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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

verstehen wolle. Ich bin vielmehr fest überzeugt, daß es wenige größere Höfe auch noch unmittelbar an der Grenze Jütlands giebt, wo nicht entweder der Besitzer selbst oder doch ein im Hause Lebender der deutschen Sprache soweit mächtig ist, daß er sich wenigstens gebrochen darin verständlich machen kann.

Unmittelbar nach Ueberschreitung der Grenze umschwirrten uns die unharmonischen Laute des jütischen Dialekts, der auch eine Art jenes Wasserdänisch ist. Wir hielten vor einem Dorfkruge, in dem sich viele Menschen drängten. Er lag abseits von der Straße, welche von Ripen kommend über Eistrup nach Kolding führt. Die ganze Umgebung hatte für Deutsche etwas überaus Unheimliches. Man merkte an Allem und Jedem, daß man sich unter Feinden befand, die nur aus Furcht vor der siegreichen Armee, welche wenige Tage früher in Sturmeseile die Dänen wieder nordwärts gejagt hatte, mit ihren wahren Gesinnungen zurückhielten. Träg, murrend und mit feindseligen Blicken, in denen man lesen konnte, daß sie jeden Deutschen am liebsten zur Hölle fahren sähen, wurde den geringen Forderungen, die wir zu machen genöthigt waren, genügt. Und so, wie in diesem ersten Haidekruge, zeigten sich alle Jüten, so viele wir deren später zu sehen bekamen.

Diesseits der Königsau lebt ein ganz anderer Menschenschlag, dessen rein germanischer Ursprung sich auf den ersten Blick erkennen läßt. Schlanke Leiber, klar und offen in die Welt blickende Augen, ovale Köpfe mit hohen Stirnen und fast immer ausdrucksvollen Gesichtszügen, begegnen uns in jedem Orte. Jenseits dieses vielgenannten Grenzflusses wohnt dagegen ein ganz anderer Volksstamm, der mit dem germanischen Typus nichts als die blonde Farbe des Haares gemein hat. Der Jüte ist selten schlank und hoch gewachsen. Ein ziemlich breiter Rumpf ruht auf dünnen Beinen, und zwischen den breiten Schultern auf kurzem Halse steht der gewöhnlich runde, dicke Kopf. Die Volkstracht, für welche der Jüte eine große Vorliebe zu haben scheint, ist ganz dazu angethan, die geringen Reize, die ihm etwa die Natur in’s Leben mitgegeben hat, vollkommen verschwinden zu machen. Dunkelblaue Beinkleider von grobem Tuch, meistentheils im Schnitt etwas zu kurz, so daß sie die Knöchel nicht bedecken, und eine kurze, weite Jacke von gleichem oder doch ähnlichem Stoff trägt mit seltenen Ausnahmen jeder Mann aus dem Volke. Das häufig lange und gewöhnlich struppige Haar bedeckt eine runde Mütze ohne Schirm von unschöner Form, die tief in die Stirn gedrückt wird. Nehmen Sie dazu noch die reizende Fußbekleidung aller Jüten, den kahnartig geformten plumpen und schweren Schuh aus Buchenholz, der auf der Sohle ein paar kurze Querhölzer hat, um ihm beim Gehen wenigstens eine Art Beweglichkeit zu geben, so können Sie sich eine ziemlich deutliche Vorstellung von einem jütländischen Adonis auf dem Lande machen. Hat er nichts zu thun, so steckt er gewiß beide Hände entweder in die weiten Taschen seiner blautuchenen Jacke, oder in die kurzen Unaussprechlichen und glotzt jeden Vorübergehenden tückisch an. An ihn gerichtete Fragen werden entweder gar nicht oder nur grinsend und in einem bellenden Nasalton beantwortet. Es ist möglich, daß in Friedenszeiten die Jüten einen weniger unangenehmen Eindruck auf den Fremden machen; als jetzt, wo die Kriegsfurie entfesselt ist und der Nationalhaß zwischen Deutschen und Dänen eine Höhe erreicht hat, die sich kaum schildern läßt und von der man erst in unmittelbarster Nähe der Ereignisse einen Begriff bekommt, jetzt wird auch der unbefangenste Deutsche in jedem Jüten nur einen fanatischen, unversöhnlichen Feind deutschen Wesens und deutscher Gesittung erblicken müssen.

Bei Eistrup gelangt man an die Koldingau, die vielfach gekrümmt durch Wiesen und Bruchland ostwärts fließt. Hier waren überall die Spuren des Krieges zu bemerken, wie denn auch das Durcheinander kriegerischen Lebens immer lärmender ward, je mehr wir uns der Ostküste näherten.

In Deutschland glauben Viele, wo nicht die Meisten, Jütland sei ein steriles, wüstes und unwirthbares Land, das zu besuchen oder gar näher kennen zu lernen, sich nicht der Mühe verlohne. Diese weit verbreitete Ansicht ist sehr irrig. In Schleswig gehören die Landschaften Dänisch-Wohld, Schwansen, Angeln und Sundewitt zu den fruchtbarsten, die man sich denken kann. Die breiten und tiefen Einbuchtungen der blauen Ostsee und die sanft geschwungenen Hügelgelände, oder die schönen Buchenhaine, welche ihre Küsten umsäumen, sind bekannt und verleihen dem ganzen Lande den Charakter eines ungeheuern Parkes. Die Ostküste Jütlands bis über Veile hinaus ist nur eine Fortsetzung dieser parkartigen, an landschaftlichen Schönheiten überreichen Gestaltung des Landes. Im Sommer, wenn die Erde sich mit Blüthen und Blumen bedeckt, wenn diese prächtigen Laubholzhaine zu grünen beginnen und sich mit tausend befiederten Sängern bevölkern, muß die Umgegend von Kolding, ganz besonders aber das ungemein romantisch gelegene Veile mit seinen zwar niedrigen, aber stark bewaldeten Höhenzügen[WS 1] ein wahres Paradies sein.

