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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

dem König zur Demüthigung, während es zugleich durch seine Kostspieligkeit das Land in noch tiefere Armuth stürzt.“

„Unsere Aufgabe,“ entgegnete der Minister Cornwall, „wird noch vor Ablauf des Jahrs gelöst sein, und wenn dies, wie sich nicht bezweifeln läßt, wirklich geschieht, so werden wir dann die Truppen zu weit billigeren Bedingungen gehabt haben, als es jetzt auf den ersten Blick scheint!“

Lord Irnham faßte die Sache von einem höhern Standpunkte auf, indem er sagte: „Der Landgraf von Hessen und der Herzog von Braunschweig schänden Deutschland in den Augen von ganz Europa, indem sie ihre Länder zu einem Menschenmarkte für den machen, der das meiste Geld hat. Fürsten, welche in solcher Weise ihre Unterthanen verkaufen, um sie in blutigen Kriegen opfern zu lassen, erschweren ihr Verbrechen noch dadurch, daß sie viel bessere und edlere Wesen, als sie selbst sind, in den Tod jagen. Der Landgraf von Hessen hat sein edles Vorbild in weiland Sancho Pansa, welcher da aussprach, wenn er ein Fürst wäre, so würde er wünschen, daß alle seine Unterthanen Neger wären, damit er sie verhandeln und zu Gelde machen könne.“

Doch alle Klagen und Warnungen, alle die bitteren Wahrheiten, welche die Opposition dem Ministerium in’s Gesicht schleuderte, blieben vergeblich; von seiner gewohnten Majorität unterstützt, trug dieses den Sieg davon, trotzdem, daß auch im Oberhause gewichtige Stimmen gegen die schmachvollen Verträge laut wurden, ja der Herzog von Cumberland, ein Bruder des Königs, die in dem Munde eines Fürsten der damaligen Zeit befremdenden Worte sprach: „Ich habe mich diesen Bedrückungsmaßregeln von jeher widersetzt und stimme den die Handlungsweise der Minister tadelnden Bemerkungen von Herzen bei. Ich beklage es, sehen zu müssen, daß Braunschweiger, welche früher einmal zu ihrer großen Ehre die Unterthanenfreiheit erkämpfen halfen, jetzt ausgesendet werden, um in einem anderen Theile unseres großen Staats die constitutionelle Freiheit zu unterdrücken.“

Die Zahl der von Braunschweig in dem englisch-amerikanischen Kriege gelieferten Truppen betrug den siebenundzwanzigsten Theil der Gesammtbevölkerung des Herzogthums, und der Landgraf von Hessen lieferte gar ein Zwanzigstel seiner Unterthanen oder das Viertel der waffenfähigen Männer. Man nahm die jungen Leute, wo man sie fand, hinter dem Pfluge, aus der Werkstatt, oder von der Landstraße hinweg, und Keiner war sicher vor den untergeordneten Werkzeugen der Fürsten, welche dieses schandbare Gewerbe trieben. Fast jede Familie in Hessen betrauerte eins ihrer Mitglieder. Heiterkeit und Lebenslust waren aus den Kreisen des Landvolkes entschwunden. Der größte Theil der Feldarbeit mußte von Frauen verrichtet werden, deren verkümmertes Aeußere ein beredtes Zeugniß ablegte von der Wuchergier ihres verächtlichen Fürsten.

In einem Briefe an Voltaire sprach der Landgraf, indem er seine Truppenlieferungen erwähnte, den Wunsch aus, die schwierigen Principien der Regierungskunst kennen zu lernen und zu erfahren, wie man die Unterthanen zu der Einsicht bringen könne, daß Alles, was ihr Herrscher thue, zu ihrem Besten sei. Eben so schrieb er einen Katechismus für Fürsten, worin Voltaire die Hand eines Schülers des Königs von Preußen zu erkennen glaubte.

„Legen Sie seine Erziehung nicht mir zur Last,“ antwortete der große Friedrich. „Wäre er ein Zögling aus meiner Schule, so wäre er nimmermehr katholisch geworden und hätte eben so wenig seine Unterthanen an die Engländer verkauft, wie man Mastvieh zur Schlachtbank treibt. Er will Fürsten belehren! Die schmuzige Leidenschaft der Habgier ist der einzige Beweggrund seiner niedrigen Handlungsweise.“

Ja, aus Habsucht verkaufte er das Fleisch seines eigenen Volkes, beraubte viele seiner Unterthanen des Lebens und sich selbst der Ehre. Während die Herzen der Einsichtsvollsten und Besten in Deutschland für die Sache der Amerikaner schlugen, zwangen der Landgraf von Hessen und seine edlen Vettern die rüstige Jugendkraft seines Landes, die Freiheit zu bekämpfen, welche das Kind der deutschen Wälder und das moralische Leben der deutschen Nation war.

