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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

hatte, verliebte sich eine schöne Bürgerin von London so sehr in ihn, daß sie ihm ein Rendez-vous unter der Parole „Richard III.“ bewilligte. Der Dichter des Trauerspiels, Shakespeare, hörte die Verabredung und beschloß, das Abenteuer selber zu bestehen, ging und fand unter der ausgemachten Parole wirklich Einlaß. Später kam Burbage. „Richard III. ist vor der Thür!“ ließ er hinaufsagen. „William der Eroberer war vor Richard III.,“ ließ William Shakespeare hinuntersagen und behauptete das Feld.

Shakespeare war der liebenswürdigste und eleganteste Gesellschafter; etwas schwerer und schwerfälliger war Ben Jonson. Ben Jonson, nach Shakespeare der berühmteste Dramatiker jener Zeit, hatte ein sehr abenteuerliches Leben geführt. Zuerst hatte er studirt, dann war er Soldat gewesen, ferner Schauspieler geworden, darauf hatte er einen seiner Collegen erschossen und war zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt worden. Aber er wurde begnadigt und benutzte den Rest seines Lebens, um für die Bühne zu schreiben. Eine gute Cameradschaft, nur ein- oder zweimal durch Eifersüchteleien vorübergehend getrübt, verband ihn mit Shakespeare. Beide waren witzig, Beide waren geistreich und erfahren in den Dingen der Welt. Ihr Gespräch belebte die Unterhaltungen in der Meermaid und ihre Witz- und Wortspiele wurden in London colportirt. –

Aber es schlägt zwei Uhr von der Bow-Kirche, und nun müssen wir die Sitzung aufheben, „wir müssen uns über die See begeben,“ wie es in der Sprache jener Zeit heißt, d. h. ein Boot nehmen und uns nach einem der Theater rudern lassen, welche diesseits oder jenseits der Themse dicht am Ufer liegen. Denn Schlag drei Uhr Nachmittags beginnt die Vorstellung.




Bilder aus der Kinderstube.
Von Gustav Steinacker.
2.

Der Schulrath F., den ich vor einer hübschen Reihe von Jahren in T. kennen lernte und öfters besuchte, war ein ganz wackerer, daneben auch ein gelehrter Mann. Er stand als Pädagoge in großem Ansehen, hatte manches Schul- und Erziehungsbuch geschrieben, und ich trat, damals noch ein ziemlich junger Anfänger, mit einer Art von scheuer Ehrfurcht in sein Haus und eine Kinderstube, weil ich da das Muster einer guten Erziehung zu finden und praktisch studiren zu können hoffte. Aber in dieser Erwartung – das ward mir allzubald klar – hatte ich mich echt gründlich getäuscht. Eine gewisse Elternkrankheit, an welcher der gute Mann nicht viel weniger, als seine Gemahlin, die Frau Schulräthin, litt und die mir später auch noch in andern als schulräthlichen Kreisen sehr häufig begegnete, machte alle seine Eriehungswissenschaft und Erziehungspraxis im eigenen Hause zu Schanden. So hatte denn auch ich in seiner Kinderstube allerdings Gelegenheit, gar viel zu lernen, nur in umgekehrter Weise, nämlich nicht wie man’s machen, sondern wie man’s nicht machen muß, um mit glücklichem Erfolge zu erziehen. Daneben ward mir auch von Neuem klar, daß die Geist und Gemüth so schwer bedrohenden Kinderkrankheiten, die in so vielen Kinderstuben herrschen, fast durchgängig nur die natürliche Folge von eben so vielen pädagogischen Elternkrankheiten sind, welche, je weniger sie allgemein genannt und beachtet werden, um so größeres Unheil anrichten.

Mein guter Schulrath hatte damals ein allerliebstes fünfjähriges Söhnchen, Namens Hermann. Schön, blühend und schwarzäugig wie ein Liebesgott, pausbäckig wie ein Raphael’scher Engel auf dem Bilde der Madonna della Sedia und voll lebendigen Muthwillens, wie er Knaben in jenem Alter so wohl kleidet, stahl er nicht nur unwillkürlich allen Freunden und Bekannten des Hauses das Herz, er hatte es, was weit schlimmer, offenbar schon längst seinen Eltern gestohlen, und – was das Schlimmste von Allem, der Kleine wußte das ganz genau und war darum im besten Zuge, auch ihnen gegenüber seinen Namen immer mehr mit der That zu führen.

