Seite:Die Gartenlaube (1864) 326.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

dünn belaubten Weinhügeln, in ihrer mageren, regelmäßigen, lichtgrünen Vegetation so monoton wie diese. Erst wo sie sich näher zur Bahn heranziehen, unterscheidet man an den höheren Pfählen, die, zum Theil schon ihrer Umrankung beraubt, wie ein Wald von langen Spießen in die Lüfte starren, daß man hier nicht in ein Reich des himmelgeborenen leichtbeschwingten Bacchus, sondern des erdentsprossenen handfesten Gambrinus einfährt. Zwar versichern Kenner, daß die Dolde, die man weiter südlich in der Umgebung von Spalt, ebenfalls in Franken, der segenspendenden Nessel abzugewinnen versteht, noch würziger sei, als die des Pegnitzthales, doch ist der Unterschied kein sehr erheblicher, und in quantitativer Beziehung steht die Gegend, durch die uns eben die schnaubende Locomotive trägt, mindestens in gleicher Linie mit jener.

Mittlerweile hat die Landschaft angefangen in mildzahmer Weise zu „schweizern“. Die Hügel steigen allmählich steiler an und spitzen sich zu mannigfachen Gipfeln zu, wo aber immer die Sonne die Hänge bestreichen kann, da ziehen sich überall die gleichförmigen Reihen der Hopfenpflanzungen die Berglehnen empor, und allerwärts zwischen dem hochkletternden Geblätter zeigt sich ein buntes Getümmel emsiger Menschen, Männer und Frauen und Kinder. Ueberall wird das Hopfenlaub abgeschnitten, zu einzelnen dicken Büscheln vereinigt, und diese werden dann zu handlichen Bündeln zusammengeschnürt, vorsichtig und sorgsam, damit das ölreiche Hopfenmehl nicht den Doldentrauben entfalle.

Die Locomotive pfeift. „Hersbruck,“ ruft der Schaffner in mein geöffnetes Coupé. Da liegt es, das saubere, ehedem Nürnbergische Städtchen mit ein Paar ansehnlichen Thürmen und seinen freundlichen Häusern, das wohlthuende Bild von Rührigkeit und Gedeihen. Rundum von Hopfenbergen umgeben, ist es die Hauptader einer Production, deren Herz das alte Nürnberg bildet, in welchem die kleinen und großen Blutgefäße von allen Himmelsgegenden zusammenströmen und zur Zeit der Hopfenernte jenen fieberhaft vollen Pulsschlag hervorrufen, von dem wir eben Zeuge waren.

Das Gütchen meines Freundes war bald aufgefunden, – alle Welt kannte ja den Matador des Ortes, – aber er selbst war nicht daheim.

„Der Vater ist schon draußen im ,Berg’,“ antwortete auf meine Frage ein kräftiger junger Bursche von etwa sechzehn Jahren, der älteste Sohn des reichen Hopfenbauers, „draußen bei dem ,Pflücken’, und vor Mittag wird er schwerlich wieder heimkommen. Doch,“ setzte er hinzu, als ich meinen von der Familie oft vernommenen Namen genannt hatte, „ich schicke auf der Stelle nach Papa. Er wird so froh sein, Sie einmal in Hersbruck bei uns zu sehen, von dem er uns so manches Mal erzählt hat.“

„Bitte, lassen Sie das bleiben. Ich suche Ihren Vater lieber unter seinen Hopfenpflückern auf. Wollen Sie mir den Weg zeigen lassen?“

Der junge Mann gab mir selbst das Geleite nach dem „Berge“. Durch einen Terrassengarten traten wir in’s Freie, und ich konnte von dem etwas erhöhten Punkte die anmuthige Lage des Ortes noch besser überschauen, als vom Bahnhofe aus.

Wir schritten nun durch lauter Hopfengärten dahin. In den meisten gab’s noch das lustigste Regen und Rühren; hier reckten sich die Männer, um das oberste Laub von den riesigen Stangen herunterzuholen, dort bückten sich die Weiber, um die großen Blättersträuße zu einer Art von Garben zusammenzufügen, während die Kinder Nachlese hielten unter dem den fleißigen Händen entglittenen Segen, und allerwärts ward auch den flinken süddeutschen Zungen kein Feierstündlein gegönnt, obwohl die Sonne uns Steigenden schon tüchtig zu schaffen machte. Manche der Pflanzungen standen aber auch schon ziemlich kahl und entblättert da, denn die Ernte war bereits seit mehreren Wochen im Gange, und boten mit ihrem endlosen nackten Stangenwerk, das die Aussicht versperrte, eben keinen besonders fesselnden Anblick. Vielfach waren auch die 30 bis -40 Fuß langen Pfähle aus dem Boden gehoben und, den Pfad hemmend, über einander geworfen.

Die Pflanzung meines Freundes gehörte zu den höchstgelegenen und nahm die ganze obere Mittagslehne eines ansehnlichen Hügels ein. Es kostete daher bereits manchen Schweißtropfen, ehe wir uns auf den engen Gängen zwischen den einzelnen Hopfenstöcken und zwischen dem an ihnen hantirenden emsigen Volke zu dem Gesuchten hindurch gearbeitet hatten. Endlich waren wir seiner habhaft. Mit breitem Strohhute über dem sonnenheißen Gesichte und abgeworfenem Rocke stand er an der obersten Staffel seines Besitzthums und commandirte das Schneiden und Binden, das Packen und Abfahren um ihn her.