Die an schwarzen Blättern so überreiche Geschichte unserer deutschen Fürstenhäuser hat kaum ein schwärzeres aufzuweisen, als das, worauf dieser schmachvolle Menschenhandel verzeichnet steht, aber die ewige Gerechtigkeit hat es benützt, nicht das schwächste Glied in jener Reihe von Bestrebungen zu bilden, durch welche die Nationen auch den letzten Rest der „guten alten Zeit“ austilgen und die bürgerliche Freiheit ihrem endlichen Siegeslaufe um die Erde entgegenführen werden. Gott sei Dank, daß wir Jetztlebenden diesem Ziele um ein gut Stück näher gerückt sind!




Stillleben einer Dichterin der Jetztzeit.
Von Joseph Dessauer.
1.

Ein heißer Augustmorgen des verflossenen Jahres war es, an dem wir drei Passagiere in das enge Coupé der von Orleans nach Châteauroux gehenden Diligence gepfercht wurden. Was ich in diesem qualvollen Zustande von der Gegend sah, war nicht geeignet, mich zu erheitern. Weite, unbebaute Felder, von Ulmen und Pappeln gradlinig durchzogen, – die letzteren noch dazu bis zu den Gipfeln ihrer Zweige beraubt – schlechte Bauernhütten und zuweilen ein dürftig gekleideter Mensch gaben ein trauriges Bild, durch das sich hügelauf, hügelab die unabsehbare Straße zog.

Etwa eine halbe Stunde vor dem Städtchen La Châtre liegt das Dorf Nohant und in ihm, dicht an der Heerstraße, das Haus der Sand, der auch in Deutschland hochverehrten, aber auch vielgeschmähten Dichterin, der größten Schriftstellerin unserer Tage. Allgemein und selbst auf den gedruckten Fahrtabellen der Eisenbahn wird es nur „le château de Mme. Sand“ genannt, ein Titel, der ihm allein schon durch den Vergleich mit seiner bescheidenen Umgebung unstreitig gebührt. Erst unweit dieses „Schlosses“ wird die Scenerie etwas anmuthiger und erfreulicher. Die Felder, auf denen nur Haidekrant und Ginster wuchsen, weichen mehr und mehr grünen Wiesen, dichte Wälder kleiner Eichen ziehen sich weit nach den blauen Bergen hin, die im Hintergrunde reizende Linien bilden. Nur Wasser vermißte ich; aber es fehlt nicht daran, denn die gelbe Indre fließt durch die Vallée noire, die hier beginnt. Auffallend sind die zahllosen Schafheerden, die, von flachsspinnenden jungen Mädchen gehütet, umher weiden. Unter ihnen mag G. Sand ihr Original zur petite Fadette, aus der die Birch-Pfeiffer ihre bekannte „Grille“ entlehnte, gefunden haben.

An einigen elenden Bauernhütten und einem erbärmlichen Schulhause vorüber gelangten wir endlich an den Garten des Schlosses, der hier an die Landstraße stößt und blos durch ein kleines Holzgitter von ihr getrennt ist. Das Gebäude selbst ist nur wenig sichtbar, doch von dem Garten her winken blühende Oleandersträuche und herrliche Exemplare uralter Bäume. Der Conducteur steigt ab, legt meinen Mantelsack auf die staubige Chaussee, ruft mit gewaltiger Stimme: „Henri! Henri!“ und jagt mit seinem Vehikel weiter. Da stehe ich nun, obschon ich einer ausdrücklichen Einladung der berühmten Frau nach ihrem Tusculum gefolgt bin, an der zugeschlossenen Gitterthür; Henri bleibt unsichtbar, er mag wohl noch schlafen; denn was schläft nicht Alles in Frankreich um acht Uhr Morgens! Da bleibt nichts übrig, als den Eingang wo anders zu suchen. Den schweren Mantelsack nachschleppend, biege ich um die Ecke und gelange auf einen freien Platz, in dessen Mitte sich eine halbverfallene Kirche und prachtvolle, hundertjährige Buchen und Ahornbäume erheben.

Zur Seite, dicht an dem Meierhofe, öffnet ein großes eisernes Gitter das Vorgärtchen des Schlosses. Endlich erscheint Henri, ein freundlicher Mann in blauer Blouse, einem Bauer nicht unähnlich. Er sagt mir, daß im Schlosse noch Alles schlafe und daß er eigentlich nicht wisse, was er mit mir anfangen solle. „Nun, so wecken Sie irgend Jemanden – hier haben Sie meine Legitimation.“ Ich gab ihm den Einladungsbrief seiner Gebieterin – „daraus werden Sie sehen, daß ich kein Vagabund bin.“ Ein zweiter Hausgenosse trat nun dazu; da aber, wie es schien, Beiden das Entziffern geschriebener Buchstaben nicht geläufig war, so verschwanden sie mit dem Briefe und ließen mich eine Zeit lang vor der Thür allein. Das hatte ich mir freilich nun Alles ganz anders

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_299.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2021)