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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

höchstens verliert damit das Geschoß seine Percussionskraft, aber die Sprengwirkung, die vorzüglich gegen Mauerwerk, Verschanzungen und dergleichen fürchterlich ist, bleibt ganz dieselbe. Im freien Felde gegen Truppenmassen ist das Geschoß nicht minder verderblich; es durchschlägt die vordere Reihe, crepirt und schleudert eine mörderische Garbe von Sprengstücken nach allen Seiten, den Beherztesten entmuthigend. Die Kartätsch-Granaten (Shrapnels) werden mit eisernen Kugeln, die durch Schwefel zu einer compacten Masse miteinander verbunden sind, gefüllt; sie erhalten nur eine schwache Sprengladung, welche gerade genügt, um den Geschoßkörper zu zerdrücken; die Kugeln zerstreuen sich und bestreichen so einen viel größeren Raum. Die Explosion erfolgt bei ihnen vor dem Ziele und wird durch einen besonders eingerichteten, nach der Zeit stellbaren Zünder bewirkt. Als Belagerungsgeschosse sind aber die Granaten von viel gewaltigerem Effect. Die Beobachtung der Wirkung ist eine sehr leichte durch das mit dem Aufschlagen gleichzeitige Crepiren; die entstehende Rauchwolke zeigt genau an, ob zu weit oder zu kurz geschossen ist, und fast immer ist vom dritten Schuß an jeder neue ein Treffer. „Die Preußen feuern mit einer tödtlichen Sicherheit; die unglücklichen Dänen werden von ihnen an jedem Orte und zu jeder Stunde getroffen,“ so klagt der kriegsschauplätzliche Berichterstatter der Times. Ein unverwerflicheres Zeugniß für die Vortrefflichkeit der preußischen gezogenen Geschütze kann es schwerlich geben.




Deutscher Menschenhandel im 18. Jahrhundert.
Die diensteifrige Durchlaucht von Hanau und ihr „Extradouceur“ – Der opferwillige Waldecker und seine werbenden Dorfpfarrer – Die Braunschweiger, Vater und Sohn – Der Kasseler Landesvater, seine Rechnenkünste und seine cameradschaftlichen Gesinnungen – Der Anhalt-Zerbster und seine Stylübungen – Der verschmähte Baier – Das Urtheil des englischen Parlamentes und Friedrich des Großen.


„Es traten wohl so etliche vorlaute Bursche vor die Fronte heraus und fragten den Obersten, wie theuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe? – Aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschiren und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe! nach Amerika!
Schiller, „Kabale und Liebe.“ 

Es war in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; die unter Englands Oberhoheit stehenden dreizehn Colonien, die nachmaligen Vereinigten Staaten von Nordamerika, hatten ihrem Herrscher Georg III., der sie eines ihrer Rechte nach dem andern beraubt, den Gehorsam gekündigt und die gegen sie ausgesendete bewaffnete Macht durch ihr eigenes Heer unter Washington’s Oberbefehl siegreich zurückgeschlagen. Der König war aber fest entschlossen, die rebellischen Colonien um jeden Preis zum Gehorsam zurückzuführen. Seine eigene verfügbare Truppenmacht reichte indeß für diesen Zweck nicht aus, so daß ihm seine Minister nichts Besseres zu rathen wußten, als mit einer auswärtigen Regierung wegen Ueberlassung einiger Truppencorps zu diesem Zwecke in Unterhandlung zu treten. England hat es von jeher geliebt, seine Kriege mit Verbündeten oder Hülfstruppen zu führen, diesen die schwerste Arbeit zuzuweisen und im Fall des Mißlingens die Schuld aufzubürden, gemeinschaftlich erfochtene Siege dagegen für sich allein in Anspruch zu nehmen.

Ueber diese von der englischen Regierung mit auswärtigen Höfen gepflogenen Unterhandlungen macht der berühmte amerikanische Historiker Bancroft in dem neuesten Bande seiner umfassenden und gediegenen Geschichte der Vereinigten Staaten Mittheilungen, welche mancherlei bis jetzt noch wenig oder gar nicht gekannte Einzelheiten enthalten und überhaupt geeignet sind, jenen schmachvollen Menschenhandel vor den Augen der Nachwelt in das ihm gebührende Licht zu stellen.

