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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Behutsam nimmt sie den Kleinen aus den Armen der Mutter und trägt ihn triumphirend in den Garten hinaus. Dort, unter hohen schattigen Bäumen, versammelt sich jeden Vormittag die Gesellschaft und bleibt, trotz Hitze und stechender Insecten, bis ein Uhr zusammen. Die zärtliche Großmutter kann sich nicht entschließen, das Kind von ihrem Schooße zu geben, erzählt ihm jetzt schon allerlei Geschichten und behauptet steif und fest, es nehme bereits Antheil an der Außenwelt. Dabei unterstützt sie der sarkastische Manceau, indem er versichert, der Kleine wisse jetzt schon eine Cotelette von einer Nachthaube zu unterscheiden.

Je derber derlei Witze ausfallen, desto mehr lacht die gute Großmutter, die, wie es scheint, in diesen wenigen Vormittagsstunden ihren Geist blos erheitern lassen will, sei das Mittel dazu auch noch so unbedeutend. Um ein Uhr erhob sie sich mit den Worten: „Kinder, es ist Zeit zu arbeiten,“ küßte den Kleinen noch ein Dutzend Mal, übergab ihn der Mutter und zog sich in das Haus zurück.

George Sand.
Nach einer Photographie jüngster Zeit.

„Arbeitet denn Ihre Mutter jetzt bei Tage?“ frug ich Maurice; denn aus früheren Zeiten wußte ich, daß nur die Nächte dazu verwendet wurden.

„Nur einige Stunden,“ war die Antwort, „aber die Hauptarbeit geschieht doch während der Nächte. Die gute Mutter schreibt unausgesetzt von elf Uhr Nachts bis vier Uhr Morgens; oft noch etwas länger. Um ein Uhr nach Mitternacht nimmt sie etwas Speise zu sich. Zum Schlafe genügen ihr wenige Stunden, Sie haben gesehen, daß sie heute schon um elf Uhr unter uns saß, und da hatte sie ihr Frühstück bereits auf ihrem Zimmer eingenommen.“

Nun wußte Jeder irgend etwas Charakteristisches und Lobendes zu erzählen: als das größte Lob aber erschien mir die Begeisterung, mit der die junge Schwiegertochter von ihr, als der besten aller Mütter, sprach. – Darauf bat ich Maurice, mich ein Bischen im Hause herumzuführen. Hier das ziemlich genaue Bild davon.

Ueber einige Stufen, die ein dichter, blühender Bogen von Clematis umlaubt, gelangt man aus dem Garten in den luftigen Speisesaal, dem zur Linken der eigentliche Salon und zur Rechten die Zimmer des Sohnes und seiner Familie sich anschließen. Alles ist in großartigem, aristokratischem Style angelegt und mit Comfort, wenngleich nicht mit Luxus, meublirt. In der Mitte des Salons steht ein langer Tisch, um den sich Abends bei dem Scheine einer einzigen, noch dazu beschirmten Lampe die ganze Gesellschaft schaart. Ein Pianino, ein paar antiker Kasten mit vielerlei Raritäten, ein zierlicher Kamin, mit dem eleganten Zubehör, und altfränkische Meubles garniren die Wände. An den Tapeten hängen Bilder aller Art: Portraits und Genrebilder, historische Gemälde und Aquarellveduten. Von den Portraits fielen mir drei am meisten auf: das Bildniß des Marschalls von Sachsen (des eigentlichen Ahnherrn der Sand), das Bild der schönen Gräfin Königsmark und jenes ihres eigenen Vaters, in Husarenuniform. Nie sah ich ein edleres Antlitz und geistreichere Augen, die an Größe und Glanz nur mit denen der Tochter zu vergleichen sind.

Eine breite, gebogene Stiege, auf der die Büste der Malibran steht, führte in den ersten Stock, zu zwei rechts und links laufenden Corridoren. An beiden Seiten derselben liegen die Schlaf- und Fremdenzimmer, mit der Aussicht theils nach dem Garten, theils in den Vorhof, den ein großes Gebüsch in der Mitte ziert An diese Fronte sind kleine, mit Thürmchen versehene Vorsprünge gebaut, ebenfalls bewohnbar, und dem Ganzen eine Art feudalen Charakters gebend. In aller diesen Gemächern herrschen die größte Ordnung und Reinlichkeit. Die Zimmer der Hausfrau gehen nach dem Garten, doch war jetzt nicht die Zeit, sie in Augenschein zu nehmen. Dafür traten wir bei Manceau ein. Es sah bunt und originell aus in seiner Clause. An den Wänden Gypse, Bilder, Skizzen aller Art, algier’sche Waffen, chinesische Mützen, trockene Blumenkränze, kurz ein artistisches Untereinander. Er selbst saß an einer Blende und war in einer Arbeit vertieft. Jetzt erst sollte ich erfahren, daß er ein Kupferstecher, und zwar einer der hervorragenden in Frankreich ist. Aber mit welcher Selbstironie zeigte er uns seine Arbeit!

„Sehen Sie,“ sprach er, „das freut mich Alles wenig, aber wenn ich Literatur treibe und mir einbilde, ein Schriftsteller zu sein, bin ich im Paradiese.“

„Was? Sie schriftstellern auch?“

„Nun, in den Jahren, die ich jetzt hier bin, habe ich schon Etwas lernen können. Sehen Sie, ich bin mit der Idee hergekommen, acht Tage zu bleiben, und bin jetzt dreizehn Jahre hier. Und so wie mir ist es noch Jemandem gegangen, der ebenfalls für ein paar Tage kam und den man Jahre lang nicht fortkriegte.“

„Das ist wahr,“ sagte Maurice, „aber es geschah zu unserm allerseitigen Behagen.“

Manceau gebot plötzlich Stillschweigen, denn Madame, die nicht weit von uns arbeite, könne uns hören. Wir trennten uns, und ich suchte mein Bett auf; die schlaflose Nacht lag noch wie Blei in meinen Gliedern. Nach wenigen Stunden süßen Schlafes weckte mich das Bellen des Haushundes und das Vorfahren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_301.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)