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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

mir läg’, sollest Du nicht einen Augenblick warten dürfen, um glücklich zu werden. Aber der Vater wird’s auch schon allein fertig bringen,“ fuhr sie nach einer kleinen Pause fort. „Es geht nun einmal so entsetzlich langsam mit den Gerichten, und Nachbars Margareth hat mir erzählt, daß eine Schwester von ihr, die in die Stadt hinein heirathete, über zwei Jahr hat warten müssen, weil ihr Bräutigam immer und immer die Papiere nicht bekommen konnte.“

„Da würde ich wahnsinnig, wenn das mir passirte,“ rief Hans.

„Nun, so schlimm wird’s schon nicht werden,“ lächelte das junge Mädchen. „Hab’ nur guten Muth und mach’ wieder ein freundlich Gesicht. Siehst Du, wenn Du traurig bist, dann sieht’s gleich im ganzen Hause schwarz aus, und – man ist’s auch eigentlich gar nicht an Dir gewöhnt. Aber ich muß fort; Joseph und Marie, da draußen steht schon die Rese und wartet auf mich,“ und mit den Worten huschte sie mit den Leintüchern, die sie noch immer unter dem Arme hielt, aus der Thür.

Hans stand auch auf. Es war ebenfalls Zeit geworden, daß er wieder hinaus an seine Arbeit ging, und nur das Böse dabei, daß er sich bei der Arbeit nicht einmal die Gedanken aus dem Kopfe schlagen konnte, denn der Aerger wollte ihm gar nicht aus dem Sinn, und beim Pflügen hatte er erst recht Zeit, darüber nachzugrübeln.

Sonderbar: die Liebe zu Lieschen und der Schmerz, daß er ihr noch so lange nicht angehören solle, hatten eigentlich mit seinen Gefühlen weit weniger zu thun, als der Aerger über diese albernen Weitläufigkeiten. Es war aber auch wieder ganz natürlich, denn nichts kann einen Menschen mehr ärgern und verdrießen, als wenn er einem bestimmten Ziel entgegenstrebt, ja schon in Armesbereich nahe gekommen ist und dann durch eine Menge von Hindernissen davon zurückgehalten wird. Sind diese Hindernisse der Art, daß man sie selber mit eigener Kraft und Ausdauer bewältigen kann, ei, dann ist es etwas Anderes; dann wird unser Geist, unsere ganze Thätigkeit dadurch in Anspruch genommen, und wir haben sogar nachher noch einmal so viel Freude an dem Gewonnenen, denn nichts macht uns glücklicher, als was wir uns selbst verdient und errungen haben. Sind die Hemmnisse dagegen der Art, daß wir nichts, gar nichts auf der Gotteswelt dawider thun können und nur immer warten und warten müssen, dann mögen sie wohl einen nur etwas lebhaften Menschen zur Verzweiflung treiben, und Hans war allerdings lebhafter Natur. Seine Geduld zu erproben, bekam er aber jetzt Gelegenheit, denn er schien dazu gerade auf das rechte Capitel gerathen zu sein: eine Eingabe an ein Consistorium und ein Heimathschein, selbst für den urgeduldigen Deutschen ist es ein Meisterstück, die beiden Dinge ruhig abzuwarten.




5. Zwischenfälle.

Der nächste Tag war wieder ein Sonntag, und Hans ritt natürlich gleich nach dem Frühstück nach Wetzlau hinüber. Zugleich nahm er aber auch eine Einladung mit dorthin für die Familie Erlau, denn am Dienstag – den Montag wollte der Alte überdies in die Stadt – war seines Vaters Geburtstag und zugleich sein Hochzeitstag, und der wurde immer daheim nicht allein festlich, sondern sogar feierlich begangen. Er ließ auch sein Pferd tüchtig ausgreifen und trabte noch rasch in den Thorweg zur goldenen Traube hinein, ehe er den Braunen einzügelte.

Drinnen im Hausflur, an dem links das Schenkzimmer für die Fuhrleute und Handwerker, rechts die „Gaststube“ für vornehmere Gäste lag, führte hinten gegen den Hof zu die offene Treppe in den ersten Stock. Dort stand Lieschen unten an der Treppe und ein junger, sehr elegant gekleideter Herr, mit dem Hut in der Hand, neben ihr und schien sich nach etwas zu erkundigen. Wie sie Hans aber hereintraben sah, ließ sie den jungen Herrn gleich stehen, rief ihm nur noch ein paar Worte zu, daß er ihren Vater da drüben in der Stube träfe, und sprang dann an das Pferd, um ihrem Bräutigam die Hand hinauf zu reichen und guten Morgen zu sagen.

„Wer war denn der Fremde, Schatz?“ sagte Hans, als er sein Pferd dem Hausknecht übergeben hatte und mit Lieschen in die obere Stube ging.

