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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Jetzt ist es Zeit, das Breterhaus zu zimmern und die Vorratskammer zu füllen mit den Delicatessen des Berliners, der kühlen Blonden, der Flasche Gilka’s und der Wurst des Knoblauch. Schon harrt Schneewittchen, das holde Kind, das sich während des Sommers als aufbrausende Jungfrau und Odaliske des Dönhofsplatzes ernährt, um ihr Mundschenk-Amt am Büffet anzutreten.

In wenigen Stunden ist das Werk vollbracht, die Restauration aufgeschlagen, der Vorrath an Schlittschuhen und Pickschlitten ausgekramt und die Fahne aufgehißt zum Zeichen, daß der Tanz beginnen kann. Und noch einige Stunden – und das Parquet füllt sich mit lustigen Tänzern. Bruder Studio und Mosjö Pennal sind die Ersten, ihnen folgen die Fräuleins Backfisch und Tantchen Unverzagt. Die ganze Schaar der Junggesellen, welche in der Residenz nisten, der schmeidige Commis, der sanfte Registrator, der civilisirte Fähndrich, der unentgeltliche Referendarius, sie Alle finden sich ein, um ihre Künste vor dem schönen Geschlecht zu entfalten und ihre Dienste als Schlittenschieber anzubieten. Auch der ehrsame Bürger und Ehekrüppel schnallt sich die Flügel Mercur’s an die Füße, um „Muttern“ einen galanten Liebesdienst zu erweisen. – Welch buntes Bild, welch übermüthige Scherze! – „Sehen Sie nur, Piefke, dort den Baron und dicht hinter ihm die beiden Halsabschneider! Bardauz – da liegen sie Beide!“ – „Der Baron hat sich mit seinen Gläubigern gesetzt!“ – „So ist es!“ – „Was sagen Sie zu den kleinen Rangen, die sich um die Ehre streiten, das Balg von Geheimeraths zu stoßen?“ – „Zukünftige Assessoren – angeborener Respect!“ – „Brennecke auch hier? Ich denke, der reitet blos Wechsel?“ – „Er übt sich bei Zeiten im Laufen.“ – „Aha!“ – „Potztausend, welch schmucke Polka-Prinzessin!“ – „Still, still! der Lieutenant hinter ihr könnte uns hören! ’s ist ja eine Banquierstochter aus dem orientalischen Viertel!“ – „Schwemmler, sehen Sie mal, wie propper der Rath aus dem Cultusmysterium rückwärts läuft!“ – „Janz jenau nach die Rejulative!“ – „Famöses Schneewittchen da in Bude, lieber Strudelwitz!“ – „Auf Jletscher, Kamrad, wollen Budenparade machen!“ – „Aber mein Herr!“ – ruft eine über die Schlittschuhe des Paradirenden stürzende Schöne. – „Pardon, meine Jnädige, weiß jetzt, wie jefallener Engel aussieht, auf Jletscher!“

Vor etwa fünfzehn Jahren noch wagte kein Jungfräulein Berlins den schlüpfrigen Boden zu betreten; heut gehört die holländische Sitte zum guten Ton, und selbst manch stolze Frau der Wilhelmsstraße läßt ihre Töchterchen zum Eisballe ziehn, nachdem sie ihren Jean instruirt hat, den Gnädigen nicht von den Fersen zu weichen.

Wie manche heiße Liebe ist schon auf der eisigen Bahn entflammt worden! Wie mancher Jüngling hat mit kühnen Bogen Augen und Herz einer Schönen erschwungen! – Kein Jahr, in dem nicht der Stadtklatsch neue Beiträge zur Literatur der Eisnovellen liefert, deren Inhalt stets der nämliche ist: „Arthur hatte sie noch nie gesehen. Louise ihn auch nicht. Louise war auf eine warme Stelle gekommen. Arthur zitterte, Louise brach ein. Er rettete sie – sie sahen sich in die Augen – sie liebten sich, und schon nach drei Tagen hielten sie sich fest umfaßt, liefen selbander anmuthig dahin, und Arthur recitirtc seiner Louise die Verse Herder’s:

„Wir tanzen, wir schweben auf tönendem Meer,
Auf Silberkrystallen dahin und daher;
Der Stahl ist uns Fittig, der Himmel das Dach,
Die Lüfte sind eilig und schweben uns nach.
So gleiten wir Beide mit fröhlichem Sinn
Auf eherner Tiefe des Lebens dahin.“




Nicht Waterloo, sondern Belle Alliance.
(Schluß.)