„I, potz Blitz! Machst Du auch jetzt in Hopfen? Willst mir wohl die Ernte am Stocke abkaufen?“ war der erste Ausruf des Ueberraschten, dem indeß das herzlichste „Grüß Gott und Willkommen in Hersbruck!“ und das wärmste Händeschütteln folgten.

„Das weniger,“ antwortete ich. „Hab’ mich nur vor dem stereotypen Feldgeschrei in Nürnberg aus dem Staube gemacht und will mir ansehen, einmal gründlich ansehen, was eigentlich hinter dem Hopfenlärme steckt. Darum überfalle ich Dich so plötzlich und inmitten der Hauptcampagne Deiner menschen- und kehlenbeglückenden Großthaten. Du giebst mir doch auf ein paar Tage Quartier, bis ich mir Euer eigenthümliches Ernteleben recht ordentlich beschaut habe? Auch Euere Schweiz muß ich kennen lernen. Wir machen zusammen eine Streife in Euere Nürnberger Alpen; nicht wahr? Der große Herr Sohn da vertritt schon den Vater einmal auf einen Tag.“

„ Wollen’s noch überlegen. Allein ich fürchte, Du bist bei uns vom Regen gar in die Traufe gekommen. Drunten in Nürnberg sind sie hopfentoll wenigstens erst, seit die Ernte begonnen hat, hier spricht man schon seit drei Monaten von nichts Anderem mehr, als von dem zu erwartenden oder nicht zu erwartenden Hopfen. Da hat man tagtäglich seine Beobachtungen zu machen und seine Vermuthungen auszutauschen, sich gegenseitig seine Hoffnungen mitzutheilen und seine Befürchtungen zu klagen, und ob in Polen der Murawiew henkert oder der Berg, ob in Mexico die Rothhosen klopfen oder geklopft werden, – das Alles ist uns gleichgültig, sobald nur der Frost in der letzten Nacht unseren Pflanzen keinen Schaden gethan hat. Denn „der Hopf ist ein Tropf“ heißt unser Sprüchwort, und Ihr, die Ihr das ganze Jahr ruhig hinter Eueren Schreibtischen sitzet, Ihr laßt Euch nicht träumen, wenn Ihr Abends in Eueren Stammkneipen Euer sogenanntes „Baierisch“ oder „Coburger“ oder – horribile dictu! „Wald- oder Feldschlößchen“ schlürft, was für Aengste und Sorgen so ein armer geplagter Hopfenbauer zu erdulden hat, nur um den Herren da draußen die Würze für ihren Abendtrunk in gebührender Qualität zu verschaffen. Da erscheint zunächst im Frühjahr, wenn’s trocken und dabei kalt ist, der Erdfloh. Er zerfrißt die ersten Triebe unserer Hopfenpflanze und hindert diese am rechten Aufkommen. Dann im Sommer fällt der Honigthau, der nach kühlen Nächten die Hopfenblätter wie mit einem undurchdringlichen Firnisse überzieht, die Poren verstopft und die Säftecirculation in Stocken bringt. Damit nicht genug, stellt sich im Gefolge dieses bösen Thau’s alsbald die sogenannte Hopfenlaus, eine Species der Blattlaus, ein und hat rasch verwüstet, was an den Pflanzen noch gesund war, da sie sich in kurzer Zeit in’s Millionenfache vermehrt. Man nennt diese Verheerungscomplication auch den schwarzen Brand, der z. B. 1854 und 1860 unsere ganze Ernte in Frage stellte. Ja, selbst im August und September, wenn wir schon am Pflücken und Blatten sind, lauern noch tückische Feinde, wie u. A. der Kupferbrand, eine Art von Verdorren und Absterben, von dem ich selber schon manches Liedchen singen könnte. Wahrhaftig, ’s ist mit dem Hopfen noch heikeler, als mit der Rebe; vielleicht giebt es keine einzige Culturpflanze in der Welt, welche den Einflüssen der Witterung in gleichem Grade unterworfen ist, wie unsere veredelte Nessel. Und so kommt Unsereiner Tag und Nacht aus seiner Aufregung und Spannung nicht heraus. Jetzt begreifst Du wohl, daß unsere Ernte alle Zungen in Nürnberg in Bewegung setzt, wo sich das Hopfengeschäft für ganz Franken, ja für das gesammte Baiern concentrirt, und daß wir Hersbrucker am Ende gewissermaßen zu Monomanen werten, in deren Hirnkästen nur noch für eine einzige, alle anderen Gedanken absorbirende Idee Raum bleibt. – Doch, laß uns einen Gang durch meinen ,Berg’ machen und dann in dem benachbarten Felsenkeller noch einen Appetitstrunk schlürfen, ehe wir uns zum Essen heim begeben. Robert,“ wandte er sich an den Sohn, „Du kannst bis Mittag hier bleiben. Aber gieb hübsch Acht, daß die Bündel immer gehörig nach Hause geschafft werden, damit sie drin beim Blatten nicht aufgehalten sind. ’s ist noch mancher Zapfen abzuschneiden, weißt Du, bevor das Trocknen seinen Anfang nehmen kann.“

„Hast Du,“ begann mein Freund wieder, welchem das Vergnügen aus den Augen leuchtete, das es ihm gewährte, einen alten Jugendgenossen durch sein stattliches Anwesen und über den recht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_326.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)