Die Blicke Georg’s III. richteten sich zunächst nach Rußland. Er hoffte die Kaiserin Katharina seinen Vorschlägen geneigt zu machen; allein trotz vieler Conferenzen und mancherlei anfangs gegebener unbestimmter Zusagen war schließlich die Kaiserin nicht zu bewegen, auf das Anerbieten einzugehen, in welchem sie eine Beleidigung ihres Stolzes und ihrer Ehre erblickte. Alle Höfe von Moskau bis Madrid hatten den Gang dieser Unterhandlungen beobachtet, aber keinerlei auswärtiger Einfluß äußerte auf die Willensmeinung der Kaiserin irgend welchen Einfluß. Im westlichen Europa hatte sich eine Zeit lang das Gerücht verbreitet, die Kaiserin sei bereit, dem englischen Verlangen zu entsprechen; Vergennes, der französische Minister, erklärte es jedoch sofort für unglaubhaft und schrieb an den französischen Gesandten in Moskau die denkwürdigen Worte: „Ich kann Katharinens Seelengröße nicht mit dem unehrenhaften Gedanken vereinbaren, daß sie mit dem Blute ihrer Unterthanen Wucher treiben könnte.“

Zu seinem Troste hatte König Georg bereits Beweise in den Händen, daß nicht alle Fürsten Europas die von der Kaiserin Katharina bewiesene Standhaftigkeit gegen die Verlockungen des englischen Goldes an den Tag legen würden.

Der Erbprinz von Hessen-Kassel, bereits Beherrscher des kleinen Fürstenthums Hanau, hatte Englands Wünsche schon vor den mit der Kaiserin Katharina angesponnenen Unterhandlungen instinctartig gewittert und deshalb an Georg III. geschrieben: „Ich höre nie auf, die feurigsten Wünsche und Gebete für den besten aller Könige zum Himmel emporzusenden, und wage hiermit, ohne die mindeste Bedingung zu stellen, mein Regiment von fünfhundert Mann anzubieten, welche alle bereit sind, mit mir ihr Leben und ihr Blut für Eurer Majestät Dienst zu opfern. Geruhen Eure Majestät, auf den Beweggrund und nicht auf die Sache selbst zu sehen. O, daß ich zwanzigtausend Mann offeriren könnte! Es sollte mit demselben Eifer geschehen. Mein Regiment ist auf den ersten Wink, der mir gegeben werden wird, bereit, aufzubrechen.“

Gleich dem Bettler, der einem reichen Gönner, von dessen Großmuth er mehr als den Marktpreis zu erpressen hofft, seine Habe als Geschenk anbietet, verlangte er nichts, begab sich aber, als keine Antwort erfolgte, später selbst nach England, um seine Anträge zu erneuen.

Georg III. wünschte jedoch, bevor er mit deutschen Fürsten in Unterhandlung trete, erst eine Truppenanwerbung in Holland zu versuchen. Ohne großes Bedenken wäre der Erbstatthalter der Republik auf den Vorschlag eingegangen; Würde, Grundsätze und Politik der Generalstaaten widerstrebten einem solchen Verlangen aber entschieden.

Namentlich war es Baron van der Capellen tot den Pol, der Gracchus der holländischen Republik, welcher gegen Englands Zumuthung protestirte. Janitscharen solle man lieber miethen, äußerte er, als Truppen eines freien Staats. Warum solle eine Nation, welche selbst den Namen von Rebellen getragen und sich mit der Schärfe des Schwerts von ihren Unterdrückern befreit, ihre Truppen hergeben, um das zu zermalmen, was man von einigen Seiten die Rebellion der Amerikaner zu nennen beliebe, die gleichwohl für alle Nationen ein ermuthigendes Beispiel seien und als wackere Männer die Achtung der ganzen Welt verdienten, weil sie mit Unerschrockenheit und doch mit Mäßigung die Rechte vertheidigten, welche Gott, aber nicht das britische Parlament, ihnen verliehen?

Auch hier also scheiterte Georg mit seinem Ansinnen. Mittlerweile aber fand er in Deutschland, was er suchte.

Das deutsche Reich hatte sich von der Zerrüttung, welche der dreißigjährige Krieg über dasselbe gebracht, noch nicht wieder erholt. Seit dieser furchtbaren Zeit war der Militärdienst ein Handwerk geworden und der gemiethete Söldner an die Stelle des mittelalterlichen Vasallen getreten. Das Gefühl des Patriotismus hatte sich allmählich in den Gehorsam des Soldaten verwandelt, welcher wohl lernte, daß er einen Herrn, aber nicht daß er ein Vaterland hatte, und Kurfürsten, Herzöge und Landgrafen maßten sich das Recht an, sich um ihren persönlichen Vortheils willen in Kriege einzulassen und ihre Truppen ganz nach ihrem Belieben zu vermiethen. Um des Gewinnes ihrer Fürsten und um des Soldes und der Beute für sich selbst willen waren deutsche Truppen bei jedem großen Kampfe betheiligt, welcher von Polen bis Portugal, von der Nordsee bis zum Golfe von Neapel wüthete, und standen sich häufig genug auf verschiedener Seite feindlich gegenüber. In Friedenszeiten trieben sich die verabschiedeten überzähligen Söldner im Lande umher und bildeten eine unbeschäftigte Masse, bis sie neues Handgeld und die Hoffnung auf neue Beute wieder unter die Fahne rief, gleichgültig unter welche.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_295.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2020)