Am Morgen um acht Uhr nach der Schlacht bei Ligny traf ein Bericht Blücher’s bei Wellington ein. Der Officier mußte zugleich fragen, ob das britische Heer bereit sei, Napoleon anzugreifen, wenn das preußische zu ihm stoße. Wellington antwortete, er werde sich jetzt in die feste Stellung bei Mont-St.-Jean, mit dem Hauptquartier Waterloo, zurückziehen und hier, falls ihm Blücher auch nur mit zwei Heerestheilen, 25,000 Mann, zu Hülfe kommen wolle, am folgenden Tage die Schlacht annehmen. Um zehn Uhr begann der Abmarsch des britischen Heeres. Gegen Abend war die ausersehene Stellung bei Waterloo besetzt. Ney, dem sich Napoleon mit seiner mächtigen Reserve anschloß, folgte ebendahin. Um sieben Uhr Abends beobachtete Napoleon schon von dem Pachthof La Belle Alliance aus durch den dicht fallenden Regen die auf den flachen Anhöhen von Waterloo gegenüberstehenden Schaaren Wellington’s. Dieser sandte Nachts an Blücher die Nachricht von seiner glücklichen Ankunft in der vorbezeichneten Stellung, „wo er den Angriff des Feindes erwarte und dazu um preußische Mitwirkung ersuche.“ Blücher sagte sein Kommen zu und ertheilte noch in der Nacht die erforrerlichen Befehle. Am 18. Juni Morgens neun Uhr, kaum sechsunddreißig Stunden nach seiner Niederlage, ließ dann der heldenmüthige Greis in das englische Hauptquartier schreiben: „Sagen Sie dem Herzog von Wellington, daß, so krank ich auch bin, ich mich dennoch an die Spitze meiner Truppen stellen werde, um den rechten Flügel des Feindes sogleich anzugreifen, wenn Napoleon etwas gegen den Herzog unternimmt; sollte der heutige Tag aber ohne einen feindlichen Angriff hingehen, so ist es meine Meinung, daß wir morgen vereint die französische Armee angreifen.“

Gneisenau traf frühzeitig die Anordnungen, um die Truppen auf dem kürzesten Wege in den Rücken des Feindes zu führen. Erst später wurde, auf ausdrücklichen Wunsch von Wellington, bestimmt, daß ein Corps gesondert von den übrigen sich direct mit der englischen Armee vereinigen sollte.

Bei Tagesanbruch setzte sich am 18. Juni zunächst Bülow mit seinem Armeecorps in Bewegung. Bald folgte ihm, über St. Lambert, Pirch, während Zieten gleichzeitig den Weg über Fromont und Ohain einschlug, um sich links an Wellington anzuschließen. Gegen Mittag traf Bülow in der Nähe des Schlachtfeldes ein, wo der Kampf bereits heiß entbrannt war.

Wellington hatte für erforderlich gehalten, zur Deckung seiner rechten Flanke 19,000 Mann zu detaschiren. Er konnte daher nur über 24,000 Briten, 30,000 Deutsche und 13,000 Niederländer, zusammen etwa 67,000 Mann, und 150 Geschütze verfügen, die er auf den sanft ansteigenden Höhen vor Waterloo aufstellte. Vor der Fronte wurden das Schloß Houyomont, und die Pachthöfe La-Haye-Sainte, Smouhen, La-Haye und Papelotte besetzt. Des Herzogs Plan war, sich bis zur Ankunft Blücher’s nur gegen Napoleon zu vertheidigen.

Napoleon’s Heer war dem gegnerischen an Zahl etwa gleich; an Artillerie und Reiterei überlegen. Er formirte daraus eine einfache Schlachtordnung, die der englischen fast parallel lief. Des Kaisers Plan war, die Mitte der feindlichen Armee zu durchbrechen und sich so schnell als möglich des Dorfes Mont-St.-Jean im Rücken derselben zu bemächtigen. Gegen einen Anmarsch der Preußen in die rechte Flanke wurden dabei gar keine Vorbereitungen getroffen, weil eben Napoleon sich nicht dachte, daß Blücher ihm kampfbereit so nahe sei.

Fünfundzwanzig Minuten vor Mittag begann der Kampf durch einen Angriff des linken Flügels der Franzosen unter Jerôme Bonaparte auf das Schloß Houyomont, vor dem rechten Flügel der Engländer. Es wurde von beiden Seiten hartnäckig und mit wechselndem Erfolge gestritten. Bald mußten hier wie dort neue Truppen in’s Feuer gezogen werden, und so schwankte denn an diesem Punkte der Kampf fast den ganzen Tag hindurch hinüber und herüber.

Fast gleichzeitig begann das Geschützfeuer auf der ganzen Front der Franzosen. Um ein Uhr sollte ein allgemeiner Angriff auf die Gegner gemacht werden. Napoleon hatte sich auf eine Anhöhe bei Rosomme begeben, von wo er, etwas links von der Mitte seiner Schlachtlinie, dicht bei seinen Garden, den ganzen Kampfplatz überschauen konnte. Er stieg vom Pferde und setzte sich auf einen hölzernen Schemel, der ihm aus dem nahen Meierhofe gebracht war. Da gewahrte er am rechten Horizont durch sein Fernrohr nicht unbeträchtliche Streitkräfte. Ein aufgefangener Brief erwies

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_134.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)