„Ich weiß es nicht, Hans,“ lautete die Antwort, „ein fremder Herr, der bei uns ein paar Tage wohnen will. Er gehört, glaub ich, mit zu den Vermessern, die jetzt das Zusammenlegen der Felder beginnen sollen. Der Vater hat auch den Kopf voll damit. Aber das ist brav, daß Du so früh gekommen bist, da haben wir heute den ganzen langen Tag vor uns. Wie ist’s, hast Du Deinen Heimathschein?“

„Ach, sprich mir nicht davon,“ sagte Hans verdrießlich, „es verdirbt mir den ganzen, schönen Tag. Der Vater muß noch morgen deshalb in die Stadt. Wenn er mich nur hineinließe; ich wollte denen da drinnen schon die Meinung sagen.“

„Ja, und nachher steckten sie Dich ein,“ lachte Lieschen, „und Du bekämst ihn gar nicht. Nein, da laß Du doch lieber den Vater gehen, der setzt mit Ruhe und Vernunft mehr durch, wie Du mit Hitze und Poltern. Aber jetzt hol’ ich Dir erst etwas zum Frühstücken, und nachher gehen wir ein wenig hinunter in den Garten.“

„Aber kein Wort mehr über den Heimathschein,“ rief Hans ihr nach.

„Keine Sylbe.“

Der Vertrag wurde gehalten, und spät am Abend, nach einem vergnügt verlebten Tag, ritt Hans nach Dreiberg zurück.

Am nächsten Morgen fuhr der Vater in die Stadt, hatte indeß auch noch Nichts ausgerichtet, als er gegen acht Uhr Abends wieder ziemlich erschöpft zurückkam. Die Herren nahmen seine Angaben allerdings sämmtlich zu Protokoll, versicherten ihn aber auch, die Sache könnte nicht übers Knie gebrochen werden. Trotzdem solle er, wenn irgend möglich, noch in dieser Woche Bescheid erhalten.

Der alte Barthold wäre übrigens beinah noch übel gefahren. Anfangs wollte er daheim mit der Geschichte nicht recht laut werden, nach und nach kam aber doch Alles heraus. Er hatte nämlich dem Einen der Leute auf dem Gericht, den er für einen untergeordneten Beamten gehalten, weil er gar so schäbig ausgesehen, einen harten Thaler in die Hand drücken wollen, um die Sache ein wenig zu beschleunigen, und nachher war das ein Gerichtsassessor gewesen. Der alte Barthold schüttelte jetzt noch mit dem Kopf, wenn er daran dachte, was der für ein Gesicht gemacht und wie er ihn angesehen hatte. Es war aber dennoch gut abgelaufen.

Auf den nächsten Tag fiel die Geburtstagsfeier; Erlau’s hatten zugesagt zu kommen – Lieschen auch mit, natürlich – und das Haus in Dreiberg war von unten bis oben mit Blumen und grünen Reisern geschmückt, daß man in lauter Lauben treppauf und treppunter ging. Und wie halte die Mutter heute aufgetäfelt, und als Traubenwirths endlich kamen, ließ sie es sich auch nicht nehmen, die Braut selber herumzuführen in Haus und Wirtschaft, und ihr Alles zu zeigen, wo sie einmal später als Herrin schalten sollte.

Und wie geputzt das Lieschen heute war, und was für ein schönes schwerseidenes Kleid es anhatte, und wie es sich auch darin zu benehmen wußte! Mutter Barthold war eigentlich zuerst ein Bischen verlegen gewesen und hatte sich gar nicht ordentlich getraut es Du zu nennen, denn es sah eigentlich wie eine recht vornehme Dame aus. Aber den Hans genirte das gar nicht. Er nahm sie beim Kopf und küßte sie ab, als ob sie ein Kattunfähnchen angehabt hätte, und die Mutter Barthold stand nur immer in Todesangst dabei, daß er ihr vielleicht einmal auf das lange, kostbare Kleid treten möchte. Er konnt’s beinah gar nicht verhindern.

Bei Tisch saß Vater Barthold, als Geburtstagskind und Hochzeiter, mit seiner Frau oben an der Tafel, und neben der Mutter saß der Traubenwirth und neben dem Vater dessen Frau, während unten am Tisch Hans zwischen seiner Pflegeschwester und Lieschen seinen Platz hatte, und eine vergnügtere Tischgesellschaft hat es wohl seit langer Zeit nicht gegeben.

Merkwürdig war aber der Unterschied zwischen den beiden jungen Mädchen, und Vater Barthold, der ihnen gerade gegenüber saß, war vielleicht der Einzige, der es bemerkte oder wenigstens so darauf achtete, denn er mußte immer und immer wieder dorthin sehen und die Beiden mit einander vergleichen.

Katharine war das echte Bild eines deutschen Mädchens, mit nicht zu hellblonden Haaren und so tiefblauen Augen, daß man gar nicht satt werden konnte hinein zu schauen, wenn Einem der Blick einmal begegnete. Um die wirklich zart geschnittenen Lippen lag dabei ein unbeschreiblicher Zug von Sanftmuth und Milde, ja auch wohl von stiller Ergebenheit, und wenn sie lächelte, konnte man gar nicht anders, als ihr gut sein. Und doch war sie eigentlich keine Schönheit, denn Lieschen war viel, viel schöner.

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