staatsmäßig bürgerlichen Eindruck machte. Es folgten, in die Landesfarben, Roth und Weiß, gekleidet, die Weibel. Der Eine trug etwas vorwärtsgestreckt vor der Brust das Landesschwert, der Zweite das Landesscepter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_425.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)