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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

ehe ich Ihnen meine Antwort gebe,“ erwiderte er nach einer Pause mit unbewegter Miene. „Sie sprachen gestern Abend von Forderungen Ihrerseits, von denen ich noch keine Ahnung habe.“

Ein flüchtiges Roth trat in das Gesicht des jungen Mannes. „Forderungen? ich habe, sobald Sie meinen Vergleich annehmen, nur noch zu bitten, Herr Hellmuth,“ erwiderte er. „Wollen Sie aber auch meinen Bitten schon im Voraus auf den Grund sehen, so heißen sie: Nehmen Sie mich in Ihre Familie auf, der ich ohne Freunde und Angehörige jetzt in der Welt herumlaufe, und – versprechen Sie mir, mir die Rechte eines Sohnes zu geben, wenn ich vielleicht schon in Kurzem Sie darum angehen sollte!“

Er hatte dem Kaufherrn die Hand entgegengestreckt; dieser aber faßte die letztere wie in leichter Höflichkeit und zog die Augenbrauen nachdenkend in die Höhe. „Sie gehen, wie mir scheint, etwas rasch vorwärts, Herr Maçon!“ sagte er. „Ein Vergleich in der Ausdehnung, wie Sie ihn vorschlagen, will überdacht sein; zum Andern aber habe ich kaum erst das Vergnügen gehabt, Sie kennen zu lernen –“

„Halt, Herr Hellmuth, das Alles kommt nicht aus Ihrer Seele!“ rief der junge Mann, die Hand des alten Herrn festhaltend. „Ich spreche mit vollem, offenem Herzen zu Ihnen, und Sie dürfen mir nur in gleicher Art begegnen, wenn Sie der Mann sind, als welchen Sie mein Vater schilderte. Sie möchten keinen Tag mehr unter den jetzigen ungewissen Verhältnissen leben, lassen Sie mich das ruhig aussprechen, denn ich gestehe Ihnen, daß ich es eben so müde bin; senden Sie mich aber heute unverrichteter Sache weg, so würde ich nicht in der jetzigen Weise wiederkommen können – und so bitte ich Sie von Herzen, Herr Hellmuth, lassen Sie uns nicht mit dem Schicksal spielen, das oft nur auf die Versäumniß eines günstigen Augenblicks wartet, um den Menschen dafür zu strafen!“

Hellmuth neigte, wie noch immer unschlüssig, den Kopf, ohne dennoch dem jungen Manne seine Hand zu entziehen. „Trotz alledem würde es mir kaum möglich sein, eine so schnelle Entscheidung über mein ganzes Vermögen zu treffen,“ sagte er, während sich ein leichter Zug von Laune um seinen Mund legte; „ich habe Töchter, deren Zukunft darauf basirt ist –“

„So fragen wir sie, und ihre Entscheidung soll maßgebend sein,“ rief Maçon, sich rasch erhebend. „Noch einmal, Herr Hellmuth, gehen Sie offen und ohne Reserve mit mir zu Werke!“

„Sei es denn so!“ rief der Hausherr, sich gleichfalls erhebend; „es wird ihnen indessen unerwartet kommen, und Sie mögen selbst jede Erklärung übernehmen, da Ihr Drängen mir keinerlei Art von Vorbereitung erlaubt!“ In seinem Gesichte stand ein Zug innerer Befriedigung, den selbst die in Falten gezogene Stirn nicht zu verdecken vermochte. – – –

In den Corridor vor dem Besuchszimmer war Gruber mit bleichem Gesichte und zögerndem Schritte getreten. Im Hintergrunde des Raumes stand Eugenie, die beim Erblicken des jungen Mannes rasch und in sichtlicher Unruhe auf diesen zuging. „Sie haben mich zu sprechen verlangt, Fräulein!“ sagte der Letztere, hörbar seine Stimme zur Festigkeit zwingend.

„Ja, Gruber, ja!“ erwiderte sie, in augenscheinlicher Aufregung einen Schritt vom Eingange zurücktretend, „kommen Sie hierher! Willmann sagt, Sie wollten unser Haus verlassen – das ist doch nicht wahr? sagen Sie rasch Nein, damit ich ruhig werde!“

„Ich werde allerdings gehen, Fräulein!“ erwiderte er, leicht den Kopf senkend.

„Und warum – warum?“ fragte sie hastig, die feine, weiße Hand wie unbewußt an seinen Arm legend.

„Wozu sollen Ihnen die Gründe etwas helfen?“ entgegnete er, „Sie werden jetzt im Hause eine größere Befriedigung als durch mich erhalten. Der junge Maçon tritt aller Wahrscheinlichkeit nach in nähere Beziehung zu Ihrem Hause, wie zum Geschäfte, und wird Ihnen Alles gewähren, was Sie in mir vermißten –“

„Gruber, ich bitte Sie doch, was reden Sie denn?“ rief sie und schloß in voller Ungeduld die Hand um seinen Arm, „was geht mich denn dieser Maçon an?“

In seinem Gesichte zuckle es. „Vielleicht wird Ihnen das bald Ihr Herr Vater mittheilen – und haben Sie mir denn nicht selbst gesagt, wie sehr Sie sich für ihn interessiren?“

Einen Augenblick wich das Blut aus ihrem Gesichte. „Mein Gott, mein Gott,“ sagte sie plötzlich, seinen Arm loslassend, und in ihrer Stimme klang es, als wolle die innere Erregung ihr Thränen auspressen, „haben Sie mich denn nicht ein klein Wenig mehr lieb, daß Sie mir so etwas sagen können? Dazu haben Sie mir gegenüber Muth, aber zu keinem andern klaren Worte! Gehen Sie nur, ich werde ja wohl auch das überwinden, wenn auch dieser arrogante Maçon nicht –“ sie kehrte sich ab, als sei sie ihres Gesichtsausdruckes nicht mehr Herrin; er aber folgte ihr in überwallender Empfindung.

