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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Bescheid wisse. „Hab’ die Ehre, Herr Kaplan!“ rief er Heinrich entgegen und zog tief seine Mütze. „Freut mich die Bekanntschaft Euer Hochwürden zu machen. Ich bin der Adlerwirth. Ja, ja, der Pater Angelo hat uns verlassen. Das war ein Mann! Der hörte das Gras wachsen! Haben der Herr Kaplan in der ersten Nacht gut geschlafen? Wie gefällt Ihnen das Transparent?“

Waldenburg war näher getreten. Die Dirnen hielten in der Arbeit ein und stierten ihn an; auch der Hausknecht hörte zu hämmern auf. Aber kein Gesicht drückte mehr als Neugierde aus. „Man feiert wohl ein Fest heute?“ fragte Heinrich mit einem flüchtigen Blick auf die Guirlanden.

Des Adlerwirths glattrasirtes Antlitz glänzte im Vorgenuß von Freude, Ruhm und Gewinn. Er rieb sich die Hände, schloß vergnüglich die Augen und schnalzte mit der Zunge. „I, ein doppeltes, ein dreifaches Fest,“ rief er, „ein Fest, wie’s Waldenburg noch nicht erlebte! Für’s Erste feiern der Rottmüller und seine Ehehälfte die silberne Hochzeit, und zweitens führt heute ihr Sohn, der schöne Toni, des Silberbauern Afra heim. Was? Das nenn’ ich ein Gaudium! Eine Doppelhochzeit von Vater und Sohn. Das junge Paar das schmuckste im ganzen Dorf, und die Alten die Reichsten! In Wendelstein werden sie getraut, dann geht’s zurück, zum Adlerwirth. Huida! Meine Frau hat gestern und die ganze Nacht Kuchen gebacken, und jetzt brennen schon wieder fünf Feuer in der Küchel und wird gesotten und gebraten wie für den König Pharao. Aber nun bleibt der Hauptspectakel: Weil das Trauerjahr um unsern Herrn – Gott hab’ ihn selig! – um ist, kann die Frau Gräfin heute zur Jubelhochzeit kommen. Herr von Montigny hat’s dem Silberbauern zugesagt, daß sie kommt, mit ihren Gästen zum Adlerwirth kommt. Denn auch im Schloß ist große Tafel und jede Gutsherrschaft im Umkreis von zehn Stunden geladen. Das wird ein Jubel heute, daß die alten Berge wackeln. Sie schenken uns doch auch die Ehre, Herr Kaplan?“

Heinrich’s Antwort kam eine Frauenstimme zuvor, welche aus dem Hintergrunde des Hausflures „Nazi!“ rief; eine Stimme, die wie ein elektrischer Schlag den Wirth und seine Leute durchzuckte; die Mägde begannen plötzlich mit erneutem Eifer zu flechten und zu binden, der Hausknecht aus Leibeskräften zu hämmern. „Gleich, Frau, gleich!“ rief der Adlerwirth in’s Haus. „Heute,“ sagte er zu Waldenburg, „führt sie das große Wort. Wie finden Sie das Transparent? Ein Myrthenkranz und zu beiden Seiten flammende Herzen. Der Huberin Joseph hat’s gemalt, ein blutjunger Bursch’. Der selige Graf wollt’ ihn Maler werden lassen, und das war sein Unglück. Denn nun unser Graf todt ist, hat der Bub’ nicht das Geld, um in der Stadt zu studiren, und keine Lust, Bauer zu werden …“

Wieder unterbrach ihn die Stimme: „Nazi! Blitzkerl! Wo schwatzest Du denn wieder? Willst Du gleich den Keller –“

„Adlerwirth,“ sagte auf der Leiter ängstlich der Hausknecht, „die Frau will den Kellerschlüssel …“

„Gleich, Frau, gleich!“ rief der Redselige. „Sehen Sie, Herr Kaplan,“ fuhr er gegen Heinrich gewandt, aber den Blick unruhig nach der Thüre gerichtet, fort, „im Kranz sollte ein Spruch stehen, der auf die Herrschaft sich bezieht, aber mir fällt nichts ein. Wissen Sie keinen Vers, Herr Kaplan?“

„Ei,“ erwiderte der Andere nach kurzem Besinnen, „nehmt den Wahlspruch der Waldenburg, der in der Schloßkapelle steht!“

Der Adlerwirth schlug sich vor die Stirn. „Richtig! das ist’s! der Wahlspruch muß drauf! Nimm den Rahmen nur wieder ab, Stoffel; nimm ihn ab und lauf’ zum Huber-Joseph! Er soll den Spruch hineinmalen; hörst Du, den Spruch, der in der Schloßkapelle steht …“

„Nazi!“ tönte die Stimme heftiger. „Nazi! Kreuzelement …“

„Adlerwirth, die Frau Loni!“ mahnten die Kranzwinderinnen.

„Herr Jesus, ich komme ja… Nichts für ungut, Hochwürden! - Ich will meine geplagte Frau heute nicht ärgern, sonst sollte sie sehen … Na, tausend Dank für den guten Rath. – Spute Dich, Stoffel! – Hab’ die Ehre, Herr Kaplan!“ Und mit den Schlüsseln rasselnd, stürzte er sich eilig in den Hausflur. Heinrich aber setzte seinen Weg fort.

Er ging zum Fluß hinab, um sich an’s andre Ufer fahren zu lassen. „Gelobt sei Jesus Christus!“ sagte der alte Fährmann, der, seine Pfeife rauchend, im Kahne saß.

