Seite:Die Gartenlaube (1864) 345.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

sie dann die Hopser und die Schottischen aufspielen, da wird ’s Babeli wohl kein so ernstes Gesicht machen, wie heut, wo’s so schwermüthige Lieder singt. Ja, ja, wir haben draußen an der Thür gehorcht.“ –

Und der Sonntag kam, goldig klar, ein echtes Septemberkind, und schon in erster Morgenfrühe zogen wir mit Stock und Ranzen das anmuthige Thal hinauf nach der Nürnberger Schweiz. Draußen im Häuschen, wo wir neulich Abends eingesprochen waren zum Blatten, schlief noch Alles, auch das Babeli noch, dem wir gern unsern Morgengruß geboten hätten. Es war frisch, doch nicht kühl, so recht angenehm zum Marschiren, und so wurde uns der Aufstieg über den Gansberg zu der edelgeformten Houbirg nicht sauer, selbst meinem Freunde nicht, in dessen körperlicher Stattlichkeit seine Doppelwürde als wohlgediehener Hopfenmatador und hochmögender Hersbrucker Magistratsrath ihre Ausprägung findet. Ueber thaufeuchten Rasen ging’s in die Höhe, und bald öffnete sich dem Blick eine weite Aussicht auf die Hersbrucker Gegend. Das Städtchen kämpfte noch mit dem leicht durchsonnten Duft der Frühe, die Felsen und Höhen des obern Thales aber säumte bereits das glühendste Roth, und weit links sahen wir die dampfende Schlange des ersten Bahnzuges sich abwärts winden.

„Sieh hier,“ begann mein Gefährte, nachdem er ein paar Minuten luftschnappend gerastet hatte, „die Ueberbleibsel eines Erdwalls; wir heißen sie kurzweg die ‚Schanze‘. Die rührt noch von den Urbewohnern unseres Gaues her, behaupten die Antiquare, und mag ehedem Opferstätte und Heiligthum gewesen sein. Auch zum Begräbnißplatze hat sie gedient, denn ringsum findet man noch viele alte Grabhügel, sogenannte Hünengräber. Neulich war ich zufällig mit dabei, als solch ein Hünengrab geöffnet wurde; da kamen gar verschiedene Trümmer wunderbarer Waffen, Menschenknochen, zerbrochene Schmuckgegenstände und einige andere unbestimmbare Geräthe zum Vorschein, die auf eine fern im fernsten Mythenduft liegende Urzeit deuteten.“

Noch eine Viertelstunde tapfern Klimmens, noch einige Stoßseufzer des Magistratsrathes, und der Gipfel ist gewonnen. Inzwischen hat sich die ganze Landschaft in Sonnenlicht gebadet, nur die Kuppen der Oberpfalz, die man von hier aus überschaut, liegen in tiefem Schatten und geben dem heitern Bilde einen ernsten, stylvollen Abschluß.

Raschen Laufes schreiten wir zu dem freundlichen Flecken Happurg hinab, der sich an den jenseitigen Fuß des Berges schmiegt. Hier vor dem behaglichen Wirthshause des Benedictus Meyer hielt der Omnibus, der nach Ankunft der Bahnzüge in Hersbruck die Verbindung mit dem neuen schönen Hotel von Ruprechtsstegen vermittelt. Dies war ja auch das eigentliche Ziel unseres Ausfluges „in die Berge“, wie mein Gefährte sich stolz ausdrückte, und so ließen wir alle unsere kühnen Pläne von weiteren Fuß- und Kletterpartien schwinden und zogen die Bequemlichkeit des Vehikels vor. Mit der Bequemlichkeit freilich durfte es nicht so streng genommen werden; der Sonntag und das herrliche Herbstwetter hatten noch Andere als uns in die Romantik und nach den Forellen des Pegnitzthales gelockt, und der Omnibus war bereits ziemlich angefüllt von lustigem Nürnberger Volke, das sich in seiner „Schweiz“ einen guten Tag machen wollte.

Die Gegend hat keinen großartigen Charakter, ist wenigstens noch mehr Miniaturschweiz, als andere deutsche Hügellandschaften, denen man aus einem sehr übel angebrachten Localpatriotismus und Localenthusiasmus die Ehre der Vergleichung mit dem gewaltigen Alpenlande anthut, aber die Höhen sind malerisch geformt, die Felsen des Jurakalks oft grotesk umrissen und die Belaubung der Hänge und Gipfel thut dem Auge wohl, so daß die Fahrt, immer hart an der munter plaudernden Pegnitz hin, Wechsel und Erquickung sattsam bot. Schon frühzeitig scheint man auch die Anmuth und die Vorzüge des Thales erkannt zu haben, durch das sich die alte Straße nach Böhmen zog. Rundum auf den Büheln und Felsenkuppen hatten sich die Herren vom Stegreif ihre Raubnester aufgerichtet. Die wußten die reichen Waarenzüge, welche aus der rührigen Handels- und Gewerbstadt ostwärts geführt wurden, nach Herzenslust zu brandschatzen und warfen manchen wackern Bürger und Kaufherrn in die Nacht ihrer tiefen Verließe, bis ein hohes Lösegeld den Armen dem Tage zurückgab. Da sind denn der Fehden zwischen den Junkern und der mächtigen Reichsstadt gar häufige gewesen, bis endlich den Ersteren der Athem ausging und die Nürnberger Geschlechter sich ihre lustigen Herrensitze fast in allen unterthanen Dörfern bauten und jeder Flecken sein Schloß mit Eckthürmen und Wallgraben erhielt, zu denen das vorige Jahrhundert seine Amoretten und Wasserkünste, seine steifen Taxushecken und allongenperrückte Statuen gefügt hat. Auch später haben die Nürnberger Patricier sich manch hübsches Berg- und Waldasyl im Pegnitzthale gegründet. Eben führte uns der Weg an einem solchen vorüber; links der Straße, doch am rechten Ufer des Flusses, zeigten sich die Trümmer einer alten Ritterburg. „Das ist der Lichtenstein,“ erklärte mein Begleiter, „das Stammschloß derer von Lichtenstein, das die Bürger von Nürnberg einst gebrochen haben. Jetzt gehört es den Herren von Ebner, einer bekannten reichsstädtischen Patricierfamilie; die haben es ganz dem Style gemäß restaurirt und die Höhe mit zierlichen Garten- und Waldanlagen geschmückt.“