„Eugenie,“ sagte er mit bebender Stimme, „nicht wahr, Sie wußten, was meine höchsten Wünsche waren, wußten, was ich fühlte, wenn mir oft Ihnen gegenüber die Rede versagte, was mich aber auch zum Gesellschaftsmenschen machte, wenn Sie eine freundliche Miene für mich hatten –“

Sie wandte langsam das Gesicht mit thränengefüllten Augen und einem lächelnden Zug um den Mund nach ihm. „Nun ja – und wenn ich es wußte?“

„Sie wußten es, Eugenie,“ fuhr er, den Kopf senkend, fort, als fürchte er eine neue Bestrickung durch dieses rosige, in Thränen lächelnde Gesicht, „aber die stille Empfindung, der alltägliche Mensch, von dem Sie schon seit der Kinderzeit jede Herzensfrage kannten, genügten Ihnen nicht; Sie verlangten nach Neuem, Blendendem, und der erste Komet, der Ihre Bahn kreuzte, war genügend, um seinetwillen einen alten treuen Trabanten bei Seite zu stoßen. Ist das nicht so? und weshalb fragen Sie mich jetzt noch, warum ich aus dem Hause gehe, wenn der Komet in seinem vollen Glanze aufzieht? Es ist gut so für uns Beide, Fräulein Eugenie, denn wären Sie erst zur Erkenntniß meiner Unbedeutendheit zu einer Zeit gekommen, wo es zu einer Trennung vielleicht zu spät war, so hätten wir Beide einem langen Leben voll geheimen Unglücks verfallen müssen –“

„Gott im Himmel, der Mensch thut und redet, als wäre es an mir gewesen, ihm eine Erklärung zu machen,“ unterbrach sie ihn, in einem neuen Ansatze zu ungeduldigem Weinen. „Was helfen denn einem Mädchen Ihre stillen Empfindungen, ohne daß es ein klares Wort davon hört? Ich bin ärgerlich gewesen auf Ihre Weise, als müsse sich Alles zwischen uns von selbst verstehen, und habe zu Ihrem eigenen Aerger mich für diesen Maçon interessiren wollen, bis mir es wurde, als sei er mit seinem ganzen Wesen, das nirgends ein Hinderniß zu kennen scheint für das, was er will, ein Dämon, der mich zur Strafe an dem Finger, den ich ihm geboten, in’s Verderben ziehen würde, und ich mich in Angst vergebens nach Ihnen umsah. Jetzt haben Sie doch wenigstens ein verständliches gerades Wort gesprochen, und ich habe Ihnen geantwortet – nicht wahr, Sie bleiben jetzt, Gruber?“ fuhr sie drängend fort, ihre Hand von Neuem an seinen Arm legend, „es liegt nichts mehr zwischen uns, und Sie sprechen zu mir, gerade wie es Ihnen um’s Herz ist?“

„Eugenie!“ rief er unter voller innern Aufregung, mit Mühe seinen Ton dämpfend, „und wenn Sie auch die Liebe, die mich jetzt so unglücklich macht, in etwas teilten, – Sie werden nicht können, wie Sie wollen – ich sehe mit voller Bestimmtheit, was im Werke ist, und Sie ahnen nicht, was von einem Arrangement, wie es wohl von Ihrem Vater schon beschlossen ist, abhängt!“ Er hatte fast unbewußt ihre Hand ergriffen, und sie legte die Finger dicht um die seinen.

„Wer will mich zwingen zu etwas, was ich nicht mag, wenn ich Ihrer sicher bin?“ fragte sie mit einem durch ihre Thränen aufglänzenden siegenden Blick.

„Meiner?“ gab er, seiner Empfindungen nicht mehr mächtig, zurück, „Eugenie, ich wollte ja gern kämpfen und sterben für Sie!“ Das Mädchen lag an seiner Brust, er wußte nicht, wie es geschehn – da sprang plötzlich die Thür des Corridors auf und ein lautes, fast entsetzt klingendes „Eugenie!“ ließ Beide aus einander prallen.

Hellmuth in Gesellschaft seines Gastes stand unweit von ihnen und schien im Anblick der Gruppe fast zu Stein geworden zu sein. Maçon aber hatte nur einen einzigen schnellen Blick auf die Ueberraschten geworfen und faßte dann kräftig den Arm seines Begleiters. „Hier legen wir später unsere Frage vor, kommen Sie, Herr Hellmuth, Fräulein Anna wird freier sein uns zu hören!“ sagte er mit dem Ausdrucke voller Laune und wollte seinen Begleiter nach dem Besuchszimmer fortführen. Allein dieser blieb, wie noch immer halb betäubt, stehen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_179.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)