„In Ewigkeit, Amen!“ erwiderte Waldenburg den frommen Gruß.

„Schönes Wetter heute,“ begann der Alte, während der Nachen einer Kette entlang glitt und vom Ruderschlag vorwärts getrieben wurde. „Ihr kommt wohl vom Schloß, hochwürdiger Herr?“

„Ja.“

„Da geht’s heute wieder hoch her,“ sagte der Schiffer schmunzelnd. „Sonntag ist dort alle Tag’. Ein lustig Haus, seit der Graf todt ist! Mir kann’s recht sein. Ist das Schloß voll, wird mein Fischkasten leer.“

„Kanntet Ihr den Verstorbenen?“

„Freilich; hab’ ich doch die gräfliche Fischerei und Fähre seit zwanzig Jahren in Pacht! Fuhr ihn oft genug über, ihn und seinen Fuchs, den jetzt der Silberbauer hat. Er stieg im Kahn immer ab vom Gaul und schaute während des Fahrens in’s Wasser – gerade wie Ihr jetzt.“

Heinrich sah betroffen empor, aber der Alte verfolgte seinen Vergleich nicht weiter, sondern lachte still vor sich hin. „Ja, ja,“ sagte er, „sein Vetter, der Montigny, macht’s anders. Eins, zwei, drei, setzt er in den Kahn, daß ich oft meine, er und sein Gaul müßten Hals und Bein brechen. Und dann dreht er sich im Sattel bald links, bald rechts, fuchtelt mit der Peitsche, pfeift und kann nicht schnell genug drüben sein… Aber ich seh’ den Wildfang gar zu gern, und wenn ich ihn ansehe, werd’ ich fast selber wieder jung. Der Selige war ein stiller, guter Herr, und ich wünschte ihm hundert Jahr zu leben; aber todt ist todt, und wenn unsere Gräfin wieder heirathet, soll ein Huchen groß wie ein Walfisch auf den Hochzeitstisch …“

Wieder lachte der Alte und stieß den Kahn an’s Land. „Ihr bleibt wohl nur eine Pfeife lang, Hochwürden?“ fragte er.

„Ich komme bald wieder,“ erwiderte Waldenburg und verließ das Fahrzeug.

„’s ist rattenkahl geworden, hier drüben,“ meinte der Schiffer.

Heinrich schlug den Waldweg ein. Dieser führte durch junges Nadelholz, plötzlich dann stand man vor einer ungeheuren Lichtung. Soweit Heinrich’s Auge reichte, sah er links und rechts einen schattenlosen Grund sich dehnen, mit Wachholdergestrüpp und Haidekraut bewachsen. Zahllose Baumstrunke waren die traurigen Ueberreste eines stolzen Waldes. Gegenüber stieg die ernste Gebirgswand empor. Die Sonne schien in die Tannen auf ihrem Gipfel, daß sie wie ein zierliches Asbestgewebe durchsichtig golden schimmerten. Aber Heinrich’s Blick haftete auf dem Boden. Er blieb, die Hände gefaltet und Thränen im Auge, stehen.

„Hierher lenkt’ ich einst den Schritt,“ dachte er, „Tag für Tag seit meiner Knabenzeit. Hoch wölbten sich die Bogen, und ich ging unter ihnen dahin wie in einer Kirche. In warmen Nächten wandelte ich hier mit Stephanie Hand in Hand. Wir ließen uns am Fuß von Stephaniens Eiche nieder, sahen den Mond wie ein Freundesantlitz durch’s Gezweige grüßen und flüsterten im geheimnißvollen Wehen der Bäume von den süßen Schauern der Einsamkeit. Dahin, dahin, wie der Traum einer Sommernacht; das grüne Reich gestürzt und vergeudet wie meine Hoffnungen! Habt Ihr keinen Schatten mehr für mich? Die Lerche hör’ ich schmettern, aber wo sind die andern Sänger?“

Der Anblick der sinnlos beraubten Gründe, wo nirgends eine Spur neuer Umwandlung und künftiger Schöpfung sich zeigte, that ihm zu weh. Er kehrte zum Fluß zurück.

Während der Kahn an’s andere Ufer trieb, sagte der Fährmann mit einem schlauen Blick auf Heinrich: „Da war einmal ein schöner Forst. Aber auch die Axt, die ihn umhieb, hatte einen schönen Silberklang. Vor Alters sah man so ’nen Wald ehrfürchtig wie ein Tabernakel an und rührte nicht dran. Heutzutage ist man klüger. Anstatt Geld für den Wald auszugeben, macht man den Wald zu Geld. Ja, solang Einer nicht todt ist, kann er jeden Tag Neues lernen. Der Graf wollte nicht klug werden, drum starb er so früh … Wir Fischer, Hochwürden, haben Zeit zum Denken. Manchmal denk’ ich Lustiges, manchmal Trauriges, und zuweilen kommt mir das Kluge und das Einfältige, kommt mir Alles wie Rauch vor.“ Er blies eine Dampfwolke aus der Pfeife, die er zwischen den Zähnen hielt …

Fünf Stunden später führte Banks, der Neger, den Kaplan zur Frau Gräfin. Sie saß mit ihren Gästen und Fanny auf der Terrasse, unter einem Zeltdach. Die Baronin Aßperg lehnte in einem indischen Schaukelstuhl, eine magere Gestalt mit einem Kopf, der nie schön, aber immer noch „interessant“ war, das Gesicht von, gelblicher, doch durchsichtiger Farbe, die Nase lang und schmal,

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