Und so rollten wir noch an unterschiedlichen älteren und neueren Nürnberger Herrensitzen vorüber, durch mehrere freundliche Dörfer mit stattlichen Kirchen und ansehnlichen Schlössern, und die Felspartien des Thales thürmten sich immer wundersamer und abenteuerlicher übereinander, bis bei Enzendorf ein förmlicher Strom von Steinen und größeren und kleineren Kalktrümmern die Höhen überrieselt zu haben schien. Die Sonne lag bereits drückend über dem Thale, und allerlei Ausrufe und Seufzer der Ungeduld und unruhiges Hin- und Herrücken unter unserer Wagengesellschaft kündeten die Sehnsucht, endlich an Ort und Stelle zu sein. Auch der Magistratsrath zog wiederholt seine Uhr aus der Tasche, die Mittagsstunde war nahe, und drunten im hüpfenden Bache schnellte manche Forelle so verlockend in die Höhe! Jetzt eine abermalige Wendung der Straße und ein allgemeines freudiges Ah! Da erhob sich wie ein zierliches Schlößchen mit elegantem Thurme und wehender Flagge über dem Dorfe Ruprechtstegen das neue Jegel’sche Gast- und Curhaus. Noch eine Brücke ist zu passiren, dann geht es langsam die zum Hotel führende Allee hinan, und da waren wir, und oben empfing uns der liebenswürdige gebildete Wirth, ein alter Freund meines Genossen, mit einem herzlichen Willkommen, während ein Häuflein von Sommergästen in den übrigen Ankömmlingen liebe Bekannte begrüßte und der Freude und des Jubels ob der vergnüglichen Ueberraschung kein Ende fand.

„Nun, wie behagt Dir’s hier?“ frug mich der Freund, als wir auf der Veranda des eleganten Gebäudes standen und Umschau hielten über die landschaftliche Scenerie, die es umgiebt. „Ist’s nicht ein allerliebster Schmollwinkel, um einmal auf ein paar Tage oder meinetwegen Wochen die ganze Welt draußen und selbst den – Hopfen zu vergessen? Sieh, die Felsen dort, das sind die Hüter des Ankathales, und das ist das Lauterbrunnen oder besser das Münsterthal unserer Schweiz. Heut’ Nachmittag, wenn’s kühler geworden und ein Schlummerstündchen gehalten ist, wollen wir unsere Schritte in diese Schlucht lenken. Vorerst, vor Allem aber an die Forellen!“

Der Wirth war inzwischen zu uns getreten und lud zu einer Besichtigung des neuen Baues ein, ehe die Tischglocke nach dem Speisesaale rief. Gern folgten wir der Führung des freundlichen Mannes, an dessen Lebensschicksale sich ein eigenthümliches Interesse knüpft. Früher Redacteur einer einflußreichen fränkischen Zeitung, war er später nach Amerika ausgewandert und hatte in New-York das noch unter diesem Namen bestehende „Jegel’sche Hotel“ begründet. Da mitten in einer gedeihlichen Thätigkeit traf ihn ein entsetzlicher Schlag. Auf der Reise zu ihm wurde seine Familie eines der bejammernswerthen Opfer, welche der bekannte grausige Brand des Dampfers „Austria“ forderte. Jegel mochte nun nicht mehr in Amerika bleiben; er verkaufte sein Gasthaus und ging nach dem Vaterlande zurück, um wieder, wie ehedem, die getreue Feder zur Hand zu nehmen. In regem Verkehr mit der amerikanischen Presse, wurde er 1859 von der New Horker Staatszeitung als Special-Correspondent auf den italienischen Kriegsschauplatz gesandt. Zwar kannte ich im Allgemeinen bereits diese erfahrungsschwere Vergangenheit des jetzigen Besitzers unsers allerliebsten Ruprechtsstegener Curhauses, doch war es mir interessant, nun aus dem Munde des Mannes selbst noch manche Einzelheit seines bewegten Lebens zu vernehmen, so interessant, daß ich darüber auf unserm Gange durch das Hotel da und dort eine besondere Schönheit oder einen Hauptvorzug der Einrichtung übersah und erst von meinem Hersbrucker Gastfreunde auf das Unbeachtete aufmerksam gemacht werden mußte.

Das Curhaus ist erst seit Beginn der vorjährigen Saison, Anfangs Mai, eröffnet worden. Nach dem Plane des Professor

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_345.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)