Schulrath F. war ein sehr liebenswürdiger Gesellschafter. Er sah dabei gern Gäste in seinem Hause und an seinem Tisch, und diese folgten auch sehr gern der schulräthlichen Einladung, denn die Frau Schulräthin war, was sonst nicht allen Schulräthinnen eigen sein soll, als treffliche Köchin und liberale Wirthin bekannt, ebenso veranschaulichte auch der Keller des Herrn vom Hause, oder vielmehr dessen gewählter Inhalt, auf das Einleuchtendste den Unterschied zwischen einem Schulrath und einem – Volkschullehrer. Bei derlei Gelegenheiten speisten nun die älteren Kinder gewöhnlich nicht bei Tische, sondern erhielten ihr Contingent in der Nebenstube. Hermannchen aber nahm bei einer jener mir unvergeßlichen Veranlassungen alsbald seinen Sitz in nächster Nähe der bereits aufgetragenen Suppenschüssel als einen ihm von Gott und Rechtswegen gebührenden Vorzug in Beschlag, und wehe dem, der es versuchen wollte, ihn von da zu verdrängen. Die Mama versuchte es wirklich einmal, als ich gerade mit anwesend war. „Hermännchen,“ sprach sie, „stehe auf und mache dem Herrn da Platz!“ Doch mein Hermännchen hatte dafür keine Ohren. Er blieb ruhig sitzen und begann gemüthlich sein Spiel mit den bereit liegenden Messern und Gabeln. „Das schickt sich nicht, Kind, leg’ gleich Messer und Gabel an ihren Ort und steig’ vom Stuhle.“ Hermann schüttelte ruhig den Kopf und blieb sitzen. Die Mama benutzte in ihrer Verlegenheit den Eintritt eines Gastes, um das pädagogische Zwiegespräch mit ihrem Söhnchen abzubrechen und die Aufmerksamkeit der Anwesenden davon abzulenken.

Hermann hatte sich’s unterdessen bequem gemacht und von den aufgelegten Brodschnitten eine Wagenburg zu bauen angefangen. Das war der Mama denn doch zu viel. Sie begann von Neuem: „Hermann, sei doch artig! was werden die fremden Herren von Dir denken!“ Das schien jedoch Hermann ebenso wenig zu kümmern, als die hinzugesetzte Drohung: „Wenn Du nicht gleich artig bist, so sage ich es dem Papa, und Du bekommst Eins ab.“ Als auch das nichts fruchtete und Hermann mit einer Entschiedenheit, die manchem deutschen Minister dem Auslande gegenüber sehr zu wünschen wäre, dabei verharrte: „Ich gehe nicht und ich fürchte mich nicht!“ als selbst die dem Kleinen in’s Ohr geflüsterten Versprechungen und Drohungen ebenso wenig verfangen wollten, wie die Lock- und Schrecktöne einer Russell’schen diplomatischen Note an die deutschen Cabinete: da blieb freilich zuletzt gegen den renitenten Kleinen nichts übrig, als die lang verzögerte und höchst ungern in Anwendung gebrachte gewaltsame Maßregel der – Execution. Die Frau Schulräthin faßte also, kraft ihrer mütterlichen Autorität, das unfolgsame Söhnchen unter den Armen und hob es vom Stuhle.

Aber Hermännchen wußte alsbald Hannemännchen zu spielen. Er kannte aus Erfahrung die schwache Seite seiner Frau Mama, und wie man es anzufangen habe, um ihr gegenüber seinen Willen durchzusetzen. Er sing ein klägliches Zetergeschrei an und nöthigte dadurch Mama zur Nachgiebigkeit und zum Rückzuge – natürlich nur aus Rücksicht auf ihre lieben Gäste. Der Kleine behielt also seinen bevorzugten Platz an der (europäischen) Tafel, mit der nachträglichen Drohung: „Warte nur, Du ungezogenes Kind, Du sollst Deine Strafe schon bekommen!“ und der Gast, dem der Ehrenplatz an Mama’s Seite zugedacht war und von Rechtswegen gebührte, ward gebeten, dem kleinen Eigensinne zu weichen und weiter hinabzurücken. Ich war durch diesen Auftritt um eine pädagogische Studie reicher geworden und höchst begierig zu erfahren, was denn der Herr Schulrath dazu sagen würde, der noch mit einigen Gästen im Nebenzimmer verweilte und soeben in ihrer Begleitung eintrat. Er ignorirte indeß auf gut diplomatisch, was er doch nicht zu ändern vermochte, und erging sich dafür später mit seinem Tischnachbar in einem eifrigen Gespräch über die Principien der neuern Pädagogik, wobei seine Gelehrsamkeit einen glänzenden Triumph feierte. Aber auch Hermännchen errang zwischen Mama und dem zuvorkommenden Gaste, der die Achillesferse der mütterlichen Eitelkeit sehr wohl zu kennen und zu benutzen schien, einen Triumph und einen guten Bissen nach dem andern. Dies erhöhte seine Siegeszuversicht so sehr, daß er sich zuletzt Alles erlaubte, von Allem haben wollte, höchst ungenirt in alle Compot- und Dessertschüsseln langte und seine Kirschkerne dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_248.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)