Die Lage der Stadt Kolding am westlichen Ende einer schönen Thalmulde, welche von dem Kolding-Fjord, der gewiß eine gute deutsche Meile lang ist, bespült wird, gewährt ein sehr freundliches Bild, läßt aber auch augenblicklich erkennen, daß sie für kriegerische Operationen ein äußerst wichtiger Punkt sein muß. Schon im Jahre 1849 ward dies von dem Oberbefehlshaber der damaligen schleswig-holsteinischen Armee oder – was vielleicht richtiger ist – von Oberst Delius, dem Chef des Generalstabes, erkannt. Die mit großen Opfern gewonnene Schlacht bei Kolding brachte die Stadt selbst in den Besitz der Schleswig-Holsteiner und ebnete ihnen die Wege nach Veile und nach der Festung Fridericia. Kolding ist nämlich durch seinen tiefen Fjord der Schlüssel zu Fünen, welches letztere freilich nur mittelst Schiffen zugänglich wird. Wer Kolding besitzt, der schützt auch Schleswig, indem er einen Feindes-Einfall vom Norden her unmöglich macht. Es war daher nur Selbstfolge, daß auch in dem gegenwärtigen Kriege die Besetzung dieses wichtigen Punktes von den Truppen der Alliirten sofort in Aussicht genommen wurde. Auch wenn es in dem Feldzugsplane der deutschen Heerführer ursprünglich nicht gelegen hätte, weiter nordwärts vorzudringen und Fridericia zu berennen, so würde doch ein Heer, welches Düppel einnehmen und Alsen erobern will, sich Kolding’s um jeden Preis haben bemächtigen müssen, weil nur dadurch der Feind in kräftiger Vertheidigung der Düppelstellung gestört und unausgesetzt beunruhigt werden kann.

Die große von Süden nach Norden ziehende Chaussee führt durch die südlichen Hügelgelände, welche im Osten die Bucht, die Thalmulde selbst und die Ufer der von Westen durch sumpfiges Bruchland herabfließenden Koldingau umfassen, hinab in’s Thal und gerade durch die Stadt. Am nördlichen Bucht- und Thalrande steigen die Hügel noch höher empor und gipfeln hier in zwei Punkten, die für militärische Operationen von großer Wichtigkeit sein müssen. Der eine dieser Punkte sind die Ruinen des alten Schlosses von Kolding, im äußersten Westen der Stadt auf einem Hügel gelegen. Die verwitterten Mauern von Koldinghuus, wie man die Ruine nennt, sehen weit in’s Land hinein. Der Erbauer dieser ehedem wahrscheinlich starken Veste, die sich unschwer in ein ganz Kolding beherrschendes Castell verwandeln ließe, war Herzog Abel. Damals hieß es Oernsborg und ward von mehr als einem der dänischen Könige als Residenz benutzt. Christian III. wählte es zu seinem Lieblingsaufenthalte und starb daselbst 1559. Bei dem Brande von Koldinghuus 1808, der es gänzlich einäscherte, ward auch der berühmte, von Christian IV. erbaute Riesenthurm mit zerstört, der, wie Chroniken erzählen, ein plattes Dach hatte und in jeder Ecke ein sieben Fuß hohes Steinbild trug. Es ist zu verwundern, daß die Dänen, welche die letzten zwölf Jahre dazu benutzten, ganz Schleswig mit zahllosen Schanzen zu bedecken, diesen zur Vertheidigung so günstig gelegenen Punkt ganz unbefestigt lassen konnten.

Wichtiger noch möchte der im Norden von Kolding gelegene Windmühlenberg sein, der höchste Punkt der Hügelkette auf dem Nordrande der Bucht. Er beherrscht die aus der Stadt nordwärts durch die Hügel führende Chaussee vollkommen und dürfte, tapfer vertheidigt, einem vordringenden Heere schwere Verluste beibringen.

Gleich Holland, sind auch Schleswig-Holstein und Jütland sehr reich an Windmühlen. Die hübschen Formen dieser Mühlen – sie sind rund und gewöhnlich mit Schilfstroh von oben bis unten auf allen Seiten bekleidet – verleihen dem Lande ein freundliches Ansehen, besonders wenn sie ihre mit weißem Segeltuch überspannten Flügel rasch bewegen. An der Ostküste Jütlands giebt es an allen geeigneten Punkten solche Windmühlen, die, wie sich schon beim Sturme auf Veile ergab, von ihren Besitzern oder von andern fanatisirten Eingeborenen des Landes als optische Telegraphen benutzt wurden, um die Dänen von den Bewegungen der deutschen Truppen zu unterrichten. Dem militärischen Scharfblicke des Feldmarschall-Lieutenants von Gablenz konnte diese eigenthümliche


  1. Vorlage: Höhenzugen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_238.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)